Die Leibhaftigen
Das Versprechen der Schönheit erlebt einen Wandel zu Natürlichkeit und Authentizität - ein Essay von Alexandra Hildebrandt.
Wer ist schöner? Wer ist besser? Während in Reality-Shows das Zerrbild einer normierten Schönheit zelebriert wird, ist das Frauenbild längst im Umbruch. Kampagnen von Body Shop und Dove haben einem neuen Schönheitsideal den Weg geebnet. Statt Normmaßen zählen nun Eigenart und Mannigfaltigkeit. Be yourself!, ist die Botschaft an die selbstbewusste Frau von heute. Und immer mehr Unternehmen folgen dem Trend zu natürlicher Schönheit und Authentizität. / 27.06.08
Foto: Peter Stumpf, Düsseldorf.
"Be yourself!"
Frauen sollen sich mögen (dürfen), so wie sie sind.
"Schönheit ist die Freude am Lebendigen, Unregelmäßigen."
Roald Hoffmann, Chemienobelpreisträger

Wer ist schöner? Wer ist besser? In Reality-Shows wie "Germany's Next Topmodel" oder "America's Next Top Model" muss der ständige Vergleich ausgehalten werden. Es geht um das Wenige, das in der Welt des schönen Scheins alles ist: um die Schönheit. Ohne zu hinterfragen, was als schön gilt oder gelten soll. Diejenige jedoch, deren Schönheit erst mal feststeht, kann sich eines sicher sein: ihres Wertes. Genau darin jedoch sieht Erika Pluhar, Schauspielerin, Chansonsängerin, Autorin und "Gegnerin des gestylten Lebens", das "Ja zur totalen Selbstentwertung". Denn die Schönheit der Reality-Shows ist nicht mehr Wirklichkeit, Lebendigkeit. Ist nicht echt, lebt nicht mehr.
Dieses Nicht-identisch-Sein mit sich selbst machte auch Wolfang Joop bereits vor einigen Jahren zum Thema seines Romans Im Wolfspelz. Dessen Hauptfigur ist besessen vom Gedanken an das wahre Leben, das er ironischerweise durch Puppenspiel und den Kampf um Aufmerksamkeit zu realisieren sucht. Es ist eine kalte, fragwürdige Wahrheit, die sich in Kleiderpuppen ohne geistige Substanz manifestiert. Die Nachahmungen sind tot, tun aber so, als wären sie lebendig. "Puppen müssen funktionieren. Je abstrakter ihre Persönlichkeit ist, desto leichter kann ein Puppenspieler, ihr Mieter für einige Stunden, seine Vorstellung von Wirklichkeit auf sie projizieren. Was dann entsteht, nennt sich Zeitgeist." Dieser Zeitgeist jedoch verdrängt die Wirklichkeit, gaukelt vor, entfremdet. Setzt Inszenierung anstelle von Authentizität. Was zählt, ist der Applaus, der den Puppen schon vor ihrem Auftritt das Leben ausgehaucht hat. Und die Puppen, das könnten wir sein. "Nicht der sorglose Genuss, nein, die Sorge, dass die andern auch schauen", schreibt Georg Franck in seinem Bestseller Ökonomie der Aufmerksamkeit, werde "zum tragenden Lebensgefühl in der Wohlstandsgesellschaft".

Zerrbild einer normierten Schönheit.


Die Mär vom stolzen Schwan ist ein Traum, der noch längst nicht ausgeträumt ist. Denn das gegenwärtige Zerrbild einer normierten Schönheit verwandelt fast jeden in das hässliche Entlein, das sich nichts sehnlicher wünscht, als aus dem eigenen Albtraum endlich aufwachen zu dürfen. Und sei es durch einen Schnitt ins eigene Fleisch. Den Preis dafür zahlen ja die anderen, könnten die Kandidatinnen der Reality-Show "The Swan" gedacht haben, die das Versprechen der Schönheit angelockt hat. Psychologisch "betreut" schnitten plastische Chirurgen in der 2004 im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlten Show junge Frauen zurecht und nähten das Kandidatinnen-Material neu zusammen. Jede der Kandidatinnen bekam ein Team von Spezialisten zur Seite gestellt - ein Coach, ein Therapeut, ein Schönheitschirurg und ein Zahnarzt -, die die Runderneuerung des Menschenmaterials zu ihrer Aufgabe machten. Die Zuschauer erlebten eine narzisstische Wiedergeburt. Je größer der Schnitt zwischen Sein und Schein, umso besser. Und das Transformationsteam applaudierte schlussendlich den Kandidatinnen. Vielmehr jedoch sich selbst und der schneidigen Fähigkeit, Menschen zu Puppen gemacht zu haben.
"Wir verlieren unsere Werte", sagt denn auch Deutschlands bekanntester Schönheitschirurg Werner Mang. Die Menschen hingen am schönen Schein und fänden so nicht mehr zu sich selbst. "Man achtet immer mehr auf Äußerlichkeiten und übernimmt keine Verantwortung." Das unausgesprochene Diktum: Was wahr ist, kann nicht schön sein.
Dabei fielen Wahrheit und Schönheit für das griechische Denken noch zusammen. Ebenso in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Mode noch als Erweiterung des Körperausdrucks galt: Sie sollte die Person repräsentieren, wie sie "in Wahrheit" ist. Die natürliche Welt jenseits der Pose wurde als höhere Wahrheit verstanden. "Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit Schönheit, das ist alles, was ihr auf Erden wisst, was ihr zu wissen braucht", schrieb der englische Dichter John Keats.

Eigenart und Mannigfaltigkeit.


Foto: Peter Stumpf, Düsseldorf.
Foto: Peter Stumpf, Düsseldorf.
Sich wohlfühlen und gut aussehen � das ist die Botschaft der Karstadt-Eigenmarke MyLine. Die Kollektion richtet sich an eine modisch-selbstbewusste, authentische Zielgruppe zwischen 30 und 40 Jahren.
Genau dieses Wissen scheint nun vielfach neu belebt zu werden. Das Frauenbild ist im Umbruch. In den vergangenen Jahren verlangten "echte" Frauen wie die Gründerin von The Body Shop, Anita Roddick, von der Schönheitsindustrie eine Neudefinition der Schönheit, die die gesellschaftliche Sicht auf Frauen verändern sollte. Und zwar eine, welche Eigenart und Mannigfaltigkeit berücksichtigt, statt einen körperlichen Idealzustand zu propagieren: "Es wird Zeit für eine ganzheitliche Betrachtung, die zugleich Körper und Seele, Geist und Charakter gelten lässt." Von zentraler Bedeutung sind dabei Natürlichkeit, Selbstbestimmtheit, Individualität, Ausstrahlung und Haltung, die mit Kultiviertheit und Individualität zu tun haben. Wahre Schönheit wird als Ausstrahlung eines Menschen empfunden. So sieht es auch Erika Pluhar, für die Schönheit Lebendigkeit ist. Frauen sollen sich mögen (dürfen), so wie sie sind.
Denn Schönheit hat nicht nur mit Aussehen zu tun, sondern mit der gesamten Persönlichkeit. Mit der Ruby-Kampagne, die sich gegen gängige Schönheitsideale richtete und für mehr Selbstbewusstsein und Wohlbefinden eintrat, hat The Body Shop International im Jahr 1998 Millionen von Frauen angesprochen. Auch Nivea arbeitet mit ähnlichen Inhalten. Die jüngste Kampagne "Schönheit ist Liebe" liefert die entsprechenden Definitionen gleich mit: "Mal liegt sie an der Oberfläche, mal strahlt sie von innen." Oder: "Schönheit ist das Einzige auf der Welt, was wir sowohl mit den Augen als auch mit dem Herzen sehen." Sie ist "individuell, vielfältig und wunderbar wie das Leben selbst".
Das veränderte auch die Repräsentanten der Schönheit. "Keine Models, aber straffe Kurven." Mit diesem Satz schrieb Jörg Herzog, Kreativdirektor der Agentur Ogilvy & Mather in Düsseldorf, Werbegeschichte. Als er früher bei einer Plattenfirma arbeitete, kam er angesichts eines Fotos der ungeschminkten Madonna vor weißem Hintergrund auf die Idee, anstelle des Popstars mollige Frauen mit starker Ausstrahlung ins Bild zu rücken - die Grundidee der Dove-Kampagne war geboren. Doch es dauerte noch einige Zeit, bis es so weit war. Aus dem Konzept, mit "normalen" Menschen zu werben, entstand dann die Idee der "Dove-Aktion für mehr Selbstwertgefühl". Sie wirbt für wahre Schönheit und stellt überzogene Schönheitsideale infrage. Erklärtes Ziel: "Kindern und Jugendlichen zu helfen, ein realistisches Bild von Schönheit zu gewinnen und mit einem gesunden Selbstbewusstsein im Umgang mit dem eigenen Äußeren aufzuwachsen". Die Aktion lädt ein, "eine breitere Definition von Schönheit zu unterstützen und zu fördern". Damit zeigte Dove, dass es gut ist, zu dem zu stehen, wie frau ist. Und zu zeigen, dass sie trotzdem eine positive Ausstrahlung und Sex-Appeal hat - selbst wenn vielleicht ein paar mehr Kilo zu viel "drauf" sind. Die authentische Werbung, die normale Frauen mit "Problemzonen" und Falten zeigte, war richtungweisend. Der Kosmetikhersteller änderte die Sicht auf Frauen und ihr Älterwerden.

Natürliche Schönheit.


Foto: Peter Stumpf, Düsseldorf. So verwundert es auch nicht, dass der Markt für große Größen (ab Konfektionsgröße 44) 2008 überdurchschnittlich gewachsen ist. Schon 2007 hat er innerhalb der Damenoberbekleidung eine rasante Entwicklung genommen und wird auch künftig von den Beteiligungsgesellschaften der Arcandor AG ausgebaut. So führt Karstadt die erfolgreiche Lifestylemarke MyLine und Quelle Meine Größe. Beide Marken wollen Identifikation stiften. So heißt es in der Markenphilosophie von MyLine: "MyLine ist für starke Frauen, die sich nicht wegen ihrer Figur verstecken möchten, sondern selbstbewusst, lebensbejahend, aktiv und attraktiv erscheinen möchten." Und weiter: "MyLine-Kundinnen sind sich ihrer Sinnlichkeit bewusst." Sinnlichkeit ist nicht von Schönheitsidealen abhängig, sondern eingebunden in ein besonderes Körpergefühl. "Echte" Frauen wie die Schauspielerin Christine Neubauer, die Autorin Susanne Fröhlich, die Sängerin Angelika Milster, die Politikerin Renate Schmidt oder die TV-Moderatorin Tine Wittler haben ihren Typ akzeptiert und verschwenden keinen Gedanken daran, dass Attraktivität eine Frage der - schmalen - Figur sein könnte. In jedem Pölsterchen steckt Leben, und das sollte man(n) nicht wegschneiden. "Die Erscheinung verbirgt nicht das Wesen, sondern sie enthüllt es: Sie ist das Wesen." Jean-Paul Sartres Erkenntnis ist so wahr wie die von ihnen verkörperte Schönheit. Sie möchten ihr Selbst nicht verhüllen, sondern betonen.
Das gilt auch für Marken, deren Inhalt überzeugt. Für Sabina de Castro, Bereichsleiterin Marketing, Produkt-PR, Kooperationen und Sponsoring bei der Karstadt Warenhaus GmbH, hat eine wirkliche Marke "ein Innenleben, eine Aura, eine Geschichte und löst Emotionen aus - deswegen wird sie schließlich gekauft, nicht weil es ein austauschbarer Baumwollfetzen ist. Für die Nachhaltigkeit muss ein einzigartiger Markenwert geschaffen werden, der kurzfristige Trends und Modeströme überdauert." Davon ist auch Annett Koeman überzeugt, die Leiterin des Designcenters Norintra House of Fashion in Hongkong, in dem unter anderem Mode für Karstadt, Quelle und Neckermann designt wird. Auch für MyLine wird hier gearbeitet. Die Marke steht für honest fashion, eine aufrichtige Haltung und Unverwechselbarkeit. Der dahinter stehende Prozess wird von den Norintra-Designern mitgestaltet - gemäß der Beschreibung von Walter Gropius: "Die Mission des Designers ist es, einem Produkt, tot geboren aus der Maschine, eine Seele einzuhauchen."
"Be yourself!" So lautet das Versprechen der Schönheit heute. Damit wird sie wieder das, was sie sein sollte: natürlich.

Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Gesellschaftspolitik bei der Arcandor AG.

Fotos: Peter Stumpf, Düsseldorf.

Kontakt:
Arcandor AG
Dr. Alexandra Hildebrandt
Leiterin Gesellschaftspolitik
Theodor-Althoff-Straße 2
D-45133 Essen
Tel.: +49 (0)201/ 727-96 62
Fax: +49 (0)201/ 727-69 96 62
alexandra.hildebrandt@arcandor.com
www.arcandor.com

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Alexandra Hildebrandt

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