Herr Walsh, alle Welt spricht von Kundenorientierung,
Kundenbindung und Kundengewinnung. Sie legen nun eine Studie zum
Thema Kundendiskriminierung vor. Ist die "Servicewüste Deutschland"
noch unwirtlicher als gedacht?
Nein, das würde ich nicht sagen. Von der "Servicewüste" sind
grundsätzlich alle Menschen gleichermaßen betroffen, von der
Kundendiskriminierung jedoch nicht. Kundendiskriminierung ist ein
spezifischeres Problem als ein unbefriedigendes Serviceniveau.
Dennoch gibt es einen Zusammenhang zwischen der Servicewüste und
Kundendiskriminierung: Eine Servicekultur, die nicht an den
Wünschen von Kunden orientiert ist, ist sicherlich ein Nährboden,
auf dem Kundendiskriminierung gedeihen kann.
Ich denke, ja. Ganz offensichtlich sind Servicemitarbeiter nicht sensibilisiert. Zudem ist in Deutschland laut einer Untersuchung der EU die Diskriminierungstoleranz relativ hoch. In keinem anderen europäischen Land nehmen die Leute Diskriminierung eher und gelassener hin als in Deutschland. Das ist ein Alarmzeichen.
Die Neigung zur Diskriminierung ist laut EU-Statistiken in Deutschland höher als in anderen europäischen Ländern. Unterschieden nach Ost und West nimmt Deutschland die beiden untersten Plätze ein. Diskriminierung findet in Deutschland statt, und die Menschen sind nicht hinlänglich dafür sensibilisiert.
Zum einen spiegelt das eben die fehlende Sensibilisierung in diesem Land. Hinzu kommt: Es gibt wohl eine geschichtlich begründbare Aversion, sich als ein Volk zu verstehen, das Gruppen innerhalb des Volkes nicht so gut behandelt. Das führt dazu, dass man sich mit gewissen Themen nicht so gerne auseinandersetzt. Das zeigt sich auch an der Verabschiedung des Antidiskriminierungsgesetzes, mit der sich kein europäisches Land so schwer getan und sich so viel Zeit gelassen hat wie Deutschland. Das zeigt sich auch an dem unglaublich leidigen Thema doppelte Staatsbürgerschaft und den haarspalterischen Diskussionen darüber, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sei oder nicht. Aus einer externen Perspektive wirkt das alles sehr entrückt.
Ganz klar. Serviceunternehmen sind Teil unserer Volkswirtschaft, unserer Gesellschaft. Mittlerweile arbeitet beinahe die Mehrzahl aller Angestellten in Deutschland für ein Serviceunternehmen. Damit liegt es auf der Hand, dass die gesamtgesellschaftliche Diskriminierung tagtäglich bei der Dienstleistungserbringung zum Ausdruck kommt.
Das kann offenkundige Schlechterbehandlung sein. Zum Beispiel wenn eine dunkelhaarige, dunkelhäutige Kundin länger warten muss, um bedient zu werden, im Supermarkt, an der Fleischtheke, auf Ämtern, bei der Post, oder um ein Geschenk eingepackt zu bekommen. Aber es gibt auch subtile Formen der Diskriminierung, zum Beispiel wenn Kunden das Gefühl haben, in einem Restaurant langsamer behandelt zu werden als Deutsche. Oder schlechtere Tische zu bekommen, etwa am Eingang, wo es zugig ist, an der Toilette, Richtung Küche. Oder in Hotels schlechtere Zimmer zu bekommen, obwohl man das Gefühl hat, das Hotel wäre nur zu einem Drittel ausgebucht. Solche Beispiele zeigen, wie vielschichtig das Phänomen der Kundendiskriminierung eigentlich ist. Das Spektrum reicht von solchen subtilen Formen bis hin zu ganz offenkundigen Beschimpfungen durch Verkäufer, wo es keinen Zweifel an der Intention mehr gibt.
... dennoch fühlen sich Frauen in gewissen Dienstleistungsbereichen diskriminiert, und zwar vor allem dort, wo man es mit traditionell männlichen Kompetenzdomänen zu tun hat: Baumärkte, Reparaturservices, Autoreparaturwerkstätten, Elektroabteilungen von Kaufhäusern. Dass Frauen hier vermeintlich ein Kompetenzdefizit haben, lässt man sie deutlich spüren, etwa durch Fragen wie: Kann ich es nicht Ihrem Mann erklären? Wo ist denn Ihr Partner? Das kommt sehr häufig vor.
Ältere Konsumenten haben beispielsweise über längere Wartezeiten geklagt. Ein Proband berichtete sogar, dass ihm von einem Busfahrer während der Rushhour nahegelegt wurde, doch den Bus zu verlassen, da die arbeitende Bevölkerung zuerst befördert werden sollte. Da hieß es ganz explizit: Ihr habt ja genug Zeit, noch ein bisschen zu warten. Ältere Konsumenten klagen auch darüber, dass sie sich im Vergleich zu jüngeren Konsumenten schlecht behandelt und oberflächlich beraten fühlen. Für den betroffenen Einzelhändler heißt das natürlich, dass man Umsätze und Gewinne verschenkt.
Auch behinderte Konsumenten erfahren Diskriminierung. Eine Kundin mit einer Gesichtslähmung hat berichtet, wie Verkäufer über sie gelacht haben, weil sie ein entstelltes Gesicht hat - das sind natürlich psychologisch höchst problematische Erfahrungen. Behinderte haben allerdings in erster Linie über allgemeine Probleme beim Einkaufen berichtet, also Geschäfte zu betreten oder mit dem Rollstuhl hineinzufahren, zu manövrieren, und über unsensible Verkäufer.
Homosexuelle Konsumenten hatten zusammen mit denjenigen mit Migrationshintergrund die häufigsten und die negativsten Diskriminationserfahrungen. Das Spektrum reicht von Beschimpfung über offenkundige Benachteiligung bis hin zu entwürdigendem Verhalten. So wurde eine Probandin von einer Kellnerin in einem Café beschimpft. Einige Personen, mit denen wir sprachen, haben berichtet, dass Verkäufer hinter ihrem Rücken getuschelt und gelacht haben, offensichtlich, weil sie es witzig fanden, homosexuelle Kunden zu bedienen. Andere haben berichtet, dass es für sie sehr schwer sei, in einem Hotel ein Doppelzimmer für sich und ihren Partner zu bekommen. Häufig war die Antwort: "Wir haben nur Zweibettzimmer." Solche Erlebnisse gehören für homosexuelle Kunden häufig noch zum Alltag.
Richtig. Zunächst sind da Enttäuschung und Wut bei den Kunden. Viele unserer Befragten haben gesagt: "Wenn ich schlechter behandelt werde und mich mies fühle nach dem Einkauf, wie kann da Zufriedenheit aufkommen!" Viele Betroffene schlucken diesen Ärger runter, manche beschweren sind, häufig macht sich Frustration aber auch Luft in Form von negativer Mundwerbung. Insbesondere Konsumenten mit Migrationshintergrund, aber auch homosexuelle Konsumenten haben gesagt, sie würden so möglichst vielen Menschen ihrer jeweiligen Gruppe über solch negative Ereignisse berichten, etwa indem sie in Foren, die von ihren Gruppenmitgliedern besucht werden, Meinungsberichte posten. Die gravierendsten Folgen für die Unternehmen sind aber der Vertrauensverlust und, als dramatischste Konsequenz, die Abwanderung. Die meisten von uns befragten Probanden haben klar gesagt, wenn es eine Alternative gibt, dann wandern sie ab, denn sie wollen einem solchen Geschäft zukünftig keine Umsätze mehr verschaffen.
Wir wissen aus der Forschung, dass es Faktoren gibt, die im Mitarbeiter und der Mitarbeiterin selbst begründet sind, aber auch solche, die im Arbeitsumfeld angesiedelt sind. Beispielsweise korreliert Bildung stark mit der Anzahl von Auslandsreisen, mit Internationalität, Empathie und Toleranz. Dienstleistungsmitarbeiter sind aber unterdurchschnittlich gebildet und ausgebildet; zudem gibt es hier mit je nach Branche zwischen 50 und 85 Prozent die höchste Fluktuationsrate von allen Wirtschaftsbereichen. Das begünstigt diskriminierendes Verhalten. Ganz einfach, weil diese Mitarbeiter nicht den Erfahrungsreichtum und das Wissen haben, um mit bestimmten Kundengruppen korrekt und diskriminierungsfrei umzugehen.
Das wäre an sich schon schlimm genug. Nur müssen wir eben feststellen, dass diese negativen Einflüsse recht selektiv weitergegeben werden: Sie werden eben nicht an alle weitergegeben, nicht an die deutschen Kunden oder die heterosexuellen und jüngeren, sondern selektiv an Kunden von Minderheitengruppen. Auch das kann man natürlich erklären: Servicemitarbeiter sind in ihren Interaktionen mit den Kunden immer auch bemüht, ihren gesellschaftlichen Status laufend zu überprüfen. Wenn, als krasses Beispiel, ein deutscher, 20-jähriger Schulabbrecher einen 60-jährigen, vornehm gekleideten dunkelhäutigen Herrn bedienen soll, dann bietet ihm diese Situation eine Möglichkeit, einen sozialen Status einzunehmen, der über dem seines Kunden liegt.
Es ist eine dreistufige Strategie, die Unternehmen wählen müssen. Wir haben eingangs über die mangelnde Bereitschaft vieler Menschen gesprochen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das gilt natürlich auch für Unternehmen. Unternehmen müssen also zunächst einmal das Problem erkennen. Das kann man beispielsweise erreichen, indem man Testkäufer - so genannte Mystery-Shopper - einsetzt und überprüft, wie die eigenen Servicemitarbeiter mit diesen Testkäufern umgehen. Wenn sie diskriminierungsfrei agieren, gibt es kein Problem. Wenn Diskriminierung auftritt, weiß das Unternehmen, dass es zu handeln hat. In Schritt zwei müsste man die Mitarbeiter schulen, sie für das Problem Diskriminierung sensibilisieren und ihnen Fertigkeiten an die Hand geben, damit sie zukünftig mit Kunden aus Minderheitengruppen diskriminierungsfrei umgehen. Und erst dann in Schritt drei können Unternehmen versuchen, Kunden aus diesen Gruppen zurückzugewinnen.
In Deutschland noch nicht. Ein prominentes Beispiel ist Denny's, eine Fast-Food-Kette in den USA, die sehr gehäuft von afroamerikanischen Kunden verklagt wurde, weil die sich diskriminiert fühlten. Man hat sich dann bemüht, Mitarbeiter mit einem breiten ethnischen Hintergrund zu rekrutieren. Und im letzten Jahr wurde eine afroamerikanische, weibliche CEO an die Spitze von Denny's gesetzt.
Ich glaube, dass Unternehmen dazu übergehen müssen, anders mit diesen Gruppen zu kommunizieren. Es reicht nicht, ein wenig Ethnomarketing zu betreiben und spezifische Präferenzprofile bestimmter ethnischer Gruppen zu bewerben - zum Beispiel Ayran zu verkaufen, weil wir eineinhalb bis zwei Millionen türkischstämmige Menschen hier haben. Das ist zu kurzsichtig. Man muss verstehen, dass diese Gruppen ein beachtliches Potential haben: Sie haben eine Kaufkraft, sie sind Teil der Gesellschaft, sie sprechen mit anderen, sie haben meinungsbildende Funktion. Unternehmen müssen begreifen, dass sie schlecht beraten wären, eine dieser so genannten Minderheitengruppen zu verprellen. Bei schwulen und lesbischen Kunden ist es ja offenkundig: Da wissen wir, dass sie ein überdurchschnittliches Bildungsniveau haben, dass sie meist überdurchschnittlich gut ausgebildet sind, studiert haben et cetera. Das zeigt ganz eindeutig, dass es finanziell schädlich wäre, diese Gruppe zu verprellen. Ein solches Denken müsste sich auch in Bezug auf die anderen Gruppen einstellen. Es wäre doch töricht von Dienstleistungsunternehmen, Kunden zu verprellen, wenn diese doch ökonomisch attraktiv sind!
Untersuchungen belegen eindeutig, dass Arbeitszufriedenheit zu Kundenzufriedenheit führt. Nur sind die Unternehmensstrategien an der Gewinnmaximierung ausgerichtet. Deshalb ist das Ziel selten Steigerung von Mitarbeiterglück und Kundenzufriedenheit, sondern häufiger Reduktion der Kosten. Konkret: Es werden Stellen abgebaut. Aber Stellen abbauen und zugleich den Servicelevel erhöhen, das funktioniert nicht. Und damit steigt die Belastung der Mitarbeiter. Unternehmen wähnen sich in einem hohen Kostendruck, sehen aber nicht die Folgen: Belastete Mitarbeiter im Service führen unmittelbar zu unzufriedenen Kunden und zur Kundendiskriminierung.
Ich bin etwas skeptisch. Wenn ich einkaufen gehe, dann sehe ich häufig Auszubildende, die türkisch-, italienisch-, jugoslawischstämmig sind. Das ist für mich aber keine Diversitypolitik, sondern das ist Normalität, deutsche Normalität. Diversity hieße für mich, ganz genau hinzuschauen, wie sich die Kunden eines Unternehmens zusammensetzen, und zu versuchen, deren Diversität mitarbeiterseitig zu spiegeln. Das heißt nicht, dass man nun alle deutschen Männer im Alter bis 30 Jahre entlässt. Sondern es bedeutet, ein strategisches Personalmarketing zu betreiben, mit dem Ziel, eine Belegschaft zu haben, die mit der durchschnittlichen Kundschaft korrespondiert.
Ja, ich würde mir da eine stärkere Rolle wünschen von deutschen Unternehmen. Die Unternehmen in Deutschland haben sich in der Debatte, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, zu sehr zurückgehalten. Ich meine, Unternehmen sind in der Pflicht, weil sie Teil unserer Gesellschaft sind. Insofern müssen sie auch eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Die Unternehmen können etwas tun, wenn sie denn wollen.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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