Der Mix macht's
Die neue Lernform "Blended Learning" in der Praxis.
Kaum ein Angestellter kann es sich leisten, zwei Monate für eine Weiterbildung "auszufallen". Doch reine E-Learning-Kurse ohne Präsenzphase haben sich auch nicht bewährt. Siemens Business Services, Learning erprobt gerade einen berufsbegleitenden Kurs zum Microsoft Certified Systems Engineer, der aus drei verschiedenen Lernformen besteht - für die Teilnehmer eine praktische Sache
Jeder hat das Schlagwort
"Lebenslanges Lernen" inzwischen schon einmal gehört. Aber wer
kann sich schon erlauben, dafür wochenlang Urlaub oder gar eine
Auszeit zu nehmen? Berufsbegleitend muss es also sein, ganz klar.
Aber wofür soll man sich entscheiden: Seminar, Fernstudium,
E-Learning?
Es muss kein Entweder-oder sein. Eine neue Lernform, die
Pädagogen schon längst favorisieren und die zur Zeit intensiv
diskutiert wird, ist "Blended Learning". Darunter versteht man
einen Mix aus Online-Lernen, Präsenzseminaren und Selbststudium.
"Die reine Vermittlung von Fachwissen kann man über das Netz
machen, das ist sogar praktischer. Aber um daraus
Anwendungswissen zu machen, müssen die Teilnehmer üben", erklärt
der Wirtschaftspädagoge Manfred Scherther vom Lehrstuhl
Wirtschaftsinformatik der Universität Erlangen-Nürnberg.
"Ausschließlich über Computer zu lernen hat sich als nicht so
erfolgreich erwiesen. Manche versuchen dieses Problem mit
virtueller Realität zu lösen. Das Blended-Learning-Prinzip ist
aber ein vielversprechenderer Ansatz."
WIN-SeALS - eine Kombination aus drei Lernformen.
Zu diesem Schluss ist Siemens
Business Services, Learning ebenfalls gekommen. Deshalb erprobt
SBS die Kombination aus verschiedenen Lernformen seit Anfang des
Jahres in der Ausbildung zum Microsoft Certified Systems
Engineer. Vor allem Netzwerkadministratoren, Service-Mitarbeiter
und Netzwerk-Consultants interessieren sich für das renommierte
Zertifikat.
Drei Bausteine hat der "WIN-SeALS" getaufte Kurs:
Selbststudium, E-Learning und Präsenz-Workshops. Während des
Kurses ackern sich die Teilnehmer durch die
Microsoft-Originalunterlagen und üben daheim an einer
Schulungsversion von Windows 2000 Advanced Server. Auf der
kurseigenen E-Learning-Plattform können sie sich zwischendurch in
den virtuellen Klassenraum einklinken, sich im Forum austauschen
oder an Live-Chats mit den anderen Teilnehmern beteiligen. Wer
zusätzliche Materialien und Übungsfragen möchte, stöbert in der
umfangreichen Windows 2000 Knowledge Base. Damit das Wissen nicht
abstrakt bleibt, können die Teilnehmer bei den insgesamt fünf
Workshops an einem Übungsnetzwerk all das ausprobieren, was ihnen
beim Selbststudium unklar geblieben ist. Die Präsenz-Phasen
finden an jeweils zwei Tagen unter Leitung eines Trainers
parallel an den verschiedenen Standorten von Siemens Business
Services statt.
Für die Teilnehmer hat diese Lern-Kombination den Vorteil,
dass sie nur wenige volle Tage investieren und nur wenige Male
anreisen müssen. "Der konventionelle Weg mit einem 28-tägigen
Crashkurs wäre bei mir einfach zeitlich nicht drin gewesen, da
ich ja in verschiedenen Projekten eingebunden bin", erzählt Klaus
Benning, Siemens-Mitarbeiter aus Nürnberg und einer der ersten
WIN-SeALS-Teilnehmer. "WIN-SeALS ist eine feine Sache, allerdings
muss man schon eine Stunde pro Tag investieren - mehr, als ich
gedacht habe." Er lernt überwiegend daheim, manchmal aber auch in
der Firma; eine der sieben vorgeschriebenen Prüfungen hat er
schon geschafft.
Bisher dauert der Kurs ein halbes Jahr, doch er soll
demnächst auf sieben bis acht Monate verlängert werden. Denn wie
Benning mussten auch die anderen Teilnehmer feststellen, dass
auch ein Blended-Learning-Kurs mit einigem Aufwand verbunden ist.
"Es hat sich gezeigt, dass viele mit dem Selbststudium zeitlich
nicht so hinkommen und mehr Zeit brauchen, weil sie beruflich
stark eingespannt sind", meint WIN-SeALS-Trainer Peter Holländer,
der die Teilnehmer gemeinsam mit einem Kollegen persönlich und
per Mail betreut.
Erfahrungen mit einer neuen Lernform.
Vor Beginn des Lehrgangs können die
Teilnehmer über einen interaktiven Selbsttest unverbindlich und
anonym abchecken, wo sie stehen und ob ihre Kenntnisse für den
Kurs ausreichen. Ein Angebot, das ersten Auswertungen nach gut
genutzt wird: Jeder Zweite, der sich für den Kurs registriert,
absolviert vorher den Test. Wer sich anmeldet, weiß also in etwa,
worauf er sich einlässt. Doch Erfahrung mit Online-Lernen hat
bisher kaum jemand, deshalb stimmt die Auftaktveranstaltung die
Teilnehmer auf die neue Lernform ein. "Die Veranstaltung findet
im Netz statt, über Sprache und PowerPoint gleichzeitig - das ist
am praktischsten, denn die Teilnehmer sitzen überall in
Deutschland und brauchen so für die zweistündige Einführung nicht
anzureisen", erklärt Holländer.
Auch später treffen sich die angehenden
Windows-2000-Experten im virtuellen Klassenzimmer wieder, um
beispielsweise einen Workshop nachzubereiten. So funktioniert es:
Der Teilnehmer setzt sich sein Headset - eine Kombination aus
Mikro und Kopfhörer - auf, geht auf die WIN-SeALS Website und
meldet sich an. Ein spezielles Fenster öffnet sich, und eine
Liste der Anwesenden erscheint. Möchte der Teilnehmer etwas
sagen, drückt er einfach auf die "Control"-Taste und spricht;
dann leuchtet sein Name in der Liste grün auf und seine
Klassenkameraden können ihn hören. Oft arbeiten die Teilnehmer
auch online gemeinsam an einem Problem, indem sie auf die gleiche
Software zugreifen ("Application Sharing").
"Das ist alles ein bisschen gewöhnungsbedürftig, auch für
den Trainer", gesteht Holländer. "Da man die Teilnehmer ja nicht
sehen kann, fragt man sich schon, ob die Leute jetzt wirklich
aufmerksam vor dem Computer sitzen." Um sich für die neue
Lernform fit zu machen, waren ihm zwei andere SBS-Kurse sehr
nützlich: Die Ausbildungen "E-Tutor" und "E-Trainer" vermitteln
die Kenntnisse und Fähigkeiten, die man zur Betreuung von
Online-Lerngruppen bzw. großer Gruppen im virtuellen
Klassenzimmer braucht.
"Aktive" und "passive" Teilnehmer.
Schon bald nach Kursbeginn
kristallisieren sich, so die Erfahrungen des E-Tutors, zwei
Gruppen von Teilnehmern heraus: Die einen ziehen sich ein
bisschen zurück, werkeln zu Hause vor sich hin und beteiligen
sich selten an den Online-Angeboten - ihnen genügen die
Microsoft-Unterlagen und die Präsenz-Workshops. Andere sind dafür
auf der E-Learning-Plattform sehr aktiv und nehmen sich die Zeit,
an den zweimal wöchentlich stattfindenden Chats teilzunehmen, in
der Newsgroup fachliche Fragen zu klären und sich vom Tutor und
den anderen Teilnehmern Tipps zu holen. "Diesen Austausch finde
ich ganz wichtig - weil man sieht, wo man im Vergleich mit den
anderen Teilnehmern steht, und weil es die Motivation stärkt",
meint Benning. Praktisch findet das auch Thomas Rosenkranz, der
bei einer Stahlbearbeitungsfirma das Netzwerk administriert und
sich mit dem Kurs auf die neue Systemarchitektur vorbereitet.
"Wenn ich etwas nicht verstanden habe, habe ich immer einen
Ansprechpartner. Das funktioniert hervorragend, man bekommt
innerhalb von kurzer Zeit seine Lösung vom Teletutor oder einem
Kommilitonen."
Die beiden E-Tutoren bemühen sich, durch Mails und Aktionen
den Kontakt zu allen Teilnehmern aufrechtzuerhalten, akzeptieren
es aber, dass jeder seine eigenen Lernvorlieben hat: "Die
Online-Angebote sind ein zusätzliches Feature, sie sind
freiwillig. Wer es nicht nutzt, hat Pech gehabt - viele
Teilnehmer bestätigen uns, dass es einen echten Mehrwert bringt",
meint Holländer. "Aber manche lernen nun mal lieber
autodidaktisch." So zum Beispiel der Teilnehmer, der im Forum
schreibt: "Meiner Meinung nach würde ein Chat pro Woche mehr als
genügen, da ich persönlich andere Lernmethoden bevorzuge und in
den Zeiten des Chats lieber in der Knowledge Base lerne." In
dieser Datenbasis, die viele Teilnehmer intensiv nutzen, finden
sich zusätzliche Übungen, Selbsttests und Erklärungen.
Weniger Abbrecher durch Einbindung in die Community.
Die Statistik deutet darauf hin, dass sich die Betreuung und Einbindung in eine Lern-Community auszahlen: Obwohl die MCSE-Ausbildung als anspruchsvoll und lernintensiv gilt, hat erst einer der WIN-SeALS-Teilnehmer abgebrochen - er schaffe es zeitlich einfach nicht. Bei klassischen Fernkursen liegt die Abbrecherquote deutlich höher, bei bis zu einem Drittel. Denn eigenverantwortliches Lernen erfordert viel Selbstdisziplin. Gerade wenn es darum geht, die 700-seitigen "Schwarten" des Microsoft-Kursmaterials durchzuarbeiten. "In meinem Bekanntenkreis gibt es ein paar Leute, die den Kurs nur mit Hilfe der Bücher machen wollen, aber die meisten haben nach kurzer Zeit abgebrochen", berichtet Rosenkranz. "Ich dagegen habe das Feedback der Community und das Präsenztraining, das mich bei der Stange hält. Wichtig ist das für mich auch deswegen, weil bei uns das System ja noch nicht eingeführt ist und ich sonst keine Erfahrungen damit sammeln könnte." Er klinkt sich etwa alle zwei Wochen ins Forum ein und holt sich Rückmeldung zu seinem Wissensstand.
Ohne Ausprobieren geht es nicht.
In den immer montags und dienstags stattfindenden Workshops steht dann das Üben und Ausprobieren an Rechnern, auf denen Windows 2000 installiert ist, auf dem Programm. So nützlich die Unterlagen und die Online-Plattform sind, die meisten Teilnehmer sind sich einig: "Die Workshops bringen am meisten. Man ist mit Gleichgesinnten zusammen und kann alles ausprobieren, was man sonst mangels Netzwerk nicht simulieren kann - man kann schließlich daheim keine komplette Domäne aufbauen", meint Benning. Probleme "live" zu bearbeiten und Befehle wirklich einzugeben, statt sie nur auf dem Papier nachzuvollziehen - das lässt sich eben auch in Zeiten virtueller Klassenräume nicht ersetzen.
Kontakt:
peter.hollaender@siemens.com
www.siemens.com/learning
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