Kurzer Prozess
Europäer beraten Europäer.
| Folge 20: Elise Bulger, Account Managerin bei Pleon London. |
Von Gerhard Elfers
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: Als neue europäische Firma engagiert, übernimmt, wirbt Pleon viele "Neue" � eine von ihnen ist die ehemalige Justizangestellte Elise Bulger.
Kati Müller
Elise Bulger, Senior Account Manager bei Pleon London.
Es ist einer dieser Tage, an denen sich das Londoner Wetter nicht so recht entscheiden kann. Grauer Himmel. Elf Grad. Elise Bulger redet über Fußball. "Wayne Rooney ist schon ein Ausnahmetalent", sagt sie. "In dem Alter so zu spielen. Das Tor gegen Middlesborough am Samstag, großartig! Er ist ein Genie, aber spielt für die falsche Mannschaft." Sagt Elise und zuckt mit den Schultern. Die falsche Mannschaft, das heißt nicht für den FC Liverpool. Das sind die Guten. Sie versäumt keines der Londoner Auswärtsspiele ihres Lieblingsclubs.
Entspannt lässt sich Elise in das abgewetzte, braune Ledersofa im Café Nero fallen - gleich um die Ecke der Londoner Pleon-Filiale - und bestellt einen "Americano". Klassischer Filterkaffee statt modischem Latte Macchiato und, nein, nein, ohne Zucker und schwarz, bitte. Keine Sperenzchen.
Ob mit Fanschal und Trikot auf der Stadiontribüne oder mit Kostüm und Aktentasche beim Kundengespräch, für die richtige Mannschaft zu spielen ist wichtig für Elise Bulger. Dass sie bei Pleon im richtigen Team spielen würde, war ihr schnell klar. "In dem Moment, als ich zum ersten Vorstellungsgespräch durch die Tür kam, wusste ich: Du willst diesen Job", sagt sie und legt ihr Handy auf den Tisch. "Was mich besonders beeindruckt hat, waren die vier verschiedenen Gespräche, die ich überstehen musste, um den Job zu bekommen." Zuerst stand ein Treffen mit dem Personalmanager auf dem Programm. Danach ein Gespräch mit dem direkten Vorgesetzten. "Aber am interessantesten war die Runde mit meinen zukünftigen Kollegen", berichtet Elise. "Hier konnten wir uns beschnuppern: Die anderen konnten herausfinden, ob ich ins Team passen würde, und ich konnte sehen, ob mir meine zukünftigen Kollegen sympathisch sein würden." Erst ganz am Schluss stand das Gespräch mit dem Managing Director.

Ein Start als Beamtin.


Seit vier Monaten ist Elise Bulger Teil des 33-köpfigen Teams bei Pleon in der britischen Hauptstadt. Sie ist für drei Kunden verantwortlich, ihren größten, COLT Telecom, betreut sie verantwortlich als Senior Account Manager. Sie hat den Schritt nicht bereut. "Sie geben dir hier alle Freiheiten, dich zu entwickeln, in andere Bereiche reinzuschauen. Ich war noch nie in einem Unternehmen, wo man so stark spürt, dass man alles erreichen kann."
Die 32-Jährige hat durchaus andere Erfahrungen gemacht auf ihrem bisherigen Berufsweg. Gleich nach der Schule beginnt sie eine Beamtenlaufbahn bei der Bezirksstaatsanwaltschaft in Bournemouth. Ihre Eltern, eigentlich "Liverpudlians", waren in das südenglische Hafenstädtchen gezogen, weil der Vater hier einen Job bei der Justizverwaltung angenommen hatte. Dass ihr Vater bei Gericht arbeitete, hat die kleine Elise damals schwer beeindruckt. "Als Kind wollte ich immer Staatsanwältin werden", gesteht sie lachend, "die bösen Jungs hinter Schloss und Riegel bringen." Mit 17 tritt sie in Vaters Fußstapfen. Als Justizangestellte unterstützt sie die Ankläger bei ihrer Arbeit, arbeitet sich in Kriminalakten ein, organisiert Prozessakten, betreut Zeugen.
Doch es wird ihr schnell zu eng im beschaulichen Bournemouth. Als im Hauptquartier des Crown Prosecution Service (Generalstaatsanwaltschaft) in London eine Stelle frei wird, zögert sie keine Sekunde und macht sich auf den Weg in die Hauptstadt. "Meine Eltern verstehen bis heute nicht, wie ich in einer Großstadt leben kann", sagt sie. "Ich liebe London einfach, diese Hektik, das vibrierende Leben, das fasziniert mich!" Seit zwölf Jahren ist sie jetzt hier.

Von Terroristenprozessen zu Medienstrategien.


Am ersten Tag im neuen Job meldet sich eine Kollegin krank. Elise springt ein und damit ins kalte Wasser eines großen IRA-Prozesses. Sie hat Angst. "Das war schon unheimlich", erinnert sie sich, "diese Leute hatten geplant, Bomben in London hochgehen zu lassen. Du hast plötzlich mit den Leuten von MI5 und MI6 zu tun, musst Geheimhaltung schwören, hörst die Zeugenaussagen, die Geheimcodes, die geheimen Überwachungsberichte." Es folgen weitere spannende Verfahren; Entführungen, fremdenfeindliche Übergriffe und große Mordprozesse werden ihr tägliches Geschäft.
Wie kommt man aus dem Gerichtssaal in eine PR-Agentur? Es wurde ihr einfach zu eng in den Fluren und Amtsstuben des düsteren "Old Bailey", Englands höchstem Kriminalgericht. Eine Behörde ist kein Ort für eine Frau wie Elise Bulger, das wird nach wenigen Minuten klar. Selbst jetzt, als wir uns beim Kaffee gegenübersitzen, spürt man die Begeisterung und Dynamik, die Elise Bulger antreiben. "Diese Beamtenmentalität ging mir zunehmend auf die Nerven", gibt sie zu und streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ihre Offenheit und Kontaktfreude laufen im Behördenalltag weitgehend ins Leere. Sie hat andere Ambitionen, und der Schritt in Richtung PR erschien ihr folgerichtig, denn bei Gericht hatte sie immer wieder mit Journalisten zu tun. Sie organisierte Pressekonferenzen und war am Ende sogar Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Trotzdem war sie reif für den Wechsel. Ein Kollege vermittelt ihr einen ersten Job in einer Werbeagentur im vornehmen Knightsbridge. Sie arbeitet auf verschiedenen Accounts, kümmert sich um die Eigen-PR der Agentur, lernt die Grundlagen des Berufs.
Hat sie jemals bereut, die sichere Beamtenkarriere aufgegeben zu haben? Sie überprüft kurz ihr Handy auf neue Mitteilungen. "Niemals", sagt sie. "Ich gehöre sowieso nicht zu den Leuten, die Entscheidungen bereuen. Du triffst eine Entscheidung, und dann lebst du damit - so einfach ist das." Es folgen Jobs bei zwei weiteren Agenturen, sie arbeitet auf Accounts von Heineken bis Microsoft, bis sie schließlich, im Oktober letzten Jahres, bei Pleon landet. Und angekommen ist. "Es hört sich vielleicht wie ein Klischee an, aber das ist der beste Job, den ich je hatte. Das Team ist großartig", schwärmt sie, "wir denken alle in die gleiche Richtung, und die Loyalität untereinander ist fantastisch."

Ein gutes Team und gute Kunden.


Wir sind zurück im Büro. Der große Raum mit gelb gestrichenen Wänden ist übersät mit akkurat gerahmten Zeitungsausschnitten, die Schreibtische stehen in Vierergruppen beieinander, nur halbhohe Trennwände grenzen die Arbeitsbereiche ab. Das ist Programm: Hier sitzt der Praktikant direkt neben dem Geschäftsführer, Einzelbüros gibt es auch für die Führungsetage nicht. Das fördert Kommunikation und Teamgeist. In einem kleinen Raum mit Ledersofas findet das Team zu Gruppensitzungen zusammen, "unser Gemütlich-Raum", grinst Elise, "hier kommen die besten Ideen zustande". Die Atmosphäre ist locker, familiär. Elises Schreibtisch ist sehr aufgeräumt, was nicht zu ihr zu passen scheint.
Das Telefon klingelt, ein Journalist, es geht um ein großes Event in München. "Wir machen einen paneuropäischen Simultan-Launch für ein neues Produkt eines meiner großen Kunden", flüstert sie zwischen zwei Sätzen am Hörer vorbei, "in zwei Wochen muss die Sache stehen."
Sie nimmt das persönlich. Neben der guten Stimmung im Team ist es besonders die Zusammenarbeit mit den Kunden, die sie motiviert. Elise berichtet von dem indischen Softwareunternehmen, das eine sehr große Summe für die Opfer des Tsunami im Indischen Ozean gespendet hat. "Der Vorstandsvorsitzende dieses Unternehmens gönnt sich nur ein Jahresgehalt von 50.000 Dollar", sagt sie, "um allen Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass es nicht nur ums Geldverdienen geht." Ihre Augen leuchten. "Das inspiriert mich wirklich. Es macht einfach Spaß, für solche Kunden arbeiten zu können."

Typisch britisch, typisch europäisch.


Elise Bulger steht für eine neue Generation von erfolgreichen Frauen in der PR-Branche. Sie profitiert von einem reichen Schatz an Erfahrungen aus anderen Bereichen, sie kennt die Welt außerhalb von Meetings und Marketing, Präsentationen und Portfolios. Und manchmal stört sie "diese Wahrnehmung, dass PR-Frauen blond seien, Partys organisieren, dort dann Champagner trinken und sonst nicht viel tun." Ihr Verständnis ihres Berufs reicht viel weiter. Zu erfolgreicher PR gehöre heute auch der Mut, zu eigenen Überzeugungen zu stehen. Ihre Philosophie: den Kunden zu ermutigen, das Richtige zu tun, die Scheuklappen abzunehmen und nicht nur über sich selbst nachzudenken. "Es geht heute nicht mehr nur darum, wie unser Auftraggeber sich in der Öffentlichkeit selber sehen will. Es geht auch darum, was dessen Kunden erreichen wollen, und wie unser Auftraggeber seinen Kunden helfen kann, das zu erreichen."
Vor einer Woche erst ist sie aus den USA zurückgekommen, internationale Strategieplanung in Seattle, für einen ihrer großen Kunden. Intensive Gespräche mit ihren Kollegen aus Deutschland und den USA standen auf dem Programm. Sie ist froh, die Kollegen, die sie nur als Telefonstimmen kannte, endlich kennen gelernt zu haben. "Die Kollegin aus Amerika hatte sich mich immer als ältere Dame vorgestellt, weil sie meinen britischen Akzent so kultiviert fand", lacht Elise. "Die war richtig erleichtert, als sie feststellte, dass wir gleichaltrig sind. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen."
Aber es sind nicht nur die persönlichen Kontakte, die die Arbeit erleichtern. Durch den engen Kontakt mit den Kollegen im Ausland gewinnt sie eine Menge Einblicke, auch über sich selbst. Das Arbeiten in einer europäischen Agentur schärft den Blick auf die eigene nationale Identität. "Ich gehe freitags gern in den Pub, liebe Fußball - sicher bin ich typisch britisch!", sagt sie und lacht. "Es mag nur ein kurzer Trip über den Kanal sein nach Kontinentaleuropa, aber es gibt immer noch große kulturelle Unterschiede. Wenn wir über eine Kampagne nachdenken, lerne ich sehr schnell: Wie würde das in Frankreich wahrgenommen? Muss man ein Event in Deutschland anders machen? Wie sehen Produkttests in Holland aus?"

Schneller Wandel.


Das Londoner Wetter hat sich inzwischen dazu entschlossen, sich heute von seiner schlechten Seite zu zeigen. Es nieselt leise, als wir in der beginnenden Dämmerung auf die Old Marylebone Road treten, vorbei am libanesischen Café, der schmucklosen Backsteinkirche von St. Mark Marylebone und den edlen, rot gestrichenen viktorianischen Wohnhäusern der Hyde Park Mansions. Wir reden über die Notwendigkeit, über das aktuelle Tagesgeschehen auf dem Laufenden zu sein. "Wir alle wissen ja, wie schnell sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern", sagt sie. "Ich habe meinen Job bei Brodeur angetreten, und eine Woche später arbeitete ich für Pleon!" Ihre Kunden verändern sich genauso schnell. "Da muss man schon flink auf den Beinen sein und gelegentlich einen Gang hochschalten, um da nicht nur mithalten zu können, sondern vorne dabei zu sein und seine Kunden bei diesen Prozessen aktiv begleiten und beraten zu können."
Sie bleibt kurz stehen und betrachtet nachdenklich die Auslage eines Modegeschäfts, als sie ein überraschendes Geständnis macht. "Ich werde dafür häufig von meinen Freunden kritisiert", sagt sie, "aber ich stehe dazu: Ich hab in meinem Leben noch nie bei Parlamentswahlen gewählt." Passt das zu einer Frau mit starken Überzeugungen? "Absolut. Ich müsste mich für das kleinere von zwei Übeln entscheiden. Das liegt mir nicht", sagt sie und lächelt.

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Elise Bulger ist Senior Account Manager bei Pleon London.

Gerhard Elfers ist freier Journalist und lebt in London.

Weitere Informationen: www.pleon.com

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