Wo die Musik spielt
Europäer beraten Europäer.
| Folge 10 : Tim de Boer, Chef von Pleon Niederlande. |
Von Sylvia Englert
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: Tim de Boer pflegt eine "Work-hard-play-hard-Kultur" und spielt in der Pleon-eigenen Band.
Tim de Boer
Tim de Boer, CEO von Pleon Niederlande.
Neben dem Bahnhof von Amsterdam steht ein großes, dreistöckiges Parkhaus. Aber kein gewöhnliches, schließlich sind wir hier in Holland. Es ist ein Parkhaus für Fahrräder. Tausende von Drahteseln sind hier dicht an dicht abgestellt, Meter um Meter buntes Gestänge. "Es ist erstaunlich, aber die Leute schaffen auf Anhieb, ihr Rad wiederzufinden", erklärt der schwarze Taxifahrer und drückt dann aufs Gaspedal, um seinen Mercedes an den Grachten entlang stadtauswärts zu beschleunigen. Kanäle überall, an den Ufern ankern Hausboote in allen Größen und Farben, manchmal sogar in zwei Reihen nebeneinander. Eine alte Frau streut Brotkrumen über das Geländer, vor ihr wirbeln Möwen durcheinander, um einen Bissen zu erhaschen.
Etwas weiter stadtauswärts sind die typischen Kanäle Amsterdams nicht so malerisch wie in der Altstadt, sondern nüchtern und funktional, Wasserstraßen eben, die städtischen Highways der Schifffahrt. Hier, in einem Gebiet, in dem Wohnen und Arbeiten ineinander übergehen, sitzt die Niederlassung von Pleon in einem schlichten Bürogebäude mit marmorverkleideter Lobby. In der ersten Etage beginnt unübersehbar das Pleon-Reich: Der Empfang und die Wand dahinter leuchten in der Unternehmensfarbe, einem kräftigen Rot, das das riesige Logo gut zur Geltung bringt.
Und da Firmen nicht nur aus ihrem Logo, sondern vor allem aus Menschen bestehen, hängen an der Wand gegenüber Schwarz-Weiß-Porträtfotos aller Mitarbeiter. Als Tim de Boer, ein hochgewachsener Enddreißiger mit blonder Tolle und charmantem Lächeln, an ihnen vorbeigeht, kommt er sofort ins Erzählen. "Dieser Kollege hier ist in den Niederlanden als Popstar erfolgreich, aber er arbeitet trotzdem bei Pleon als Konzeptioner ... diese Frau ist gerade nicht da, sie ist mit dem dritten Kind in Babypause ... das hier ist Maurits, einer unserer besten PR-Leute ... und das hier ist Egbert-Jan van Bel, der Leiter unseres Marketingbereichs, er hat gerade den Marketing-Literatur-Preis 2004 für sein Buch gewonnen ..." Stolz deutet er nach nebenan. Dort, im kleinen Konferenzraum, wird besagter Kollege gerade von der Presse abgelichtet, samt Trophäe, einer eleganten Bronzestatuette.

Zusammenwachsen.


Das Team, das in den Niederlanden arbeitet, ist schon seit Jahren eingespielt - die Pleon-Niederlassung ist aus der Agentur Schoep & Van der Toorn' Communication Consultants und Brodeur hervorgegangen - Alex Schoep, einer der Gründer, ist heute CEO Europe von Pleon. Die Verschmelzung war nicht ganz leicht, obwohl die rote Farbe im früher grauen Empfangsbereich längst getrocknet ist. "Wir haben viele Diskussionen geführt über die Fragen: Wer sind wir eigentlich? Was ist unsere Passion?", berichtet Tim de Boer. Herausgekommen sind eine klarere Struktur mit den drei Schwerpunkten Corporate Communication, Marketing und Public Affairs, das Gefühl, jetzt wieder besser "gefocused" zu sein ... und nicht zuletzt der Wunsch, die anderen Pleon-Niederlassungen und ihre Stärken besser kennen zu lernen. "Es ist eine große Herausforderung, das alles zusammenzubringen, diese vielen starken Einzelfirmen nach und nach zu einem Ganzen zu verschmelzen", meint de Boer. "Alex sagt immer: 'Ja, wir sind schon eine Firma!', und auf der Managementebene kennen wir uns natürlich alle, aber so schnell geht das eigentliche Zusammenwachsen nicht. Dafür brauchen wir schon noch einige Monate - und das ist sehr schnell!"
Kein Problem ist es für ihn und sein Team, mit Kollegen in vielen Ländern Europas zusammenzuarbeiten. International und vielsprachig sind die kleinen Niederlande sowieso schon. "Pleon ist eine wunderbare Gelegenheit für uns, Expertenwissen zu teilen", ist de Boer überzeugt. "Es gibt in den Niederlanden eine ganze Reihe von internationalen Firmen. Um sie zu beraten, braucht man umfangreiche Kenntnisse. All diese Kompetenzen in einem kleinen Land aufzubauen wäre viel zu teuer. Im Verbund mit den anderen Pleon-Offices geht das."

Ein eingespieltes Team.


"Eingespielt" ist das Team in den Niederlanden auch noch in einem anderen Sinn - statt einer eigenen Fußballmannschaft oder Ähnlichem hat Pleon Amsterdam eine Company-Band. Die Geschäftsführung ist gut darin vertreten: Alex Schoep spielt den Bass, Tim de Boer Keyboard. "Ich finde es erstaunlich, dass andere Firmen so was nicht haben - bei uns ist es jedenfalls Ausdruck unserer Unternehmenskultur", meint Tim de Boer fröhlich, als er seinen elektronischen Schlüssel an das Codeschloss des Probenraums im Erdgeschoss hält. "Böse Zungen behaupten sogar, dass man in der Band mitspielen muss, um bei uns Karriere zu machen." Soll ein Mitarbeiter eingestellt werden, checkt er schon im Vorstellungsgespräch ab, ob derjenige ein Instrument spielen oder singen kann. Und zu seinem Entzücken erwies sich einer der neuen Kollegen als erfahrener Drummer, den konnte die Band gut gebrauchen.
Hinter der Tür kommt eine Bühne mit Schlagzeug, Verstärkern und Instrumenten zum Vorschein, auf die so manche Profiband neidisch wäre. Nur Tims Keyboard fehlt, das steht zurzeit daheim. "Gestern habe ich mal wieder eine Stunde geübt - meine Kollegen sind sehr professionell, da will ich natürlich mithalten können", erklärt er. Gespielt wird von den "Verheyroosjes" (Heideröschen) alles, worauf die Bandmitglieder Lust haben, oft Rock oder - was de Boer bevorzugt - Jazz.

Work hard, play hard.


Wie in vielen Agenturen herrscht auch bei Pleon Niederlande eine Work-hard-play-hard-Einstellung. Wer hier arbeitet, der ist mit Energie und Spaß bei der Sache - sonst könnte er die langen Arbeitszeiten kaum durchhalten. Tim de Boer selbst nennt sich einen "Workaholic", seine beiden Töchter sieht er praktisch nur an den Wochenenden. Die Kunden wissen den Einsatz zu schätzen. Und sind gelegentlich sogar ein wenig neidisch auf die gute Stimmung in der Pleon-Niederlassung: "Einer meiner Kunden hat mal gesagt: 'Sie sind so eine sympathische Firma. Können Sie ein Programm für uns entwickeln, damit wir auch sympathisch werden?'", berichtet de Boer. "Ich habe gesagt: 'Ja, können wir machen. Aber dann sollten wir erstens über Content sprechen, also darüber, wie sich die Firma benimmt und präsentiert, und zweitens über Integrität. Ohne diese beiden Dinge können die Mitarbeiter nicht gut zusammenarbeiten und ohne sie wird auch keine sympathische Firma aus Ihnen.' Jetzt arbeiten wir an diesem Programm."
Viele der Kunden kommen aus IT, Telekommunikation, Finanzen und Regierung. Das alles sind Bereiche, in denen sich Tim de Boer blendend auskennt. Er hat Informatik studiert und konnte das schon während seines Wehrdienstes gut gebrauchen - er durfte seinen Dienst in der IT-Abteilung der NATO in Brüssel ableisten. "Die Grundausbildung war sehr kurz, ich habe insgesamt nur etwa fünf Kugeln abgefeuert, dann war's okay", erzählt er schmunzelnd. "Dafür habe ich als Wehrpflichtiger manchmal 18 Stunden gearbeitet, um in der IT-Abteilung den Datenaustausch aufzubauen. Man kniet sich in etwas hinein und denkt: Das muss klappen, das machen wir! Dann schaut man auf die Uhr und ist verblüfft, wie lange man daran gearbeitet hat. Wenn man so etwas tüftelt, vergisst man völlig die Zeit."
Doch Tim de Boer erwies sich schnell als Führungspersönlichkeit, nicht als Tüftler. Er schaffte es ohne Probleme, zwischen den Welten zu wechseln, und legte im Management von Technologiefirmen und einer Bank eine steile Karriere hin. Seine Interessen führten ihn schon bald in Richtung Marketing; dieser Bereich ist heute noch sein Spezialgebiet. "Dann habe ich langsam begriffen, dass man nur Marketing machen kann, wenn man sich in Sales auskennt, also habe ich Erfahrungen als Sales-Manager gesammelt", erklärt er. Schließlich nahm er die Herausforderung an, den Bereich Marketing-Services bei Brodeur Europa zu gründen und aufzubauen. Als schließlich einer seiner Chefs in einem Meeting vorschlug, dass er in der neuen europäischen Agentur Pleon Niederlande leiten könnte, sagte er Ja.

"Bridal Suite" und "Shower Room".


Es ist später Nachmittag. Im Großraumbüro auf der ersten Etage, in der die Mitarbeiter aus Marketing, Kommunikation und Public Affairs sitzen, wird ruhig und konzentriert gearbeitet. Hin und wieder geht jemand fast lautlos durch den Raum, ein Telefon am Ohr. Im großen Aquarium in der Wand zwischen Empfang und Büro schwimmen tropische Fische gelassen um ihr künstliches Riff.
Fast die Hälfte der ersten Etage besteht aus informellen Treffpunkten oder Besprechungsräumen. "Die braucht man in einem so offenen Büro", erklärt de Boer. Im mittleren Besprechungsraum, der wegen seiner mit Vorhängen dekorierten Glaswände "Bridal Suite" oder "Shower Room" genannt wird, läuft gerade ein Workshop zum Thema "Closing the Gap between Marketing and Sales". In der Kaffeeecke, an Stehtischchen aus dicken Baumstämmen, brainstormen zwei Kollegen aus dem Marketing. Vielleicht darüber, wie sie den Anspruch von Pleon einlösen können: den Kunden zu einem Wachstum zu verhelfen, das höher ist als das des Marktes.
Oben im sechsten Stock arbeiten die Grafiker und Web-Spezialisten der Designabteilung an der Umsetzung der Kampagnen, Dutzende von Billboards mit Entwürfen lehnen an der Wand. Ein paar Tische weiter sitzt seit Anfang Dezember "Project Aware", eine Freiwilligenorganisation, die sich gegen Gewalt in Nepal und der Asien-Pazifik-Region einsetzt. Pleon stellt dem Projekt Büroraum zur Verfügung, damit es eine professionelle Organisation aufbauen kann.
Überall in den Pleon-Büros haben vergangene oder aktuelle Kampagnen ihre Spuren hinterlassen. Im Eingangsbereich sind Beispiele der Aktion "Was ist das Gegenteil von Gewalt?" ausgestellt, die Pleon für eine karitative Organisation entwickelt und in alle Schulen gebracht hat - im Nachbeben des Van-Gogh-Mords wurde in den Niederlanden viel über die Aktion berichtet. Im Gang des Band-Probenraums stehen schwarze Tonnen, aus denen einst T-Shirts verkauft wurden. "Die Stadt Amsterdam wollte sechs Millionen Euro investieren, um den berühmten Vondelpark zu verbessern - das Herz der Stadt", erzählt de Boer. "Aber sie brauchten noch eine Million. Also haben wir ein Projekt aufgezogen, bei dem die Anwohner den Park adoptiert und Geld dafür gesammelt haben. Das war ein finanziell sehr erfolgreiches Projekt, und gleichzeitig hat es die Beziehung der Menschen zu diesem Park gestärkt."

Trusted Advisers.


Auch Tim de Boer mag Amsterdam. In einem Dorf in der Nähe ist er aufgewachsen. Aber er ist seltener in der Niederlassung, als ihm lieb wäre. Mal leitet er einen Workshop zum Thema "Consultative Selling" in der Schweiz, dann fliegt er zu einem Kunden in Helsinki, für den Pleon gerade eine neue Marketingstrategie entwickelt, und hat kurz darauf einen Termin in Polen. Es ist eben doch unentbehrlich, persönlich vor Ort zu sein, um ein Vertrauensverhältnis zu den Verantwortlichen aufzubauen, ein "Trusted Adviser" zu werden.
Sehr gut klappte das bei dem international arbeitenden Marketingmanager aus dem IT-Bereich, der bei Pleon anrief, als Tim de Boer dort gerade seine Stelle angetreten hatte. Auch sein Gesprächspartner war neu im Job und brauchte Rat. Nach einer zweistündigen Beratung wollte er die neuen Impulse umsetzen - und rief wieder an, weil die Implementierung nicht klappte. "Wir haben ein Treffen in Brüssel organisiert, bei dem die Mitarbeiter aus den verschiedenen Ländern über die Zukunft der Firma diskutieren konnten", erinnert sich de Boer. "Erst waren die Diskussionen sehr schwierig und langwierig. Aber als die Mitarbeiter merkten, dass dieser Manager und ich bis zwei Uhr nachts arbeiteten, um ihre Zukunft zu sichern - kam doch noch ein Dialog zustande, bei dem die Mitarbeiter sehr konstruktiv und positiv darüber gesprochen haben, wie die Zukunft werden soll und welche Rolle sie darin spielen wollen. Die Reorganisation klappte. Das ist fünf Jahre her und dieser Manager ist noch immer Kunde von uns. Und mittlerweile auch ein Freund." Erfolg misst sich eben nicht nur in Heller und Pfennig.

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Tim de Boer ist CEO von Pleon Niederlande.

Sylvia Englert ist Redakteurin bei changeX und Buchautorin.

Weitere Informationen:
www.pleon.com

© changeX Partnerforum [07.12.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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