Meine Beziehung zur Wüste hat eine sehr lange Vorgeschichte. Für viele Menschen hierzulande, die wir in der Komfortzone leben, ist die Wüste die schlimmste Landschaft, der man sich aussetzen kann. Ein Synonym für Trostlosigkeit und Öde. Wer freiwillig in eine Wüste geht, muss doch verrückt sein. Irgendwann bei einer meiner Reisen entlang der berühmten Seidenstraße stand ich am Rande eines solchen Sandhaufens für Erwachsene. Eine Wüste im Westen Chinas, die man Taklamakan nennt, zu Deutsch: "Begib dich hinein, und du kommst nie wieder heraus." Also kein sehr einladender Name, und genau das hat mich gereizt. Wie fühlt es sich an, wenn man sich einer reduzierten, völlig fremden Welt aussetzt? Was sind es für sinnliche Erlebnisse in einer Welt ohne Lärm, wo man nur noch sich selber hört - kriegt man da Angst vor sich selbst? Ich wollte nie im Paris-Dakar-Stil dort hinein, sondern zu Fuß - eine zutiefst menschliche Erfahrung. Die Einheimischen, denen ich von meinem Plan erzählte, reagierten sehr befremdet. Dieser Fremdling könnte sich ein Auto leisten, will aber zu Fuß durch die Wüste laufen. Das war für sie nicht nachvollziehbar.
Ich habe unberührte Natur sehr früh schon als Lernort für mich empfunden. Das waren anfangs die Alpen, wo ich beim Klettern meinen Mut schulen konnte. Das hatte etwas von Adrenalin-Sucht, als Gegenpol zu dem Leben, das ich in der häuslichen Komfortzone führte.
Wenn man seine eigenen Grenzen überschreiten will, muss man auf sich allein gestellt sein. Viele von uns sind Erwartungsweltmeister, die ihre Zukunft absichern wollen und erwarten, dass sich diese Sicherheit erhält. Selten sind wir wirklich, ohne Netz, auf uns alleine gestellt.
Das könnte beides sein. Aber ich habe dann gemerkt, dass es eine fantastische Erfahrung ist, einmal in sein Portfolio zu schauen: in die Möglichkeiten, die man als Mensch hat, die eigenen Ressourcen und Horizonte. Es ist ein Akt, sich selbst gewahr zu werden.
Richtig, man überschreitet Grenzen. Jegliche Innovation ist nur in der Zone der Herausforderung möglich. Dort muss man Kreativität, Durchsetzungsvermögen, intuitives Wissen, emotionale Intelligenz und alle körperlichen Fähigkeiten einsetzen. Die ganze Summe dessen, was ich bin. Nur dort kann ich mehr über mich erfahren und neue Chancen nutzen.
Viel Neues. Der Alleingang in der Wüste Gobi war eine Schwelle, an die ich mich 20 Jahre lang herangetastet habe. In vielen Versuchen, ein Fastverdursten inbegriffen, das war bitteres Lehrgeld. Heute sage ich: Eine Innovation ist ohne Fehler nicht möglich.
Ich bin zuerst mit Karawanen gezogen. Ich wollte lernen, den Code der Wüste zu verstehen. Es ist überlebenswichtig, auch das schwächste Zeichen im Sand, das auf Wasser hindeutet, zu erkennen. Mein Sicherheitsnetz waren die Kamele mit Wasserbehältern hinter mir, quasi als mobile Oase. Menschen benötigen vier Liter Wasser am Tag. Das kann man sich schnell ausrechnen: Wie viel davon kann ich auf dem eigenen Rücken tragen, wie viele Tage kann ich bei null Luftfeuchtigkeit überleben? Dann kam irgendwann die Idee, ob ich nicht versuchen sollte, das scheinbar Unmögliche zu probieren. Das hatte vorher nie jemand versucht, es gab keine Erfahrungen, die ich dafür nutzen konnte. Ich wählte eine Passage, die ich schon mit Kamelen gegangen war. Auf dieser Route kannte ich Wasserstellen und konnte sie mit dem GPS-Gerät wieder finden. Meine Strategie war, immer mit dem letzten Tropfen bis zur nächsten Wasserstelle zu kommen. Dort tanken und weitergehen.
Die unbekannte Variable war, dass ich nicht wusste: Mit wie wenig Wasser kann ich wie weit laufen, bei welchem Gewicht am Rücken? Bei den Karawanen hatte ich nur einen kleinen Rucksack getragen, da kam ich mit drei Litern acht bis neun Stunden aus. Und in einer Kamelkarawane wird abends Gemüse und Reis gekocht, es gab Obst, sprich wasserreiche Kost. Das fiel als Sologänger weg, ich musste mit drei Litern tatsächlich 24 Stunden mit einem enorm schweren Rucksack auskommen. Zum Teil über hohe Sandberge. Ich wusste nicht, wie schnell ich bei diesem Auf und Ab austrocknen würde. Bei meinem ersten Versuch 1996 war schon nach fünf Tagen das schlimmste Szenario eingetreten. Ich war mitten in dieser Wüste, der letzte Tropfen Wasser war verbraucht, ich bin dann auf allen vieren zum letzten Wasserpunkt gekrochen und konnte gerade noch das chinesische Wort für Wasser lallen. Ein Hirte, der dort lebte, half mir, aber ich brach den Versuch ab - aber nur, um besser vorbereitet wiederzukommen.
Ich war völlig überzeugt, dass meine Erfahrung als Gegengewicht zum Risiko ausreichen würde, um diesen Schritt ins Neuland wagen zu können. Ohne ein gewisses Risiko geht es nicht, wenn man neue Erfahrungen machen will. Ich hatte hohe Ideale, ich wollte eine Alleinerfahrung und noch tiefere spirituelle Erlebnisse der Einheit. Und natürlich war auch Ego dabei, sportlicher Ehrgeiz. Ohne Begleiter, ohne Fernsehkamera, ohne die Möglichkeit, ein SOS zu senden. Ich wollte mich mit der ungeheueren Angst konfrontieren, die aufsteigt, wenn der letzte Tropfen verbraucht ist. Deshalb wagte ich 2003 den zweiten Versuch.
Nach dem gescheiterten Versuch war da ein Tunnel, der mich magisch hineinzog. Ich wusste, ich würde eine Erfahrung machen, die für mein Leben wichtig sein würde. Die Wüste ist die Landschaft, die dem Menschen die engsten Grenzen steckt und auf der anderen Seite den Geist befreit. Man kann dort tagelang laufen, ohne einen Ton zu hören, außer seinem Atem, man spinnt seine Gedankenketten ohne Störung. Keine Ablenkung durch bunte Blumen und schöne Berge im Außen, die Aufmerksamkeit kann ganz nach innen gehen. Dort muss man sehr aufmerksam seinen Geist beobachten, sonst verzweifelt man, wenn ein Sandberg aussieht wie der andere. Geistesgegenwärtigkeit und Selbstverantwortung sind die wichtigsten Faktoren. Man begreift etwas Existenzielles: Nur in der Bewegung kann der Mensch in der Wüste überleben, Stillstand heißt physischer Tod. Abgeleitet kann man sagen, wer nicht offen und bereit ist, Neues zu lernen, ist eigentlich schon tot. Dynamische Veränderung ist die Grundkonstante des Lebens.
Alle Menschen hegen ähnliche Sehnsüchte. Aber sie finden verschiedene Antworten darauf. Die Unterschiedlichkeit dieser Lebenswege hat mich immer schon interessiert. Ich bin in einer kleinen, dörflichen Gemeinschaft in Österreich aufgewachsen. Das empfand ich damals als extreme geistige Begrenzung. Als 16- und 17-Jähriger machte ich Rucksackreisen, die für mich mehr waren als nur Zeitvertreib. Ich sah die Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.
Asien hat andere Antworten gefunden, man muss fast in der Vergangenheitsform reden. Dort lag für mich immer der große Gegenpol zur westlichen Welt. Indien als die spirituelle Mutter der Welt. Buddha und Konfuzius als große Denker, die nach Erkenntnis suchten. In asiatischen Kulturen wurden schon früh der menschliche Geist und seine Bewegungen erforscht. Sie sind auf dem inneren Weg weiter gekommen als wir, davon können wir heute lernen.
Ich habe früher meine Reisen immer so abgeschlossen, dass ich mit der Transsibirischen Eisenbahn zurückgereist bin, in acht Tagen von China nach Europa, um diesen Europaschock zu vermeiden, als langsame Annäherung. Und doch scheint mir dann vieles fremd. Etwa dass wir uns hier mit Problemen beschäftigen, die einem Tibeter als absolut lächerlich erscheinen. Das ist das Fruchtbare an der Begegnung mit anderen Kulturen: Man stellt die eigene infrage. Und integriert Neues.
Ja. Es gibt dieses Vorurteil, dass eine lebensfeindliche, harte Umgebung das Herz der Menschen versteinern lässt. Ich habe immer die gegenteilige Erfahrung gemacht. In der Gebirgswüste in Tibet kamen Menschen ohne Maske, ohne gestyltes Image auf mich zu. Wir im Westen besitzen zwar viel, viel mehr materielle Reichtümer, aber der Glücksfaktor ist geringer. Arm, aber glücklich, das ist zwar ein Stereotyp, hat aber auch eine gewisse Richtigkeit. Wer weniger Bedürfnisse hat, kann sie sich leichter erfüllen. Wer mehr besitzt, braucht viel Energie, um seinen Besitz zu behalten und zu vermehren - und hat die Angst, ihn wieder zu verlieren.
Der Tourismus ist als große Bewegung entstanden, weil wir eine geteilte Welt haben. Hier die Arbeit, dort die Freizeit. Ich sehe Tourismus nicht pauschal negativ, in Nepal beispielsweise erhält er lokale Kulturen und Kunsthandwerke. Aber ob Reisen der Völkerverständigung dienen? Wer zu Hause intolerant und rassistisch denkt, wird es auch im Urlaub tun. Er kann seine Haut nicht abstreifen. Pauschaltouristen lassen sich weniger aufs jeweilige Land ein, übernachten in Sternehotels, bewegen sich in "sicheren" Enklaven. Die lassen sich kaum auf das Fremde ein. Aber die sogenannten Individualtouristen, die das Ursprüngliche suchen, verändern und zerstören auch viel Traditionelles. Theoretisch birgt Reisen, die persönliche Begegnung mit dem Anderen, die Chance, Vorurteile abzubauen. Aber praktisch funktioniert es eher selten.
Das liegt daran, dass die meisten Touristen eben nicht das Fremde suchen, sondern nur an exotischem Beiwerk ihres Urlaubs interessiert sind. Sie kriegen ihre Massaitänze im Hotel und nach dem Abendessen serviert. Aber vielleicht ist das besser, als würden sie wie Heuschrecken ausschwärmen und mit ihren Digitalkameras in jede Hütte einbrechen.
Der entscheidende Faktor ist die Zeit, die man zur behutsamen Annäherung hat. Und die Stetigkeit, indem ich einen Ort immer wieder besuche. Sie kennen das: Wenn Sie nur ein Mal irgendwo sind, dann nimmt man nur das Vordergründige wahr, erst beim zweiten, dritten Mal blickt man ein bisschen hinter die Kulissen. Durch wiederkehrende Besuche schaffe ich eine Vertrauensbasis, dann erfahre ich mehr über den Alltag, soziale Werte oder religiöse Praktiken.
Er steht mir sehr nahe, vor allem durch persönliche Begegnungen. Allerdings ist das Land kulturell ärmer geworden, der Dalai-Lama lebt im Exil in Indien, die geistige Elite ist geflohen, viele Lehrer leben im Westen. Dennoch findet man in Tibet immer noch besondere spirituelle Kraftplätze, wo Heiligtümer und Klöster stehen, in die Pilger seit Jahrhunderten ihre edelsten, reinsten Gedanken hineinprojiziert haben.
Nach dem gescheiterten ersten Soloversuch kam eine Gruppe deutscher Topmanager auf mich zu und fragte, ob ich mit ihnen in die Wüste Gobi gehe, um dort einen Teamentwicklungsprozess durchzuspielen. Damals beschäftigte ich mich zum ersten Mal mit der Frage: Kann das überhaupt funktionieren, ihnen etwas von Grenzerfahrungen zu vermitteln und gleichzeitig 100-prozentige Sicherheit zu bieten? Ist das nur ein Gag? Ich ließ mich darauf ein und war beeindruckt, dass diese Manager nicht als Schaulustige kamen.
Die kamen ohne typische touristische Anspruchshaltung. Nach dem Motto: Diese Form der Animation habe ich gebucht und hake das ab. Nein, sie waren hoch motiviert. Ich sagte ihnen: Das ist hier die letzte Oase, die nächsten 1.000 Kilometer gibt es nur Sand, Kamele und Kameltreiber - jetzt müsst ihr euch selbst organisieren. Ich wollte ihnen eine meiner wichtigsten Erfahrungen zugänglich machen: die Fähigkeit, auf die innere Stimme zu hören. Heute würde man das emotionale Intelligenz nennen. Von Kindesbeinen an trainieren wir vor allem unseren Kopf, den analytischen, intellektuellen Verstand. Die Wüste ist eine gute Chance, an diese zweite Wissensquelle heranzukommen.
Gerade dann. Als ich mit einer Karawane in die Wüste ging, kamen nach sechs Tagen die einheimischen Kamelführer zu mir und sagten: "Du bist der Anführer, du hast uns in die Wüste gelockt, unsere Kamele haben Durst, bitte suche Wasser!" Ich schaute auf die Karte, da war keine Wasserquelle eingezeichnet, der Kopf sagte, hier gibt es kein Wasser, basta. Aber mir blieb nichts anders übrig, als mich um 360 Grad zu drehen und aus dem Gefühl heraus für eine Richtung zu entscheiden. Immer wieder habe ich intuitiv entschieden: Rechts? Links? Gleichzeitig war ich hellwach und habe auf jedes kleinste Zeichen geachtet - und dann tatsächlich Wasser gefunden.
Ja, denn sie brauchen eine gute Mischung aus Intuition und der Fähigkeit, die schwachen Signale im Markt zu vernehmen, um die richtige Richtung einzuschlagen. Topmanager beherrschen das. Ich habe die Gruppe in der Wüste in eine Situation gebracht, wo sie ausschließlich mit Bauchwissen zum Ziel kam. Und tatsächlich konnten sie sich dieser anderen Wissensquelle anvertrauen.
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Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.
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