Seiferts Kriegstagebuch.
Hält man sich die politische
Geschichte des Heuschreckenschwarms vor Augen, so kann man es
doch einigermaßen erstaunlich finden, wenn nun, ein Jahr danach,
der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG Werner
Seifert ein Buch mit dem Titel
Invasion der Heuschrecken veröffentlicht. Was mag den
Ex-CEO bewogen haben, mit dem Ex-Parteichef gemeinsame Sache zu
machen? Das Schielen auf den Beifall der Kapitalismuskritiker
links von Müntefering wohl kaum. Eher das Buhlen um die
Aufmerksamkeit der Fachpresse, die mit einem Tagebuch über das
Scheitern eines CEO kaum zu locken ist, wohl aber mit einer
kalkulierten Provokation wie dem Heuschrecken-Vergleich. Diese
Rechnung ist aufgegangen. Von der
Financial Times bis zum
Handelsblatt, vom Wirtschaftsteil der
Süddeutschen bis zu dem der
Frankfurter Allgemeinen hat Werner Seiferts Kriegstagebuch
über den Angriff feindlich gesinnter Hedge-Fonds und
Investmentbanken auf die Deutsche Börse AG Wellen geschlagen.
Gestützt auf seine Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit der
Übernahmeschlacht ist Seifert und seinem Co-Autor ein spannendes
Buch gelungen, das das Zeug zum Bestseller hat: ein
Wirtschaftskrimi, der minutiös den Angriff der Hedge-Fonds
rekonstruiert und schier nebenbei viel lehrreiches Börsenwissen
vermittelt. Es ist eine spannende Geschichte, wie sich die
Hedge-Fonds zunächst in die Deutsche Börse einkauften, dann die
geplante Übernahme der traditionsreichen Londoner Börse
vereitelten, um schließlich aus einer Minderheitenposition heraus
den Abgang von CEO Seifert und Aufsichtsratschef Breuer zu
erzwingen. "Wie eine kleine Gruppe entschlossener Investoren die
Unternehmensstrategie zum eigenen, kurzfristigen Vorteil
grundlegend verändern kann, ohne über die Mehrheit der Anteile zu
verfügen", hat den Kapitalismus in Europa verändert, meint der
von seiner eigenen Rolle nicht wenig eingenommene Seifert.
Zunehmend schwere Beute.
Für ihn sind die Rollen eindeutig:
Er ist das Opfer. Von Selbstkritik keine Spur. "Ich bedauere
keine meiner Entscheidungen. Hätte ich die Wahl, würde ich heute
wieder genauso handeln", schreibt Seifert. An seinem Widersacher,
dem Fondsmanager Chris Hohn, lässt er hingegen kein gutes Haar:
Er zeichnet ihn als einen ungehobelten Burschen, unsympathisch,
launisch, aggressiv und "unberechenbar wie eine unbefestigte
Kanone auf einem Schiffsdeck", bedenkt aber nicht, dass Sätze
mitunter auf ihren Schreiber zurückfallen. Letztlich nimmt man
Seifert den netten Onkel von nebenan, als den er sich darstellt,
nicht mehr ab.
Ähnliches gilt für die Retterrolle, die er sich zugedacht
hat. Seifert geht es nicht (nur) um Wiedergutmachung für seinen
Sturz. Nein, es geht um mehr: um die Rettung des
kontinentaleuropäischen Kapitalismus. Das Vermögen der
Hedge-Fonds sei in einem Maße gewachsen, dass sie "zunehmend
schwere Beute erlegen können", warnt Seifert, befürchtet gar
"eine massive Heuschreckeninvasion". Denn die vielfach
unterbewerteten Aktien deutscher Unternehmen seien ein gefundenes
Fressen für hungrige Heuschrecken: "Sie sind eine große Bedrohung
für viele Unternehmen und sogar Staaten, an deren üppigen Feldern
sie sich so lange schadlos halten werden, bis nur noch ein paar
abgenagte Halme übrig sind."
Ende der Deutschland AG.
Am Ende erliegt Seifert der Wucht seiner Heuschrecken-Metapher. Das Schreckensgemälde, das er zeichnet, gerät zu grob, lässt jede inhaltliche Differenzierung vermissen. Die aber wäre dringend geboten, denn Hedge-Fonds ist nicht gleich Hedge-Fonds und internationales Finanzkapital längst in die Bresche gesprungen, wo Banken Unternehmen Kredite verweigern. Das Bild von den bösen Fondsmanagern ist eine Karikatur. Seifert indes will man die Läuterung zum Kapitalismuskritiker nicht recht abnehmen. Zu lange war er selbst Insider des Finanzkapitalismus und hat vehement für die Liberalisierung der Finanzmärkte gekämpft, um heute die Kritikerrolle glaubhaft spielen zu können. Was treibt ihn? Vielleicht ist es die Wehmut über das Ende einer Ära: der Deutschland AG, für die jener 9. Mai 2005, als Seifert seinen Hut nehmen musste, eine Art historischer Schlusspunkt war.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Werner Seifert / Hans-Joachim Voth:
Invasion der Heuschrecken.
Intrigen - Machtkämpfe - Marktmanipulationen,
Econ Verlag, Berlin 2006,
266 Seiten, 19.95 Euro,
ISBN 3-430-18323-5
www.econ.de
© changeX [13.04.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Werner Seifert / Hans-Joachim Voth: Invasion der Heuschrecken. . Intrigen - Machtkämpfe - Marktmanipulationen. . Econ Verlag, Berlin 1900, 266 Seiten, ISBN 3-430-18323-5
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.