Personalentwicklung ist Chefsache
"Wissen und Lernen 2010" - eine Studie von Siemens Business Services (SBS).
Change Management, Lernendes Unternehmen, Kompetenzvermittlung statt Wissensvermittlung - Theorie oder Realität? SBS wollte auf diese Frage Antwort und gab eine Studie in Auftrag. Ergebnis: Die Personalentwicklung ist dem Stadium der Absichtserklärungen und Lippenbekenntnisse entwachsen.
Harte Zeiten für Unternehmen. Wettbewerb, Globalisierung und Volatilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwingen große und kleine Betriebe in die Knie. Nur mit den besten Köpfen, motivierten und lernbereiten Mitarbeitern, so Experten, können sie die Hürde nehmen. Doch die Arbeitnehmer haben sich emanzipiert. Sie sind karrierebewusst und wollen ihren Marktwert steigern. Karriere kommt vor Jobstabilität. Eine Bindung ans Unternehmen erfolgt nur noch unter erschwerten Bedingungen. Konsequenz: Personalentwicklung, und darüber sind sich alle einig, wird zum strategischen Moment der unternehmerischen Zukunftssicherung.
Schöne Worte oder unternehmerische Praxis?
Hört sich gut an. Doch wie sieht es
mit der Praxis aus? Wie stehen die Unternehmer zum Thema
"Personalentwicklung" wirklich? Nicht nur die großen, sondern
auch die kleinen und mittelständischen Betriebe? Was bedeutet
"Change Management", "Lernendes Unternehmen",
"Kompetenzvermittlung statt Wissensvermittlung" und "Corporate
University"? Theorie oder Realität?
Siemens Business Services (SBS) wollte auf diese Fragen
Antwort - und gab eine Studie in Auftrag: "Wissen und Lernen
2010". Ihre Partner: die Managementberatungsfirma Eckart &
Partner, Professor Lutz von Rosenstiel vom Institut für
Organisations- und Wirtschaftspsychologie der
Ludwig-Maximilians-Universität München und das
Marketing-Forschungsinstitut facit. Insgesamt nahmen an der
Studie 323 der 1.000 größten in Deutschland ansässigen
Unternehmen teil - Unternehmen aus den Branchen Finanzen und
Versicherung, IT und Kommunikation, Chemie und Pharmazie, Medien,
Handel, Automobil, Hightech und Energie. Die Beteiligungsquote
mit gut 30 Prozent liegt für Ellen Dittmer, Leitung SBS Learning,
erstaunlich hoch: "Damit haben wir nicht gerechnet. Es zeigt: Wir
haben den Nerv getroffen. Das Themen steht bei den Unternehmen
auf der Agenda - und zwar weit oben."
Tiefeninterviews und Einzelgespräche.
Das Projekt gliederte sich in zwei
Phasen. In der ersten Phase führten Eckart & Partner zusammen
mit dem Institut für Organisation- und Wirtschaftspsychologie
Tiefeninterviews mit Personalverantwortlichen und Führungskräften
durch - alle beschäftigt bei 23 der deutschen TOP-50-Unternehmen.
Anhand der Ergebnisse wurde ein Fragebogen entwickelt mit sowohl
offenen (ohne Antwortvorgabe) als auch geschlossenen Fragen (mit
Antwortvorgaben). Dieser Fragebogen wurde jedoch nicht einfach
verschickt. SBS schrieb in Phase zwei Vorstand und
Geschäftsführung von insgesamt 1.000 Unternehmen an mit der
Bitte, einen kompetenten Interviewpartner aus den Bereichen
Personalwesen und Unternehmensplanung zu benennen. 300
Unternehmen kamen der Bitte nach, Termine wurden vereinbart und
mit Hilfe der vorformulierten Fragen Einzelgespräche geführt.
Gesprächsdauer 90 Minuten.
Die Studie ist nicht repräsentativ - dafür konzentriert
sie sich zu sehr auf die TOP 1.000. Mittelständische und kleine
Betriebe kommen zu kurz. Trotzdem liefert "Wissen und Lernen
2010" im Moment den besten Überblick über Trends und Zukunft der
Personalentwicklung in Deutschland.
Eines der wichtigsten Ergebnisse: Personalentwicklung ist
nicht mehr nur die ureigenste Aufgabe einer jeden Führungskraft.
Personalentwicklung ist Chefsache. In rund 70 Prozent der
befragten Unternehmen legt der Vorstand oder die Geschäftsleitung
nicht nur die Budgetierung fest. In Zusammenarbeit mit der
Personalabteilung entscheidet die Chefetage ebenfalls über
Konzept, Realisierung und den strategischen
Personalentwicklungsbedarf - nicht nur für Führungskräfte,
sondern auch in zunehmendem Maße für den "normalen"
Mitarbeiter.
Corporate Universitys und E-Learning.
Ein weiteres Ergebnis: Das Thema
"Globalisierung" beschäftigt die Unternehmen auch unter dem
Personalentwicklungs-Aspekt. Hier werden intensiv Lösungen
gesucht, wie Personalentwicklung länderübergreifend und
flächendeckend in einem weltweit vernetzten Gesamtsystem
realisiert werden kann. Bislang gibt es noch keine konkreten
Lösungsansätze. Eine Möglichkeit, die von Unternehmen erwogen
wird: Corporate Universitys. "Sie können dazu beitragen", so die
Studienteilnehmer, "die Personalentwicklungs-Aktivitäten zu
integrieren, für weltweite Kompetenzvermittlung zu sorgen und
dadurch die Voraussetzungen zu schaffen für die erforderliche
Durchlässigkeit der Ebenen und den Wissenstransfer zwischen den
Individuen im Unternehmen." Zur Zeit verfügt ein Viertel aller
untersuchten Unternehmen über Corporate Universitys, weitere elf
Prozent befinden sich im Planungsprozess.
E-Learning wird von den Unternehmen skeptisch betrachtet.
Obwohl E-Learning oder Intranet-Portale auf breiter Front
eingesetzt werden, beschränkt sich die Nutzung bislang fast
ausschließlich auf die Vermittlung von Fachwissen,
Unternehmensinformationen und Sprachen. Das liegt, so die
Studienteilnehmer, nicht nur an der mangelnden Qualität der
Lern-Programme. Selbst wenn es den Anbietern gelingen würde,
E-Learning auch für strategische Anforderungen nutzbar zu machen,
Lernfortschritte zu kontrollieren und die entsprechenden
Lerninhalte über diese Medien qualitativ und effizient zu
vermitteln, auf die klassischen Lernformen wollen die Unternehmen
nicht verzichten. Dazu Studienteilnehmerin Claudia Schlossberger,
Leiterin Corporate Executive Development der Metro AG: "Ich
plädiere für einen Mix aus Classroom-Learning und E-Learning.
Eine komplette Substitution durch E-Learning sehe ich nicht. In
unserem Unternehmen werden die Methoden zunehmend miteinander
didaktisch vermischt und kombiniert."
Externe Berater werden zu strategischen Partnern.
Um die Mitarbeiter und
Führungskräfte auf Kurs zu bringen, setzen Unternehmen zunehmend
auf externe Berater. Ihre Funktion ist es jedoch nicht nur,
einzelne Probleme schnell zu lösen, sondern als strategischer
Partner das Unternehmen langfristig zu begleiten. Dazu Jörg
Becker, Bereichsleiter Personal und Organisation der E.ON AG:
"Wir setzen bei Schulung und Training auf langfristige
Kooperation mit Externen. Der Trainer muss das Umfeld der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen und verstehen. Nur dann
kann er das Unternehmen bei Veränderungen begleiten und
entsprechende Trainingsmaßnahmen auf den Weg bringen."
Bei der Auswahl sind Unternehmen kritischer geworden. Sie
verlangen nicht nur hohe fachliche und pädagogische Kompetenz,
branchenspezifische Kenntnisse und langjährige Erfahrung, sondern
auch eine individuelle und ganzheitliche Betreuung von Konzeption
über Realisation bis hin zur Erfolgskontrolle. "Schulung und
Training", so Heribert Sangs, Leiter der Zentrale Bildung der
Bertelsmann AG, "orientiert sich künftig am unternehmerischen
Kontext: Wo steht das Unternehmen, wo steht das Team, wo der
einzelne Mitarbeiter? Standardtraining und Schulung von der
Stange verlieren an Bedeutung." Bedauert wird von den
Unternehmen, dass es weltweit zu wenig externe Anbieter gibt,
"die eine globale Ausrichtung in allen Facetten begleiten und
realisieren können".
Neben diesen unternehmensübergreifenden Aspekten
beleuchtet die Studie auch unternehmensinterne Themen wie
Angebot, Teilnahme-Kriterien, Evaluation und Budgetierung.
"Voneinander profitieren" lautet die Losung.
Kritiker werden eines vermissen: die Mitarbeiterbefragung. Sind die Mitarbeiter nicht die Einzigen, die den Ist-Zustand der Personalentwicklung in Deutschland zuverlässig beschreiben können? Trends und Entwicklung sind interessant, aber was ist mit der Umsetzung? Ist sie nicht viel wichtiger? Ellen Dittmer: "Wir haben die Mitarbeiter bewusst ausgeschlossen. Wir wollten, dass die Unternehmer Stellung beziehen. Welche Bedeutung hat Personalentwicklung in ihrem Haus? Was wird für die Mitarbeiter konkret getan? Und wie werden die Mitarbeiter auf die Zukunft vorbereitet? Diese Fragen sind wichtig. Immens wichtig. Denn die Unternehmen werden an ihren Aussagen gemessen werden. Der Mitarbeiter muss den Wandel verkraften, sich den immer neuen Anforderungen stellen. Erhält er von den Unternehmen keine Hilfe, wird er seine Sachen packen und den Arbeitsplatz verlassen." Doch das ist genau das, was Unternehmen verhindern müssen. In Zeiten wachsenden Fachkräftemangels, selbstbewusster Mitarbeiter und Jobhoppings rückt die Personalarbeit ins Zentrum der Unternehmensentwicklung. Die so genannten Hygienefaktoren wie Gehalt, Aktien und Urlaub ziehen schon lange nicht mehr. "Voneinander profitieren" ist die Losung des heutigen Personal-Managements. "Dank der Studie wissen wir nun", so Ellen Dittmer, "die Personalentwicklung ist dem Stadium der Absichtserklärungen und Lippenbekenntnisse entwachsen."
Die Studie "Wissen und Lernen 2010" kann gegen eine Schutzgebühr von 248 Euro bestellt werden. Die Fax-Nummer: 089/636-41335.
Heike Littger arbeitet als Redakteurin bei changeX.
© changeX Partnerforum [17.01.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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