Culture Counts. Kultur zählt. Wer würde da widersprechen
wollen? Doch der Schein trügt. In Feiertagsreden wird kulturelle
Vielfalt hochgejubelt, aber wenn es politisch konkret werden soll,
verwehren nationale Grenzzäune und Blockaden die Sicht. Ergebnis:
Man schwärmt von den Segnungen eines harmonischen, multikulturellen
Zusammenlebens - um sich dann Wichtigerem zuzuwenden.
Es gibt Gründe für diese Berührungsängste. Der wichtigste
ist banal: Die meisten verstehen nicht, wovon sie reden. Was ist
kulturelle Vielfalt eigentlich: Geht es um Ethnien? Um ein
möglichst vielfältiges kulturelles Kulturangebot in einer Stadt
oder Region? Um das Zusammenleben von Anhängern verschiedener
Religionen? Kurze Antwort: Es geht um all dieses - und um noch viel
mehr.
An dieser Stelle fängt das Projekt Culture Counts an. Es
springt medial in die Lücke und macht kulturelle Vielfalt zunächst
einmal sichtbar. Sinnlich, anschaulich, attraktiv. Ein ehrgeiziges
Projekt, es richtet seinen kosmopolitischen Blick einmal rund um
den Globus, will "Cultural Diversity" in der ganzen Breite
erfassen. Das Ziel: das Thema zu popularisieren und damit zu einem
besseren Verständnis anderer Kulturen beizutragen. Wenn Menschen
kulturelle Vielfalt spannend finden, so die Hoffnung, werden sie
achtsamer mit der Andersartigkeit der anderen umgehen.
Das zentrale Stilmittel von Culture Counts ist eine Art
Kulturzählung. Dargestellt in Form spannender Vergleiche,
staunenswerter Größenordnungen, ungewöhnlicher Kontexte. Wobei sich
die Frage aufdrängt: Kann man Kultur zählen? Davon sind die
Initiatoren Peter Felixberger und Michael Gleich überzeugt. Beide
sind erfahrene Journalisten, Bücherschreiber und Experimentatoren
auf multimedialen Feldern. "Jede kulturelle Tätigkeit lässt sich
anhand von geeigneten Indikatoren 'auszählen' - und damit
veranschaulichen", sagt Gleich. Wie im Restaurant verlangt er die
Rechnung: "Zahlen, bitte!" Culture Counts zählt Sprachen, Ethnien,
Popkultur, Unternehmenskulturen, Künste, Migranten, Religionen,
Feste, Bräuche, Subkulturen, Kulturdenkmäler, Bildung, Tänze,
Kulturmärkte, Werte, Sportarten, Zivilgesellschaft, Lieder, Soap
Operas. Auf einer interaktiven Website sollen die gefundenen Zahlen
animiert werden, als eine ungewöhnliche Mischung aus Information
und Unterhaltung (www.culture-counts.org - zurzeit noch in Entstehung).
Staunen ist ein wundersamer Vorgang, der die Herzen und Hirne
von Menschen öffnet. Zahlen und Fakten werden in Form opulenter
Grafiken anschaulich umgesetzt. So lässt sich die Aufmerksamkeit
des Publikums fesseln und dann auf komplexere Zusammenhänge
lenken.
Wussten Sie beispielsweise, dass ...
- ... es in Brasilien mehr Avon-Beraterinnen (700.000) als Soldaten (454.000) gibt?
- ... eine Japanerin im Durchschnitt 84 Jahre alt wird, eine Botswanerin dagegen nur 39?
- ... ein Drittel der (300 Millionen) Übergewichtigen auf der Welt in Entwicklungsländern lebt?
- ... Melbourne nach Athen und Thessaloniki die drittgrößte griechische Stadt ist?
- ... mehr Menschen auf der Welt die gelben McDonald's-Bögen entziffern können als das christliche Kreuz?
- ... in Kenia ein Drittel eines normalen Haushalts aus Schmiergeldbeträgen bestritten wird?
- ... mehr als 70 Prozent der Weltbevölkerung noch nie einen Wählton gehört haben?
- ... jedes Jahr zehn Sprachen aussterben?
- ... sich in Großbritannien 2001 mehr Menschen an der TV-Ausscheidung "Pop Idol" beteiligten als an den allgemeinen Wahlen?
- ... ein Drittel der Deutschen glaubt, ein "Freitag der 13." habe eine besondere Bedeutung?
- ... noch nie ein Land, in dem es McDonald's gibt, mit einem anderen Land, in dem es ebenfalls McDonald's-Filialen gibt, Krieg geführt hat?
Mit solchen "numerischen Kurzgeschichten" geht Culture Counts thematisch in die Breite, mit
dem Stilmittel der Reportage erfolgt die publizistische
Tiefenbohrung. Teams von Reportern und Fotografen werden weltweit
an Orte geschickt, an denen der Kontakt unterschiedlicher Kulturen
nicht nur friedlich, sondern vor allem konstruktiv stattfindet.
"Globalisierung führt dazu, dass sich Fremdes heute häufiger
begegnet als jemals zuvor", sagt Peter Felixberger, "uns
interessiert: Was ist der innovative, kreative Impuls, der von
dieser neuen Nähe ausgeht?"
Eine solche Sichtweise, von den beiden Machern
"post-pessimistisch" genannt, könnte die aktuellen Diskussionen um
Migration und Integration in Deutschland inspirieren. Da herrscht
eine tiefe Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Wir wünschten
uns einen friedlichen, gegenseitig inspirierenden Alltag mit
Menschen aus anderen Kulturen. Neugierde auf das Fremde, lernen von
anderen Sichtweisen - so das politisch korrekte Programm. Die
Wirklichkeit sieht jedoch so aus. Es kracht vielerorts,
Fremdenfeindlichkeit ist weit verbreitet, zwischen Kulturen und
Religionen herrscht mehr Unverständnis als Toleranz.
In dieser Situation wird gerne die These von Samuel
Huntington hervorgeholt, wonach ein "Clash of Civilizations" drohe.
Der Dritte Weltkrieg, diesmal als prophezeiter Endkampf zwischen
Christen und Muslimen (Balkan), zwischen Hindus und Buddhisten (Sri
Lanka), zwischen Juden und Muslimen (Israel). Dass sich dort nicht
Kulturen bekriegen, sondern um die Machtteilung zwischen
Volksgruppen gekämpft wird, fällt unter den Tisch.
Kulturelle Vielfalt als zivilisatorischen Reichtum des
Planeten zu inszenieren: Mit dieser Herangehensweise setzt Culture
Counts ein mediales Gegengewicht. Dieser Perspektivwechsel dürfte
besonders bei einer Zielgruppe ankommen: bei Schülern und
Jugendlichen. Sie sind verunsichert durch die täglichen
Schlagzeilen über Gewaltkonflikte und Hassprediger vieler Couleur.
Sie brauchen Beispiele der Ermutigung, um bereit zu sein, offen,
neugierig und konstruktiv auf andere Kulturen und deren Eigenarten
zuzugehen. Um für den Schulunterricht und die Erwachsenenbildung
Material anbieten zu können, arbeitet Culture Counts mit dem
Institut für Friedenspädagogik in Tübingen zusammen.
Die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) ist ebenfalls Partner
von Culture Counts: "Wir haben uns in den vergangenen Jahren für
eine internationale Konvention stark gemacht, die kulturelle
Vielfalt schützt und fördert", sagt Dr. Christine Merkel,
Referentin für Kultur und Kommunikation. "Nun wollen wir auch in
der Öffentlichkeit für den Wert dieser Vielfalt werben. Dafür ist
Culture Counts ein idealer Medienpartner."
Felixberger und Gleich knüpfen ein ungewöhnliches Netzwerk.
Darin arbeiten Journalisten, Fotografen, Pädagogen, Kulturforscher
und -experten zusammen. Das Institut für Auslandsbeziehungen,
Stuttgart, findet sich, so dessen Leiter Prof. Jürgen Maaß, "in
voller Übereinstimmung mit dem konstruktiven, optimistischen
Ansatz" und arbeitet ebenfalls mit. Weitere Partner finden die
beiden Koordinatoren unter großen Unternehmen, die sich als Global
Player mit den unterschiedlichsten kulturellen Gegebenheiten auf
regionalen Märkten auseinandersetzen müssen und auch unter ihren
Mitarbeitern auf "Vielfalt" Wert legen. In internationalen
Unternehmen steht Cultural Diversity ganz oben auf der Agenda.
Warum? In Zeiten der Globalisierung wollen sie mehr über Kunden,
Mitarbeiter und Lieferanten wissen. Über deren Kulturen,
Lebensstile, Werte und Verhaltensmuster. Das Fremde verstehen
wollen ist die Basis erfolgreichen Wirtschaftens. Culture Counts
macht dies sichtbar, begreifbar und verständlich.
Eine Public Private Partnership ist im Entstehen, in der
Firmen, Kulturinstitute, Forscher und Medienmacher
zusammenarbeiten. Welche Kraft diese PPP entfalten kann, zeigten
die beiden Vorgängerprojekte: "Life Counts" zählte alle Tiere auf
der Welt (oder fast alle ...) und führte das Umweltprogramm der
Vereinten Nationen, die Weltnaturschutzunion und einen globalen
Pharmakonzern zusammen. "Peace Counts" dokumentierte die Arbeit
erfolgreicher Friedensmacher weltweit und fand für seine Reportagen
35 Millionen Leser; hier kooperierten DUK, Auswärtiges Amt, Bonn
International Center for Conversion und die Journalistenagentur
Zeitenspiegel. "Wir werden diese Erfolge mit Culture Counts
wiederholen", geben sich Felixberger und Gleich optimistisch,
"dabei aber auch ganz neue Medienformate ausprobieren. Schließlich
sollen die Counts-Projekte vorbildlich vielfältig sein."
Kontakt:
Michael Gleich
michael@culture-counts.de
Web:
www.aja-online.org/de/culture-counts/ueber-culture-counts/
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Autor
Michael GleichMichael Gleich, Publizist, Stroryteller und Redner, hat 2011 "der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen" initiiert. Es berät Veranstalter darin, Konferenzen und Foren als lebendige Lernorte zu gestalten.