| Folge 9 : Hermann Drummer, Leiter von Pleon Brüssel. |
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"Kontakte", sagt Hermann Drummer, "sind das Ein und Alles. Sie sind das Frühwarnsystem, damit dir kein wichtiger Gesetzentwurf durch die Lappen geht, und dein Sicherheitsnetz. Sie ersetzen dir Nachrichtenagentur und Stammtisch." Kontakte sind das wichtigste Kapital in Eurocity. Wir stehen auf dem Place de Luxembourg, und das ist die Kontaktbörse Brüssels. Am Europäischen Parlament, das sich mächtig über der Kopfsteinpflaster-Kulisse erhebt, wird immer noch gewerkelt. Büros für die Parlamentarier aus den neuen Mitgliedsstaaten entstehen; sozusagen die bauliche Osterweiterung. Sommers stellen die Cafés ihre Tische nach draußen, und zu jeder Tageszeit herrscht reges Treiben. Lobbyisten, Parlamentarier, Beamte, Journalisten: Das Personal Europas trifft sich zum Plausch und Info-Tausch. "Das kann man sich getrost wie das Treiben auf einem riesigen Marktplatz vorstellen", sagt Drummer. Vertrauliche Papiere wechseln von einer Aktentasche in die andere oder, unspektakulärer, Hinweise auf zugängliche Politiker, anberaumte Anhörungen und Partys, die man auf keinen Fall versäumen sollte, weil wichtige Leute kommen.
Politische Strategien nach Maß.
Dr. Hermann Drummer brachte bereits
ein ansehnliches Startkapital an Kontakten mit, als er vor knapp
drei Jahren die Leitung der Public-Affairs-Dependance in Brüssel
übernahm. Der quirlige 52-Jährige war vorher ein Jahrzehnt lang
in Brüssel vorwiegend damit beschäftigt, Netzwerke zu knüpfen.
Zunächst in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung dort,
dann in der "Versammlung der Regionen", die fast 300 Mitglieder
aus ganz Europa unter einem Dach vereint. Heute konzentrieren
sich er und seine vier Mitarbeiter ganz auf den Bereich Public
Affairs. Für seine Kunden - beispielsweise aus dem Einzelhandel
und der chemischen Industrie - beobachten sie die Aktivitäten der
EU-Kommission und das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier.
Ihr Ziel ist, möglichst frühzeitig zu erkennen, welche Wirkungen
eine Verordnung oder Richtlinie für den jeweiligen Kunden haben
könnte. Sind negative Folgen fürs Geschäft zu befürchten, berät
Pleon bei der Ausarbeitung einer politischen Strategie: Was sind
die besten Argumente und wie bringt man sie zu Gehör? Die dritte
Phase, sagt Drummer, sei die mühsamste: "Dann reden wir mit den
entscheidenden Persönlichkeiten - Ausschussvorsitzende,
Referatsleiter, Fraktionsvorsitzende. In den meisten Fällen sind
ziemlich viele beteiligt, dann starten wir zu einem echten
Marathonlauf durch die Institutionen."
734 Parlamentarier entscheiden über neue Gesetze, in der
EU-Kommission arbeiten 20.000 Menschen, täglich ergießt sich eine
Flut neuer Verordnungen über Euroland. Von außen betrachtet,
sieht das wie ein bürokratisches Labyrinth aus. Doch für den
passionierten Netzwerker Hermann Drummer ist das europäischer
Alltag, kein Grund zur Resignation, sondern im Gegenteil: sein
Geschäftsfeld. Seine Aufgabe besteht darin, für die Kunden
Ariadne-Fäden durch den europäischen Irrgarten zu legen, für
Orientierung und Durchblick zu sorgen. Beispiel Süßwaren: Die EU
hat jüngst einen Entwurf vorgelegt, der den Herstellern verbieten
soll, in der Werbung Zuckerzeug zur Gesundkost zu stilisieren;
das Verbot solcher Mogelpackungen soll verhindern, dass sich
Kinder falsch ernähren. So weit, so gut. "Doch was heißt das
eigentlich: zu süß, zu salzig, zu fett?", wendet Drummer ein,
"zwischen Lappland und Portugal sind die Ernährungsgewohnheiten
ganz unterschiedlich. Statt sich auf einzelne Produkte zu
stürzen, müsste das gesamte Essverhalten berücksichtigt werden."
Für Kunden aus der Süßwarenindustrie verfolge Pleon deshalb die
Strategie, "weitere, zu detaillierte und Innovation und
Wettbewerb einschränkende Maßnahmen der EU auf diesem Gebiet zu
stoppen."
Viel wichtiger sei es, mit den Menschen über gesunde
Ernährung zu reden; Kinder in der Schule darüber aufzuklären; den
Kunden die Wahl und die eigene Verantwortung zu lassen. "Europa
und seine Kultur basiert ja eigentlich auf dem Geist der
Aufklärung", meint Drummer, "aber in Brüssel ist mittlerweile
eine Riege von Alt-68ern an der Macht, die immer noch glaubt,
Bürger ließen sich am besten mit Verboten und Regulierungen
lenken. Aber Verbote sind immer das Ende des Dialogs." Genau da
liege auch das akute Imageproblem Europas. "Viele Menschen
misstrauen der Kommission und den Parlamentariern. Sie haben das
Gefühl, was die da in Brüssel machen, hat mit meinem Alltag wenig
zu tun."
Komplexe Themen verständlich machen.
Ach Europa! Für seine Bürger drängt
sich der Eindruck auf, der ganze Aufwand dieser Gemeinschaft von
25 Staaten ranke sich um subventionierte Kuheuter und
schwächelnde Randregionen und genormte Äpfel. "Dabei ist Europa
eine Erfolgsstory ohnegleichen", hält Drummer dagegen. "Innerhalb
von 50 Jahren ist eine Zone der Demokratie und des Wohlstands
entstanden. Ein Krieg zwischen den einstigen 'Erzfeinden' in
Westeuropa ist undenkbar geworden. 450 Millionen Bürger mit
unterschiedlichstem kulturellem Hintergrund regeln ihre Dinge im
Konsens - das alles war doch nach dem Zweiten Weltkrieg noch
unvorstellbar!" Er setzt die Aufzählung fort: die Faszination der
Vielfalt - der Regionen, Sprachen, Kulturen -, die Sicherheit im
Alltag, die Möglichkeit, in Euroland grenzenlos zu reisen: "Das
sind die Vorzüge, die Europa kommunizieren sollte."
Komplexe Ideen eingängig zu erklären hat Hermann Drummer
als Journalist gelernt. Mitte der 80er Jahre arbeitete er als
Redakteur bei einer Schweizer Wochenzeitung, später schrieb er
noch lange Zeit als freier Journalist. Die in dieser Zeit
angelernte Fähigkeit zur Veranschaulichung hilft ihm heute
ungemein. "Wenn ich mit einem Parlamentarier über Chemiepolitik
diskutiere, muss ich zwar grundsätzlich im Thema fit sein, aber
wir gehen nicht bis auf die siebte Stelle hinter dem Komma. Viel
wichtiger ist es, Prinzipien klar zu machen. Dazu brauche ich
starke Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben. Und die bei
nächster Gelegenheit von eben diesem Politiker den Kollegen
weitererzählt werden. Ein guter Kommunikator infiziert Köpfe mit
Bildern."
Für diese Strategie versucht er, auch die Kunden von Pleon
zu begeistern. Sein Credo lautet: "Ihr müsst die Lufthoheit über
den Schreibtischen der EU für euer Thema gewinnen." Die eigenen
Bilder und Interpretationen sollten so wirkmächtig werden, dass
sie fortan die Diskussion bestimmen. Drummer nennt ein Beispiel
aus der Praxis: "Wenn ich für einen Kunden der chemischen
Industrie Gespräche mit Umweltschützern führe, wäre ich verloren,
würde ich mich nur auf das Thema der Rückstände beschränken. Der
Horizont wird deutlich breiter, wenn ich es schaffe, dass wir
über chemische Produkte reden, die auch dieser Umweltschützer als
unentbehrlich betrachtet, Arzneimittel oder Airbags zum Beispiel.
Auf dieser höheren Ebene ist plötzlich auch ein Konsens zwischen
gegensätzlichen Positionen möglich."
Keine Manipulation, sondern Moderation.
Public Affairs haben denn auch
nichts mit klandestinem Lobbying oder mit der Manipulation von
Meinung zu tun. Dafür aber viel mit Moderation, mit den Diensten
von Dolmetschern in einer zersplitterten Gesellschaft, wo einer
nicht mehr die Sprache des anderen spricht. Brüssel macht dieses
babylonische Sprachgewirr täglich erlebbar. Verwalter und
Politiker, Industrievertreter und Umweltbewegte,
Unternehmerfunktionäre und Gewerkschafter, alle reden miteinander
- und oft aneinander vorbei. Nicht Sprachkenntnisse im engen
Sinne seien das Problem, meint Drummer, "alle schlagen sich mit
4.000 Wörtern 'Bad Brussels English' durch. Nein, es fehlt vor
allem das Verständnis für den anderen, für seine Situation, für
seine Bedürfnisse, für sein Weltbild."
Die Rolle des kulturellen Dolmetschers liegt Drummer. Als
Journalist hat er gelernt, dass man lange zuhören muss, bevor man
eine Story schreibt. Als Referatsleiter im
nordrhein-westfälischen Umweltministerium hat er jegliche
Schwellenangst in Behörden verloren: "Ist der Mythos Ministerium
einmal zerbröselt, fällt es einem leichter, auf Augenhöhe mit
hohen Beamten zu sprechen" - gerade in Brüssel eine Haltung von
unschätzbarem Wert.
Für ihn sind die Mentalitätsunterschiede, die die
Abgesandten aus 25 Nationen prägen, eine interessante
Herausforderung. Aus seiner Arbeit für die "Versammlung der
Regionen" weiß Drummer, dass das Stadtgebiet von Brüssel
gepflastert ist mit kulturellen Fettnäpfchen. "Wenn mir ein
Beamter ein vertrauliches Papier zuspielt und ich ihn kurz darauf
zum Essen einlade, kann es sein, dass er tödlich beleidigt ist:
Er hatte ein inhaltliches Interesse und wertet mein Verhalten als
'Bestechungsversuch'. Umgekehrt kann es passieren, dass mich
jemand mit drittklassigen Infos versorgt und dafür eine
fürstliche Einladung erwartet. Also muss ich stets sehr genau
wissen, wen ich gerade vor mir habe." So werden Public Affairs
zur hohen Schule der Empathie.
In dem Maß, wie auch andere Pleon-Büros beginnen, neben den
klassischen Public Relations ebenfalls in diesem Bereich zu
arbeiten, erwartet Drummer eine noch stärkere Zusammenarbeit
zwischen den Standorten. Seit sich das Netzwerk als größte
europäische Agentur etabliert hat, "kommen plötzlich auch
Anfragen aus London oder Madrid. Die Kollegen dort können bei
einem Pitch darauf verweisen, dass unsere Firma nicht nur
national, sondern auch auf europäischer Ebene die Anliegen der
Kunden vertreten kann. Das ist ein wichtiger Mehrwert unserer
Kooperation."
Kopf und Bauch.
Als Bürger von Eurocity fühlt sich Drummer genau am richtigen Knotenpunkt dieses Netzwerkes. Und das ist für ihn keine Frage der Strategie, sondern des Lebensgefühls. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten "jeden Quadratzentimeter der europäischen Landkarte bereist". Meist mit dem Auto, "denn dann kann ich jederzeit aussteigen und die Eigenart eines Ortes schauen, hören, riechen, fühlen". Seine Landkarte ist eine kulinarische. Er weiß, wo es in der spanischen Extremadura den besten iberischen Schinken gibt, welcher kleine Ort in der Toskana ein besonderes Olivenöl herstellt, welche Käserei man in der Schweiz auf jeden Fall besuchen sollte. Bei ihm begeistern sich Kopf und Bauch unisono für den Reichtum des Kontinents: "Kulturelle Vielfalt ist kein theoretisches Konzept: Man kann sie schmecken, und das ist eine wunderbare Werbung für Europa."
English version (PDF) >>
Hermann Drummer leitet die Niederlassung von Pleon in Brüssel.
Michael Gleich ist freier Journalist für changeX.
Weitere Informationen:
www.pleon.com
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Autor
Michael GleichMichael Gleich, Publizist, Stroryteller und Redner, hat 2011 "der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen" initiiert. Es berät Veranstalter darin, Konferenzen und Foren als lebendige Lernorte zu gestalten.