Moore's Zukunftsformel
Wo liegen die technischen Grenzen der Mikroelektronik?
Die Halbleiterbranche entwickelt sich so schnell, dass Vorhersagen über ihre Zukunft extrem schwierig sind. Einzig Moore's Gesetz, das besagt, dass sich alle zwei Jahre die Leistung der Chips verdoppelt und die Miniaturisierung Fortschritte macht, hat sich immer wieder als richtig erwiesen. Doch wird es auch in Zukunft gelten? Wie lassen sich Schaltungen noch weiter verkleinern, wenn die Bauelemente nur noch ein Atom groß sind?
Die Vorhersage der Zukunft scheint
Menschen ein sehr wichtiges Grundbedürfnis zu sein. Waren es
früher die Orakel oder die Hellseher, so sind heute vielleicht am
ehesten die zahlreichen Analysten der Aktienmärkte die würdigen
Nachfolger - auch wenn ihre Trefferquote oft zu wünschen übrig
lässt.
Sind nun Vorhersagen im Allgemeinen schon schwierig genug,
so scheint es in der schnelllebigen Halbleiter-Branche geradezu
ausgeschlossen, auch nur halbwegs treffende Prognosen für die
Zukunft abzugeben. Gerade deshalb ist es besonders bemerkenswert,
dass sich nun schon seit knapp 40 Jahren eine Zukunftsformel sehr
präzise bewährt: das Moore'sche Gesetz. Bereits im Jahr 1965 hat
Gordon Moore zwei mutige und damals ganz unglaublich klingende
Paradigmen für die Halbleiterindustrie formuliert, die wegen
ihrer Konsequenzen zunächst auf starke Ablehnung stießen.
Erstaunlich zutreffende Vorhersagen.
Die erste Behauptung war, dass sich
die Transistordichte in einer Schaltung in regelmäßigen Abständen
verdoppelt. Dafür hatte er ursprünglich 18 Monate angenommen,
diesen Zeitraum dann aber später auf etwa zwei Jahre korrigiert.
Damit beschrieb Moore das Gesetz der fortlaufenden
Miniaturisierung der Bauteile in der Mikroelektronik.
Seine zweite Behauptung war, dass sich auch die
Rechenleistung der Schaltungen, im gleichen Zeitraum verdoppelt.
Und tatsächlich haben seit 1965 mehr als 20 solche Verdoppelungen
der Leistungsfähigkeit stattgefunden, und die Rechenleistung hat
in diesem Zeitraum um den Faktor eine Million zugenommen! Gordon
Moore's oft angezweifelte Behauptungen haben sich damit bereits
über einen erheblichen Zeitraum als richtig und erstaunlich
wegweisend herausgestellt.
Heute gehen selbst konservative Annahmen von weiteren
Leistungssteigerungen um mindestens den Faktor 100 in den
nächsten Jahren aus. Etwas mutigere Vorhersagen sprechen sogar
vom Faktor eine Million!
Übrigens hat das exponentielle Wachstum der Rechenleistung
schon vor dem Elektronikzeitalter gegolten. Das fand der
amerikanische Computerwissenschaftler Ray Kurzweil heraus, als er
die Leistungsfähigkeit mechanischer Rechenmaschinen untersuchte.
Dazu verglich er 49 bedeutende, im 20. Jahrhundert entwickelte
Rechenmaschinen miteinander. Diese Maschinen reichten von den
ersten Hollerith-Lochkartenmaschinen für amerikanische
Volkszählungen über die mit Relaistechnik arbeitenden Anlagen und
die ersten Röhrenrechner bis zu Transistor- und
Mikrochip-gesteuerten Computern. Dabei kam er zu dem Ergebnis,
dass sich am Beginn des 20. Jahrhunderts die Leistung erst alle
drei Jahre, später sogar schon alle zwölf Monate
verdoppelte.
Gilt Moore's Gesetz weiterhin?
Moore's Gesetz gilt also schon
viele Jahrzehnte und war das gesamte 20. Jahrhundert in Kraft.
Darüber hinaus ist sicher, dass es auch noch zahlreiche weitere
Jahre gültig bleibt. Was können wir nun für die fernere Zukunft
daraus folgern?
Für die heutige Halbleitertechnik stellt das Jahr 2085 eine
natürliche, harte Grenze für Moore's Gesetz dar. Zu diesem
Zeitpunkt würde nämlich, wie man einfach kalkulieren kann, ein
Bauelement nur noch aus einem halben Atom bestehen, eine
Vorstellung, die selbst den mutigsten Zukunftsspekulanten wohl
ein wenig weit gehen wird. Wo liegen aber die wirklichen Grenzen?
Praktisch seit dem Beginn dieser rasanten
Innovationsdynamik der Halbleiterindustrie wurde ständig über die
Grenzen der Mikroelektronik diskutiert, ja sogar das
bevorstehende Ende der möglichen Verkleinerung von Chips (und
damit das Ende von Moore's Gesetz) vorhergesagt. Unüberwindbare
Barrieren wurden überall heraufbeschworen: bei den Materialien,
der Prozesstechnologie, der Design-Komplexität, der
Wirtschaftlichkeit und nicht zuletzt bei den physikalischen
Grenzen selbst. Und trotzdem haben Wissenschaftler, Entwickler
und Designer immer wieder Wege gefunden, diese Hürden mit
Erfindungsreichtum zu überwinden.
Eine magische Schwelle erreichte die Industrie Mitte der
1980er Jahre, als Bauteile kleiner als ein Mikrometer wurden,
also kleiner als ein Tausendstel eines Millimeters. Dies
entspricht ungefähr der Wellenlänge des Lichts und definiert auch
die Grenze der optischen Auflösung, die ein sehr gutes
Lichtmikroskop erreichen kann. Die optische Abbildung ist aber
sowohl bei der Herstellung wie bei der Überprüfung der Bauteile
ein unabdingbares Werkzeug. Unterhalb von einem Mikrometer können
deshalb die Entwicklungsingenieure die Ergebnisse ihrer Arbeit
nicht mehr unmittelbar in Augenschein nehmen, sondern benötigen
hoch entwickelte Instrumente, zum Beispiel ein
Elektronenmikroskop, um die fortlaufende Steigerung von
Funktionen, Komplexität und Strukturverkleinerung zu überprüfen.
Der einfache (aber schwer zu realisierende) Trick war
damals der Schritt vom sichtbaren zum ultravioletten Licht.
Dieses Licht mit viel kürzeren Wellenlängen erlaubt eine
verbesserte optische Auflösung und damit viel kleinere
Strukturen. Heute verwendet man Licht der Wellenlänge 193
Nanometer (ein Nanometer ist ein Millionstel eines Millimeters),
geplant sind 153 Nanometer. Das ist nur noch ein Fünftel der
Wellenlänge des sichtbaren Lichtes! Bei diesen extremen
Wellenlängen ist allerdings Glas bei weitem nicht mehr
durchsichtig und muss durch ganz neue Materialien ersetzt werden,
und auch die Erzeugung von solchem Licht ist eine wahre Kunst für
sich.
Kleiner und kleiner.
Unter Nutzung dieser Technik konnte
die Integrationsdichte auf Mikrochips heute bis in den Bereich
von 130 Nanometern vorangetrieben werden, und im nächsten Schritt
zielt man eine weitere Verkleinerung auf sogar 100 Nanometer an.
Das bedeutet, dass auf der gleichen Fläche 100-mal mehr Bauteile
realisiert werden können als im Vergleich zur
Ein-Mikrometer-Technologie Ende der 80er Jahre.
Doch die 100 Nanometer sind für die Halbleiterindustrie
derzeit eine "Schallmauer", diese Grenze zu überwinden ist eine
gewaltige Herausforderung. Denn dann kommen erstmals tatsächlich
einzelne Atome ins Blickfeld unserer Entwicklungsingenieure, die
das Funktionsprinzip des Transistors auf die Ebene von wenigen
Atomen und Elektronen übertragen. Aber schon heute sind die
meisten Wissenschaftler überzeugt, dass es keine fundamentalen
Grenzen für Integrationsdichten kleiner als 100 Nanometer gibt.
Manche gehen sogar so weit, dass unter Einsatz neuer Materialien
die klassische CMOS-Technologie Strukturbreiten von 25 Nanometer
und weniger erlaubt. Die Industrie hat bereits Entwicklungspläne
für eine Chip-Verkleinerung auf Strukturbreiten von 35 Nanometer
bis zum Jahre 2014. Der Erfindungsreichtum der
Halbleiterindustrie scheint also ungebrochen.
In unseren neuesten Forschungen experimentieren wir bereits
erfolgreich mit Chipstrukturen von nur noch 30 Nanometer. Wir
haben im Labor erste funktionierende Transistoren unter
Verwendung dieser extrem kleinen Strukturen hergestellt. Und
sogar bis zehn Nanometer (ein Hunderttausendstel Millimeter!)
scheint noch keine unüberwindliche physikalische Grenze zu
bestehen. Für die Halbleiterindustrie ein Segen: Strukturbreiten
von zehn Nanometer bedeuten schon wieder einen Faktor 100 mehr
Bausteine auf der gleichen Chipfläche. Das sind ca. sieben
weitere Verdoppelungen oder - nach dem Moore'schen Gesetz - mehr
als 14 Jahre weiterer Fortschritt.
Das Erbgut ist noch viel komplexer.
Bei all dem dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir an die Leistungen der Natur noch lange nicht herankommen. Das gesamte menschliche Erbgut mit seiner ungeheuren Informationsdichte hat in einem Zellkern mit einem Volumen von etwa einem Kubikmikrometer Platz. Somit ist die DNS der am höchsten integrierte "Chip", den wir kennen, dessen Komplexität viele Milliarden Mal größer ist als die heutiger Hochleistungsspeicher. Wenn wir diese Leistungsfähigkeit der Natur auch nur annähernd erreichen wollen, müsste das Moore'sche Gesetz noch für mindestens weitere 50 Jahre seine Gültigkeit behalten. Es bleibt noch viel zu tun!
Dr. Sönke Mehrgardt ist Chief Technological Officer und Mitglied des Vorstandes der Infineon Technologies AG.
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