Mehr als ein Warenhaus
Was Karstadt in Krisenzeiten stark macht - von Alexandra Hildebrandt.
Warenhäuser gehören zu den erlebnisstärksten Orten der Moderne. Sie sind Stätten der Begegnung, wo Menschen unabhängig von Status, Beruf oder Milieu zusammenkommen. Warenhäuser tragen Verantwortung nicht nur gegenüber den Kunden und der Stadt, sondern auch für die Gesellschaft. Sie stehen für das Kaufmannsethos von Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. / 08.05.09
KarstadtDie Warenhäuser prägten 150 Jahre das deutsche Einzelhandelsgeschäft. (1) Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich, von Paris ausgehend, das zentral geführte, in Abteilungen gegliederte, moderne Warenhaus. Es galt seither als Symbol für eine moderne und offene Welt. So alt wie die Warenhäuser ist allerdings auch die Kritik an ihnen: So galten sie zur vorletzten Jahrhundertwende als Symptom wachsender Großstädte, die bezichtigt wurden, Menschen in Reizüberflutung zu stürzen. Andere sahen in ihnen die Vernichter gewachsener Stadt und Handelsstrukturen. Im Nationalsozialismus dienten sie als Beleg für die zerstörerische Gewalt jüdischen Kapitals. Und die 68er-Generation sah in ihnen das Symbol eines dekadenten Spätkapitalismus. Verstärkt wird seit Jahren darüber diskutiert, ob die Idee des Warenhauses vor dem Hintergrund von E-Commerce, Erlebnis-Shopping oder Factory-Outlet-Center auch im 21. Jahrhundert noch erfolgreich sein kann. Die Antwort ist eindeutig: Ja. Denn es geht um mehr als nur um die Befriedigung von Konsumbedürfnissen - es geht auch um gesellschaftliche Verantwortung. So stehen Warenhäuser für das alte Kaufmannsethos, den ehrbaren Kaufmann. Sie tragen damit Verantwortung gegenüber einer ehrbaren Welt, die es gerade in Krisenzeiten wieder zu entdecken gilt. Einer Welt, in der Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Kontinuität zählen, und nicht nur der Gewinn allein. Nicht nur das. Warenhäuser tragen auch Verantwortung gegenüber den Kunden und der Stadt, mit der sie untrennbar verbunden sind. Warenhäuser gehören neben Bahnhöfen, Flughäfen und Fußballstadien zu den erlebnisstärksten Orten der modernen Welt. Hier kommen Menschen, unabhängig von sozialem Status, Beruf oder kulturellem Milieu zusammen. So ist Karstadt mit seinen 90 Waren- und 32 Sporthäusern Bestandteil des Lebens- und Einkaufsalltags vieler Menschen.

Kommste mit Karstadt?


Das drückt sich auch in ihrer Sprache aus. Dass sie zu Karstadt gehen und nicht "nach" einem Warenhaus, will vielen von ihnen bis heute nicht einleuchten. "Nach" heißt es bekanntlich immer dann, wenn das Ziel eine Stadt oder ein Land ist. Der Bestsellerautor Bastian Sick widmete sich immer wieder diesem linguistischen Phänomen: "Firmennamen werden in der Grammatik genauso behandelt wie Personennamen. Meistens ist der Name einer Firma ja aus einem Personennamen hervorgegangen. Für Frau Jackmann scheint es sich bei Karstadt allerdings nicht um eine Firma zu handeln, sondern eher um eine Ortschaft; denn bei ihr heißt es grundsätzlich 'nach Karstadt'. Nun deutet der zweite Bestandteil des Namens ja auch auf eine stadtartige Beschaffenheit hin, und Frau Jackmann beweist immer wieder, dass man sich mühelos einen ganzen Nachmittag in dieser Stadt aufhalten kann, ohne dass einem langweilig wird." Dass sich Ausländer mit deutschen Präpositionen besonders schwertun, ist für ihn verständlich: "Die junge Generation deutscher Türken (oder türkischer Deutscher) hat in ihrem hinreißenden Jargon das Problem auf ganz einfache, klare Weise gelöst: Vor Aldi, Lidl und anderen Geschäften steht überhaupt keine Präposition mehr. Der Streit über 'nach' oder 'zu' ist hinfällig: 'Ich muss gleich noch Aldi!', heißt es zum Beispiel voll krass, oder: 'Kommste mit Karstadt?'"
Karstadt-Momentaufnahmen schildert übrigens auch der Schriftsteller und Journalist Matthias Kehle in seinem Gedichtband Drahtamseln - und spielt dabei in wenigen Worten mit Details. (2) Das Gedicht erschien am 23.08.2007 in der Wochenzeitung Die Zeit:

Karstadt RolltreppeRolltreppe Karstadt
im tiefgeschoß gart
ein fernsehkoch gemüse
für lange schlangen

eine lampe ragt aus
einer tasche ein rufer
bittet zur kasse
draußen an der luft

ists dunkel was
leuchtet ist licht.

Sinnbild für Deutschland.


Diese Beispiele zeigen, dass Karstadt mehr ist als ein Warenhaus. Karstadt ist auch ein Sinnbild für Deutschland und mit dem politischen Wiederaufstieg der Bundesrepublik untrennbar verbunden. So veröffentlichte der deutsch-jüdische Publizist Henryk M. Broder 1987 einen Text mit dem Titel "Ich liebe Karstadt". Thematisiert wurde das schwierige Verhältnis des Autors zu Deutschland - wie die Verdrängung des Nationalsozialismus oder die autoritären Strukturen der Nachkriegsrepublik. Erst als er nach Israel zieht, spürt er, was er mit Deutschland assoziiert und vermisst: Werte wie Zuverlässigkeit und Ordnung. Diese verbindet er vor allem mit Karstadt. Das Warenhaus ist seine erste Anlaufstelle in Deutschland, wenn er "nach Hause" kommt:
"Und jedesmal, wenn ich nach Köln komme, um meine Mutter zu besuchen, renne ich als erstes in die Karstadt-Lebensmittelabteilung und staune: Was für eine Ordnung! Was für eine Auswahl! Was für ein Überfluss! Diese nicht enden wollenden Theken mit Käse, Wurst und Konserven! Wie geschmackvoll präsentiert! Und wie billig! Ich führe mich auf, wie die DDR-Deutschen, die zum ersten Mal ins KaDeWe am Ku'damm gehen. Nach zwei, drei Tagen im Konsumrausch habe ich mich dann beruhigt, und statt die Bundesrepublik als eine Art großen Warenkorb zu betrachten, kann ich meine Aufmerksamkeit substantielleren Dingen widmen." (3)
Für Broder ist das Warenhaus ein positiv besetztes Symbol für Heimat und die Bundesrepublik. So ist es auch kein Zufall, dass die Ostdeutschen nach dem Mauerfall 1989 bei ihrem ersten Besuch in einem westlichen Warenhaus das Gefühl hatten, im Westen "wirklich" angekommen zu sein. All diese Beispiele zeigen, dass nicht nur die bei Karstadt angebotenen Marken, sondern vor allem Karstadt selbst als Ort emotionaler Bindung von Interesse ist. Karstadt lebt und reklamiert mit seiner engagierten Belegschaft Zukunftskompetenz. Professor Wolfgang Ullrich sagt in diesem Zusammenhang zu Recht: "Wem es gelungen ist, das stürmische 20. Jahrhundert erfolgreich zu bestehen, der braucht auch vor dem 21. Jahrhundert keine Angst zu haben!"
Die in den Medien viel zitierte Krise sollte demnach wörtlich genommen werden: So bezeichnet das griechische Wort "krisis" den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Lage - von da an wird alles besser. In der Medizin steht Krise für das Stadium einer Infektion, in der das Fieber schon wieder im Sinken begriffen ist. Krisen sind Gelegenheiten, neue Verhaltensweisen und Strategien zu entwerfen, wie Stefan W. Herzberg, Vorsitzender der Karstadt Warenhaus GmbH, als Maxime formuliert: Verantwortung heißt für ihn, "Mut und Zuversicht zu geben und Krisen als Chancen zu nützen". Denn Krisen sind kein dead end, sondern Stimulation zu Besserem. Besser Karstadt.

Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Gesellschaftspolitik bei der Arcandor AG.

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Anmerkungen

  1. Nach einem Hinweis von Wolfgang Ullrich ist die Idee des Kaufhauses vermutlich zum ersten Mal in einer Denkschrift aus dem Jahr 1671 (!) von Gottfried Wilhelm Leibniz formuliert worden. Sie soll dem Ziel der "Glückseeligmachung des menschlichen Geschlechts" dienen und schlägt zur Förderung des Handels insbesondere vor, "Magazinen und Kauffhäuser auffzurichten". G. W. Leibniz: "Grundriß eines Bedenckens von Aufrichtung einer Societät in Teutschland zu auffnehmen der Künste und Wißenschafften", in: LAA, Reihe IV, Bd. 1, S. 530-543, hier: S. 536, 542. Zitiert nach einem unveröffentlichten Manuskript von Wolfgang Ullrich.
  2. Matthias Kehle: Drahtamseln. Gedichte. Rimbaud Verlag, Aachen 2007.
  3. Henryk M. Broder: Ich liebe Karstadt und andere Lobreden. Ölbaum Verlag, Augsburg 1987, S. 195.

Staunen. Das Bild entstand im Karstadt Warenhaus in München. Foto: Peter Stumpf

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Alexandra Hildebrandt

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