Kommste mit Karstadt?
Das drückt sich auch in ihrer
Sprache aus. Dass sie zu Karstadt gehen und nicht "nach" einem
Warenhaus, will vielen von ihnen bis heute nicht einleuchten.
"Nach" heißt es bekanntlich immer dann, wenn das Ziel eine Stadt
oder ein Land ist. Der Bestsellerautor Bastian Sick widmete sich
immer wieder diesem linguistischen Phänomen: "Firmennamen werden
in der Grammatik genauso behandelt wie Personennamen. Meistens
ist der Name einer Firma ja aus einem Personennamen
hervorgegangen. Für Frau Jackmann scheint es sich bei Karstadt
allerdings nicht um eine Firma zu handeln, sondern eher um eine
Ortschaft; denn bei ihr heißt es grundsätzlich 'nach Karstadt'.
Nun deutet der zweite Bestandteil des Namens ja auch auf eine
stadtartige Beschaffenheit hin, und Frau Jackmann beweist immer
wieder, dass man sich mühelos einen ganzen Nachmittag in dieser
Stadt aufhalten kann, ohne dass einem langweilig wird." Dass sich
Ausländer mit deutschen Präpositionen besonders schwertun, ist
für ihn verständlich: "Die junge Generation deutscher Türken
(oder türkischer Deutscher) hat in ihrem hinreißenden Jargon das
Problem auf ganz einfache, klare Weise gelöst: Vor Aldi, Lidl und
anderen Geschäften steht überhaupt keine Präposition mehr. Der
Streit über 'nach' oder 'zu' ist hinfällig: 'Ich muss gleich noch
Aldi!', heißt es zum Beispiel voll krass, oder: 'Kommste mit
Karstadt?'"
Karstadt-Momentaufnahmen schildert übrigens auch der
Schriftsteller und Journalist Matthias Kehle in seinem
Gedichtband
Drahtamseln - und spielt dabei in wenigen Worten mit
Details. (2) Das Gedicht erschien am 23.08.2007 in der
Wochenzeitung
Die Zeit:
Rolltreppe Karstadt
im tiefgeschoß gart
ein fernsehkoch gemüse
für lange schlangen
eine lampe ragt aus
einer tasche ein rufer
bittet zur kasse
draußen an der luft
ists dunkel was
leuchtet ist licht.
Sinnbild für Deutschland.
Diese Beispiele zeigen, dass
Karstadt mehr ist als ein Warenhaus. Karstadt ist auch ein
Sinnbild für Deutschland und mit dem politischen Wiederaufstieg
der Bundesrepublik untrennbar verbunden. So veröffentlichte der
deutsch-jüdische Publizist Henryk M. Broder 1987 einen Text mit
dem Titel "Ich liebe Karstadt". Thematisiert wurde das schwierige
Verhältnis des Autors zu Deutschland - wie die Verdrängung des
Nationalsozialismus oder die autoritären Strukturen der
Nachkriegsrepublik. Erst als er nach Israel zieht, spürt er, was
er mit Deutschland assoziiert und vermisst: Werte wie
Zuverlässigkeit und Ordnung. Diese verbindet er vor allem mit
Karstadt. Das Warenhaus ist seine erste Anlaufstelle in
Deutschland, wenn er "nach Hause" kommt:
"Und jedesmal, wenn ich nach Köln komme, um meine Mutter
zu besuchen, renne ich als erstes in die
Karstadt-Lebensmittelabteilung und staune: Was für eine Ordnung!
Was für eine Auswahl! Was für ein Überfluss! Diese nicht enden
wollenden Theken mit Käse, Wurst und Konserven! Wie geschmackvoll
präsentiert! Und wie billig! Ich führe mich auf, wie die
DDR-Deutschen, die zum ersten Mal ins KaDeWe am Ku'damm gehen.
Nach zwei, drei Tagen im Konsumrausch habe ich mich dann
beruhigt, und statt die Bundesrepublik als eine Art großen
Warenkorb zu betrachten, kann ich meine Aufmerksamkeit
substantielleren Dingen widmen." (3)
Für Broder ist das Warenhaus ein positiv besetztes Symbol
für Heimat und die Bundesrepublik. So ist es auch kein Zufall,
dass die Ostdeutschen nach dem Mauerfall 1989 bei ihrem ersten
Besuch in einem westlichen Warenhaus das Gefühl hatten, im Westen
"wirklich" angekommen zu sein. All diese Beispiele zeigen, dass
nicht nur die bei Karstadt angebotenen Marken, sondern vor allem
Karstadt selbst als Ort emotionaler Bindung von Interesse ist.
Karstadt lebt und reklamiert mit seiner engagierten Belegschaft
Zukunftskompetenz. Professor Wolfgang Ullrich sagt in diesem
Zusammenhang zu Recht: "Wem es gelungen ist, das stürmische 20.
Jahrhundert erfolgreich zu bestehen, der braucht auch vor dem 21.
Jahrhundert keine Angst zu haben!"
Die in den Medien viel zitierte Krise sollte demnach
wörtlich genommen werden: So bezeichnet das griechische Wort
"krisis" den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Lage - von
da an wird alles besser. In der Medizin steht Krise für das
Stadium einer Infektion, in der das Fieber schon wieder im Sinken
begriffen ist. Krisen sind Gelegenheiten, neue Verhaltensweisen
und Strategien zu entwerfen, wie Stefan W. Herzberg, Vorsitzender
der Karstadt Warenhaus GmbH, als Maxime formuliert: Verantwortung
heißt für ihn, "Mut und Zuversicht zu geben und Krisen als
Chancen zu nützen". Denn Krisen sind kein
dead end, sondern Stimulation zu Besserem. Besser
Karstadt.
Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Gesellschaftspolitik bei der Arcandor AG.
Gesucht: Karstadt-Geschichten
Kontakt:
|
Anmerkungen
- Nach einem Hinweis von Wolfgang Ullrich ist die Idee des Kaufhauses vermutlich zum ersten Mal in einer Denkschrift aus dem Jahr 1671 (!) von Gottfried Wilhelm Leibniz formuliert worden. Sie soll dem Ziel der "Glückseeligmachung des menschlichen Geschlechts" dienen und schlägt zur Förderung des Handels insbesondere vor, "Magazinen und Kauffhäuser auffzurichten". G. W. Leibniz: "Grundriß eines Bedenckens von Aufrichtung einer Societät in Teutschland zu auffnehmen der Künste und Wißenschafften", in: LAA, Reihe IV, Bd. 1, S. 530-543, hier: S. 536, 542. Zitiert nach einem unveröffentlichten Manuskript von Wolfgang Ullrich.
- Matthias Kehle: Drahtamseln. Gedichte. Rimbaud Verlag, Aachen 2007.
- Henryk M. Broder: Ich liebe Karstadt und andere Lobreden. Ölbaum Verlag, Augsburg 1987, S. 195.
Staunen. Das Bild entstand im Karstadt Warenhaus in München. Foto: Peter Stumpf
© changeX Partnerforum [05.05.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 08.05.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
ARCANDOR AG
Weitere Artikel dieses Partners
Arcandor engagiert sich für Mikroförderung. zum Report
Wie die Initiative "Verantwortung tragen" zu einem Selbstläufer wurde - ein Gespräch mit Alexandra Hildebrandt. zum Interview
Wie Karstadt ums Überleben kämpft. zum Report