Zum Thema Führung ist unendlich viel geschrieben worden. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr hat sich eine Nebelwand vor mir aufgebaut. Und dann bin ich darangegangen, das gesammelte Wissen zu systematisieren, die Essenz daraus zu ziehen. Bis schließlich etwas übrig blieb, von dem ich wusste, dass es funktioniert. Aber ich bin damit noch nicht an die Öffentlichkeit gegangen, sondern habe es erst vier Jahre in der Praxis umgesetzt und habe noch mal die Ergebnisse einfließen lassen. So, und nun ist die Sache so rund, so klar auf den Punkt gebracht, dass ich mich traue zu sagen: Das ist es, jetzt kann es an die Öffentlichkeit.
Das Wort "führen" ist im Deutschen schon ein wenig missverständlich. Außerdem hatte ich die Sorge, nur die Leute anzusprechen, die sich als Führungskräfte fühlen. Mein Anspruch ist es aber, das Thema Führung in die Breite zu bringen. Also auch Leute anzusprechen, die geführt werden oder die es interessiert, wie man systematisch Verantwortung übernehmen kann. Leading Simple ist ein Titel, der alle anspricht. Und der ausdrückt, dass es gar nicht so schwierig ist, zu führen, wie alle tun - dann nämlich, wenn wir uns auf die Dinge konzentrieren, die entscheidend sind.
Was schafft Vertrauen in die Führung? Das ist Berechenbarkeit, das ist Nachvollziehbarkeit, das ist Transparenz. Wenn Leute nachvollziehen können, was da genau passiert, dann entsteht Vertrauen. Das ist der entscheidende Punkt.
Es ist schon verrückt: Wir denken bei Führung sofort immer daran, wie wir anderen im Kopf herumfummeln können: Welche Strategien, welche Psychotechnik müssen wir anwenden? Was müssen wir tun, um dem anderen einen Schritt voraus zu sein, damit der nicht weiß, was mit ihm passiert? Ich denke, Führung ist komplett anders. Wenn ich mit jemandem ein, zwei, drei Jahre zusammenarbeite, dann löst sich alles auf, was ich vorgebe, zu sein. Was dann übrig bleibt, ist der Kern, die Substanz. Ich nenne es Stimmigkeit. Wenn die Stimmigkeit klar ist, wissen die Leute ganz genau, woran sie sind.
Wir unterschätzen immer wieder die Leute, die wir führen. Das erwächst aus unserer Arroganz, aus der Macht, aus dem Status, den wir haben. Doch wer die Leute unterschätzt, mit denen er zusammenarbeitet, der führt an ihnen vorbei. Denn die spüren ganz genau, ob sie demjenigen wirklich folgen wollen. Oder ob sie sagen, ich mache das nur, um meine Brötchen zu verdienen. Und das hat viel mit Stimmigkeit zu tun. Und auch mit der Ethik, der ich mich verpflichtet fühle und der ich folge.
Es ist ganz klar, dass Macht in Unternehmen ein Thema ist. Es heißt zwar immer, der Mensch stünde im Mittelpunkt. Aber wir alle wissen, wie eiskalt der Wind weht, wenn die Zahlen nicht stimmen. Dann zeigt sich, wie sehr der Mensch im Mittelpunkt steht: nämlich überhaupt nicht. Dennoch ist es offensichtlich: Macht und Politik sind auf dem Rückzug. Noch versuchen sich die alten Kader an der Macht zu halten, aber im Grunde wissen sie selber, dass ihre Zeit vorbei ist - und öffnen sich auch Stück für Stück. Aber es kann nicht um Machterhalt gehen. Wir müssen uns alle der Transparenz und Klarheit beugen, ob wir wollen oder nicht. Das kommt. Jeder weiß es, dass es kommt.
Ja, die charismatischen Unternehmensführer treten langsam ab. Es gibt einen Generationswechsel. Nun geht es darum, ein Team zu bilden, das ihr Lebenswerk weiterführen kann.
Wir alle haben diese Führungsgurus im Kopf. Wenn wir über das Thema Führung reden, haben wir immer die großen Namen, die großen Konzernführer, die politischen Führer vor Augen. Das ist genau der Fehler, den wir machen: Wir verkennen, dass es viele Millionen Menschen gibt, die im Kleinen wie im Großen führen, die Familien führen, die Vereine führen. Wenn wir über Führung reden, sollten wir uns an den normalen Menschen orientieren, die im Alltag Verantwortung tragen. Und wir sollten überlegen, wie wir denen helfen können, ihren Job zu machen.
Verantwortung heißt, die Antwort zu finden auf Fragen, die mir gestellt sind. Entscheidend ist: Wie kann ich meine Fähigkeiten so erweitern, dass ich mich traue, mehr Verantwortung zu übernehmen? Natürlich können wir fordern: "Leute, steht auf und übernehmt Verantwortung!" Aber dazu muss man ihnen die notwendigen Fähigkeiten vermitteln, und man muss sie fordern. Und wenn dann dieses neue Wissen da ist, dann kann man sagen: Nun weißt du, wie es geht. Jetzt will ich von dir Ergebnisse sehen.
Ja, Mitarbeiter befähigen, aber sie auch fordern. Menschen fordern heißt Menschen entwickeln. Führung muss Potenziale freisetzen. Und sie muss delegieren. Delegieren ist die Fähigkeit, Themen so abzugeben, dass ich mit der Qualität dessen, was zurückkommt, zufrieden bin. Manche Menschen geben ab und sagen: "Ich habe es doch delegiert!" Die Verantwortung im Führungsprozess liegt aber darin, dafür zu sorgen, dass derjenige befähigt wird, die Aufgabe so zu machen, dass das Ergebnis stimmt. Ergebnisorientierung ist entscheidend. Hier denken die meisten zu kurz - und dann kommt der Punkt, wo es heißt: "Dann mache ich es lieber selber!" Jede Führungskraft, die das sagt, kapituliert vor ihrer eigenen Führungsaufgabe. Schließlich Kontrolle - auch ein schönes Wort. Es heißt vielfach, man müsse nicht kontrollieren. Ich aber halte Kontrolle für die absolute Vertrauensbildung. Kontrolle ist eine Hilfe zur Zielerreichung. Nicht eine Möglichkeit, Leute kleinzuhalten.
Talente und Stärken sind ein weiteres zentrales Führungsthema. Hierin liegt die geistige Arbeit, die eine Führungskraft leisten muss. Denken ist eine der Hauptaufgaben der Führungskräfte. Nicht nur immer hingehen und zählen. Sondern überlegen, welche Ergebnisse brauche ich an welchem Arbeitsplatz? Wenn ich delegiere: Welche Stärken brauche ich? Und welche Leute können das am besten? Dazu muss ich wissen, welche Menschen welche Talente und Stärken haben. Und ich muss mir Gedanken über die gewünschten Ergebnisse machen. Die muss ich präzise beschreiben. Delegieren beginnt schon im Vorfeld, bevor ich überhaupt eine Aufgabe abgebe. Es beginnt damit, wie ich rangehe und wie ich darüber nachdenke.
Ich unterscheide zwischen Disziplin und Gehorsam. Disziplin ist für mich Freiheit. Gehorsam ist nicht das, was wir in der Zukunft brauchen. Es geht nicht darum, die Leute zu dominieren, sie in eine Abhängigkeit zu bringen oder ihnen jeden Tag zu zeigen, wie sehr ich ihnen überlegen bin. Sondern ihnen eine Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Das bedeutet, einen Schritt zurückzutreten und andere nach vorne kommen zu lassen. Und zu schauen, dass ich mich selbst überflüssig mache.
Im Grunde ja. Ich habe zehn Jahre den Rollstuhl-Rugby-Verband geführt, und im ehrenamtlichen Bereich ist Führung noch schwieriger als im Profit-Sektor. Am Schluss hatte ich ein Team von zehn Leuten, und jeder hat seine Aufgabe im Grunde besser gemacht als ich. Dann konnte ich mich auch zurücknehmen. Dankenswerterweise hat man mich zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Was mir der Rollstuhl beigebracht hat, das ist der Umgang mit Hilfe. Gerade starke Menschen wollen keine Hilfe annehmen. Ich musste das erst lernen. Das war ein heftiger Prozess, denn ich wollte alles selber machen. Die nächste Stufe war dann, dankbar zu sein, dass Hilfe da ist, schließlich sie sogar zu lieben. Das zu lernen, hat mir als Führungskraft sehr geholfen.
Ich sage immer, die Menschen sind die Ursache oder die Lösung deiner Probleme. Für die meisten sind sie Ersteres: Ursache der Probleme. Zu lernen, sie nicht als Ursache, sondern als Lösung zu sehen, ermöglicht es, Führung richtig zu verstehen: Als Prozess der Entwicklung anderer Menschen.
Leading Simple.
Führen kann so einfach sein,
GABAL management, Offenbach 2007,
189 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 978-3-89749-708-5
www.gabal-verlag.de
changeX 02.11.2007. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.