Die Geburt einer neuen Technologie

50 Jahre Halbleiter - Rückblick auf ein Stück Technikgeschichte.

Von Susanne Eyrich

Der Laie sieht nur sein Terminal und die Tastatur, der Experte weiß vielleicht noch, wie es im Inneren des Computers aussieht. Doch wie sieht es im Inneren eines heutigen Mikrochips aus? Und wie kam es eigentlich zur Erfindung der so genannten Halbleiter?

Selten hat sich jemand so geirrt: Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts prognostizierten Wissenschaftler der Harvard University, dass sechs elektronische Digitalrechner den Bedarf der USA befriedigen würden. Der IBM-Gründer Watson schätzte die Zahl sogar noch niedriger. Verständlich. Für damals - auf der Grundlage der damals verfügbaren Technologie und des damaligen Wissens - war die Prognose sicher richtig. Elektronische Digitalrechner bestanden aus Abertausenden von Vakuumröhren, von denen täglich mehrere ersetzt werden mussten. Allein diese Röhren wogen über zehn Tonnen und verbrauchten über 100 Kilowatt Strom.
Wie hätten die Forscher, die sich mit den sperrigen und beschränkten "Elektronengehirnen" herumplagen mussten, voraussehen können, was Großrechner einmal beherrschen würden? Heute analysieren Hochleistungscomputer Molekülstrukturen und -bewegungen, Atome und Elementarteilchen. Sie prognostizieren das Wetter, werten medizinische Daten während einer Operation in Echtzeit aus, simulieren Atomversuche, steuern die maschinellen Abläufe industrieller Produktion. Ihre kleinen Brüder, PC und Laptops, sind heute auf nahezu jedem Schreibtisch zu finden und agieren als Multimediamaschinen. Sie sind das Sinnbild der Wissensgesellschaft - und das technische Rückgrat der Vernetzung.
Ihre Geschichte - und die der in ihnen steckenden Technik - ist die Chronik einer Entwicklung auf der Überholspur. Jede Generation übertrifft die Leistung ihrer Vorgängergeneration um ein Vielfaches. Immer mehr Daten werden in immer kürzerer Zeit verarbeitet. Die Schnelligkeit, in der die Prozessoren - die Herzstücke der Maschinen - Zahlen und Informationen miteinander verknüpfen, überschreitet längst die menschliche Vorstellungskraft. Gemessen wird sie in Gleitkommaoperationen pro Sekunde, die FLOPS (floating point operations per second). Längst kommt diese Leistungskennzahl heute mit Vorsilben wie Giga für Milliarde und Tera für Billion ergänzt. Durch diese schiere Rechengeschwindigkeit können die Computer mit "brute force", wie die Wissenschaftler sagen, ihren "Denkvorsprung" vor dem Menschen bewahren. Als ein Superrechner wie IBMs Deep Blue den Schachweltmeister Kasparov matt setzen konnte, lag dies nicht an einer überragenden Intelligenz seiner Chips, sondern an der riesigen Zahl vorausberechneter Spielzüge.

Treibende Kraft war das Telefonnetz.


All das ist bekannt. Wenige Menschen dagegen wissen, woher der Zwang zur Entwicklung einer neuen Technologie kam: Ausgerechnet die begrenzte Leistungsfähigkeit der Telefonnetze war der Anstoß zum Siegeszug der Computer. Zur Jahrhundertwende entwickelte sich in Amerika das Telefonnetz mit mehreren Millionen Teilnehmern zu einem wichtigen Industriebereich. Zur Gesprächsvermittlung waren schnelle Verstärker notwendig, um schwache Steuerströme in Signale umzuwandeln. Immer kleinere mechanische Relais für mehr Vermittlungsmöglichkeiten zu bauen war nicht möglich - und die seit den 30er Jahren alternativ benutzten Elektronenröhrchen waren zu schwer, zu groß, zu langsam und zu zerbrechlich. Also suchten Forscher mit Hochdruck nach neuen Möglichkeiten. Und stießen auf den Transistor.
Das Transistorprinzip - Vorgänger und Weichensteller zur Halbleitertechnologie - beruht auf einer Entwicklung der Wissenschaftler John Bardeen, Walter Brattain und William Shockley. Brattain arbeitete seit 1929 in den Bell-Laboratories in Murray Hill, New Jersey. 1931 begann er, Halbleiter zu erforschen. Die Erfolge der Quantenmechanik bei der Erklärung von Vorgängen in Festkörpern regten Brattain an, die Verstärkung des elektrischen Stroms innerhalb von Kristallen zu realisieren. Bardeen trug eine Theorie der Halbleiteroberflächen bei. Shockley, der dritte im Bunde, war Theoretiker und grübelte über die Verstärkung elektrischer Signale mithilfe von Halbleitern nach. Er entwickelte seine "Feldeffekt-Transistor" genannte Anordnung, auf deren Verwirklichung die Halbleiterforschung aufbaute. Gemeinsam planten die Forscher, den Stromtransport im Halbleiterkristall über die Anzahl der Elektronen zu kontrollieren. Ein auf die Halbleiteroberfläche gebrachtes aufgeladenes Metall sollte je nach Polung die Halbleiterelektronen anziehen oder abstoßen.
Am 16. Dezember 1947 führte das Team um Shockley das entscheidende Experiment durch. Auf zwei, einem Germaniumkristall im Abstand von 0,1 mm aufgedampften Goldpünktchen brachte er je eine Nadelspitze an, durch die Strom zugeführt werden konnte. Spannung an einem der beiden Kontakte sollte zur Verdrängung positiver Ladungen im Germanium-Kristall führen. Die positiven Ladungen gelangten direkt aus dem Germanium in die Goldschicht. Diese Injektion bewirkte eine Stromverstärkung durch die 0,1 mm entfernte Nadelspitze in die Halbleiter. Wenn man die Entfernung auf 0,005 mm reduzierte, brachte das eine hundertfache Verstärkung des Stromes. Es war geschafft, elektrische Signale ließen sich auf diese Weise tatsächlich verstärken! Am 23. Dezember 1947 stellte das Team die Versuchsergebnisse dem Vorstand von Bell vor. Da die Endsilbe "istor" für Elektronikbausteine üblich war und der Strom durch Halbleiter geleitet wird, taufte man den neuen Baustein Transistor.
Halbleiter wie Germanium oder Silizium befinden sich im Periodensystem zwischen Metallen und Nichtleitern, so genannten Isolatoren. Sie sind bei -273 �C, bei so genannter absoluter Nullpunkttemperatur, elektrisch isolierend. Führt man Halbleitern dagegen Wärme oder Licht zu, werden sie elektrisch leitend. Legt man nun ein elektrisches Feld an, strömen Elektronen durch den Halbleiter.

Aus Transistoren wird ein Chip.


Zehn Jahre später stellte Jack S. Kilby mehrere Transistoren auf einem Halbleiterplättchen zu einer einfachen Schaltung zusammen und begann damit die Entwicklung des Mikrochips als Grundelement der heutigen Mikroelektronik. Mit der Erfindung des Transistors wurde die Konstruktion immer kleinerer elektronischer Bauteile möglich. Doch ein Problem war, dass diese immer winzigeren Transistoren noch verlötet werden mussten. Das setzte der Verkleinerung Grenzen und schuf eine Fehlerquelle. Also entwickelte Kilby einen integrierten Schaltkreis aus Germanium. Für heutige Verhältnisse war er riesig, fast so groß wie sein kleiner Finger. Doch technisch war es ein wichtiger Durchbruch.
Andere Forscher schliefen nicht. Gleichzeitig entwickelte Robert Noyce einen integrierten Schaltkreis aus Silizium. Er schichtete nicht - wie Kilby - einzelne Ebenen übereinander, sondern ätzte sie in ein mehrschichtiges Material ein - eine Methode, mit der heute immer kleinere und intelligentere Chips hergestellt werden. Ein moderner Mikroprozessor enthält mehr als 50 Millionen Transistoren. Inzwischen ist es sogar möglich, einzelne Atomlagen übereinander zu dampfen, so dass die aktiven Schichten eines Chips nur noch hauchdünn sind. Um solche feinen Strukturen überhaupt bearbeiten zu können, muss man spezielle Laserstrahlen benutzen, deren Wellenlänge kürzer ist als die zu bearbeitende Struktur selbst. Die weitere Verkleinerung hängt nun davon ab, Laser mit immer kürzeren Wellenlängen einsetzen zu können. Die Mikroelektronik geht allerdings langsam in die Nanotechnologie über, in der Größen von Millionstel Millimetern ins Spiel kommen.

Susanne Eyrich ist Senior Manager Social Responsibility & Citizenship bei der Infineon Technologies AG.

www.infineon.com
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