Das Innovationsparadox.
Eine schlichte Antwort lautet, dass
man das wirklich Neue und Bahnbrechende, das Überraschende und
Begeisternde nicht im Akkord produzieren kann. Noch dazu, wenn
man keinen rechten Begriff mehr davon hat, was Innovation
bedeutet und welches kreative Umfeld Innovationen benötigen. Je
schneller sich die Produktzyklen verändern, desto dünner scheint
die Substanz des Neuen zu werden. Andererseits fehlen die
Maßstäbe, fehlen die Kriterien für die Auswahl von Innovationen.
Es fehlen noch dazu die Ziele, die gesellschaftlichen Leitbilder
für die Suche nach Innovationen. Es fehlt die Vision und es fehlt
das Herzblut, mit dem wagemutige Unternehmer einen risikoreichen
Weg beschreiten, um Innovationen den Weg zu ebnen oder mit ihnen
unterzugehen. Warum ist das so?
Es herrscht eine paradoxe Innovationskultur in den
Unternehmen. Einerseits wird in Sachen Innovation unglaublich auf
die Tube gedrückt. "Time-to-Market" heißt das aktuelle
Glaubensbekenntnis des Geschäftserfolgs. Innovationen sollen
generalstabsmäßig und im Eiltempo zur Marktreife gebracht werden.
Auf der anderen Seite regiert die Angst auf den Führungsetagen
und in den Vorstandszimmern. Nach den Wirren der New Economy gilt
jeder, der sich mit Zukunftsentwürfen oder gar mit Visionen
beschäftigt, als gefährlicher Geldvernichter. Da wird jede
originelle Idee sofort mit einer Marktpotenzialanalyse
drangsaliert. Jeder kreative Keim wird unter der strengen Lupe
des Innovationscontrollings zerpflückt. Absicherungsstrategien
und Zahlenbürokratie herrschen vor, wo Kreativität und Lust an
der produktiven Zerstörung gedeihen sollten. Was durch diese
Mühle kommt, ist leider allzu oft uninspirierter Mainstream,
getarnt als "Produktpflege".
In Zeiten des High-Speed-Business haben Innovationen kein
Ziel, keinen Raum und keine Zeit, sich zu entwickeln und zu
reifen. Das merkt man den Konzepten und Produkten, den Strategien
und Geschäftsmodellen einfach an. Echte Innovationen stellen für
die Unternehmen und die Gesellschaft ein seltenes und kostbares
Gewächs dar. Grob gesagt, geht man davon aus, dass gerade mal ein
Prozent der Neuerungen innovativ sind. Sie benötigen daher eine
Reife- und Auslesekultur, die sie nährt und fördert. Innovationen
brauchen Menschen, die ihnen ihre Leidenschaft schenken, sie
brauchen Fürsprecher und Türöffner, die sie in und mit der Welt
bekannt machen, und vor allem die kleinen Helden, die für sie
kämpfen.
Innovation zu schaffen ist eine Kunst mit vielen Facetten.
Doch im Moment herrscht die Holzhammermethode vor. Das kann auf
Dauer nicht gut gehen, denn der Konsument von heute ist nicht
mehr der trendgeleitete von gestern. Geiz mag er zwar geil
finden, aber er besitzt auf der anderen Seite auch ein feines und
sensibles Gespür für Qualität. Seine Ansprüche an Produkte und
Dienstleistungen nehmen zu. Ein Tatbestand, der in der Diskussion
über die Ursachen des so genannten Konsumentenstreiks
geflissentlich übersehen wird. Über die Qualitäten von
Innovationen spricht heute kaum jemand. Wann hat Sie eigentlich
das letzte Mal ein neues Produkt wirklich überzeugt, wenn nicht
sogar begeistert, mal abgesehen vom wunderbaren Apple
iPod?
Der gereifte Konsument.
Der gereifte Konsument, den wir identifiziert haben, fragt wieder nach dem Sinn der Produkte, nach ihrer Qualität. Reif ist er im zweifachen Sinne. Einerseits ist er übersättigt durch das vielfältige Angebot; er hat schon vieles ausprobiert. Zum anderen ist er aber auch an Lebensalter gereift. Er ist angesichts des demografischen Wandels älter und erfahrener geworden. So, wie der durchschnittliche BMW-Käufer bereits 53 Lebensjahre auf dem Buckel hat. Dieser gereifte Konsument ist nicht mehr so einfach durch kurzlebige Zeitgeistartikel, hippe Events oder ein sich nicht einstellen wollendes Erlebnisshopping an die Kassen zu bringen. Er beginnt, wieder in Kategorien der 70er Jahre zu denken. Fast vergessen tauchen wieder solche Begrifflichkeiten wie "Lebensqualität" auf. Eine Diskussion, die damals übrigens stark von der Gewerkschaftsbewegung mitgetragen wurde. Es ging nicht nur um solche elementaren Dinge wie die Humanisierung des Arbeitslebens, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz, in dem auch Bedürfnisbefriedigung durch Produkte eine Rolle spielte. Heute kehrt diese Diskussion nicht eins zu eins zurück, aber im Angesicht der nachhaltig verschlechterten ökonomischen Rahmenbedingungen wird der gereifte Konsument zu einem relevanten Konsumententypus, der durch Qualität von den Produkten überzeugt werden möchte.
Die vier Innovationsqualitäten.
Denn das Neue an sich ist kein
Selbstzweck. Das Neue braucht Inhalt und Sinn. Es benötigt die
Verbindung von sozialen Kontexten und den eigenen Denkwelten. Und
es braucht in den Produkten einen Funken, der überspringt. Wenn
dies alles fehlt, findet wahre Innovation nicht statt. Da wir
jedoch keinen klaren Begriff mehr haben vom Sinn des Fortschritts
als Legitimation des Erneuerns, benötigen wir andere Attraktoren
für die Orientierung in Innovationsprozessen. Wir müssen uns die
Welt wieder aneignen. Wichtige Impulse dafür könnten aus der
Open-Source-Bewegung und aus den Peer-to-Peer-Netzwerken kommen.
Aber die Wiederaneignung der Welt findet auch im eigenen Umfeld
statt. Innovationen müssen sich, wollen sie erfolgreich sein, auf
eine veränderte Wirklichkeit einstellen. Wir brauchen ein neues
Qualitätsbewusstsein bei der Gestaltung und Umsetzung von
Innovationen.
Wir möchten deshalb Ihren Blick auf die vier Qualitäten der
Innovation lenken. Ohne sie werden wir in der
Innovationssackgasse festsitzen bleiben, medienwirksam mit den
Füßen scharren, viel Staub aufwirbeln, aber nicht von der Stelle
kommen.
Der Neu-Wert
Innovationen brauchen innere Werte. Sie müssen für etwas
stehen, für eine Haltung, eine Perspektive, ein Verhältnis zur
Welt und zu den Dingen. Sie sind die Vorboten einer neuen Zeit
und unterliegen deshalb in besonderem Maße der öffentlichen
Kritik. Innovationen müssen über das Bestehende ein Stück weit
hinausragen, eine Ahnung vermitteln von den Möglichkeiten und der
Reichweite der Veränderung. Warum gibt es dieses Neue? Welcher
Wert drückt sich in dieser Neuerung aus? Wohl den Unternehmen,
die auf diese Fragen zukünftig eine überzeugende Antwort bieten
können.
Der Simplify-Faktor
Innovationen sollen das Leben nicht komplizierter, sondern
einfacher machen und angenehmer gestalten. Diese Forderung ist
wahrlich nicht neu, aber sie gewinnt an Brisanz in dem Maße, in
dem die Komplexität des Alltags- und Beziehungslebens zunimmt.
Beim Simplify-Faktor geht es vor allem um die Qualität der Zeit.
Neue Produkte und Dienstleistungen sollten dem Kunden zu mehr
Zeitsouveränität verhelfen, statt unkalkulierbare Zeitfresser zu
sein. Die Organisation des Alltags, Family Management und
Beziehungsarbeit und -pflege bilden die Zielkoordinaten
zukunftsfähiger und lebensnaher Produkte.
Der Wow-Effekt
Der Wow-Effekt ist verantwortlich für den Funken der
Genialität, der bei gelungener Innovation auf den Kunden
überspringt. Innovationen haben nicht nur eine rationale Seite,
sondern sie müssen auch im Bauch ankommen. Vielleicht sind es die
Schlichtheit und Eleganz einer neuen Idee, eine
bedürfnisbefriedigende Funktionalität, die Überzeugungskraft
eines gelungenen Designs oder das Erstaunen über einen
funktionierenden Service, die das Herz des Kunden höher schlagen
lassen und die gelungene Innovation zu einem unverzichtbaren Teil
ihres Lebens machen.
Das Aneignungsprinzip
Viele der heutigen Produkte und Hightech-Errungenschaften
schaffen zwischen sich und dem Nutzer eine Art unsichtbare Wand.
Die mangels notwendiger Programmierkompetenzen in der Bevölkerung
notorisch auf 00:00 blinkenden Digitalanzeigen von Videorekordern
sind hierfür ein altbekanntes Beispiel, die überbordende
Funktionsvielfalt von Mobiltelefonen ein aktuelleres. Und selbst
neue Produktgenerationen bringen erstaunlicherweise meist keine
Besserung, sondern versuchen, mit nur noch mehr Funktionen und
Optionen zu glänzen. Diagnose: Persönliche Aneignung missglückt.
Doch Entfremdung führt irgendwann zum Beziehungsabbruch. Das
Aneignungsprinzip bedeutet: Bei Innovationen müssen wir uns
verstärkter um die Möglichkeiten und Qualitäten ihrer Aneignung
kümmern als um ein pures Mehr an Möglichkeiten.
Was tun?
Wie kann und soll es mit den Innovationen nun konkret weitergehen? Wir haben hierzu kein in sich geschlossenes und erprobtes Konzept anzubieten. Ohne eine neue Innovationskultur wird es nicht gehen, so viel ist gewiss. Eine solche Innovationskultur entspringt keinem großen Plan, keiner Programmatik und keinem überparteilichen Konsens. Sie kann nur das Ergebnis vom Handeln seiner Bürger sein. Handeln auf allen Ebenen. Unternehmer, die wieder etwas unternehmen. Mitarbeiter, die, wie geschehen, entgegen dem Willen des Vorstands ein Cabriolet als Prototyp geplant und realisiert haben. Vorgesetzte, die spleenige Ideen nicht gleich abtun. Produktentwickler, die nicht nur wissen, was technisch möglich sein wird, sondern auch wissen, wie die sozialen Kontexte in der Zeit aussehen könnten, in denen ihr Produkt Anwendung finden soll. Zum Beispiel im Jahr 2015. Kreditinstitute, die tatsächlich risikoreiche Ideen absichern. Eltern, denen es nicht zu viel ist, sich in Bildungsprozesse einzubringen. Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung von Qualität abhängig machen. Produkte, die den Weg weisen in eine innovative, altersgerechte und nachhaltige Gesellschaft. Ein Gemeinwesen, das eine Innovationskultur entwickelt und lebt, in der das Scheitern kultiviert wird und Anpacken Kult ist.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Klaus Burmeister und Andreas Neef sind Zukunftsforscher und Geschäftsführer der Z_punkt GmbH The Foresight Company. Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Innovationsstrategien in Unternehmen. Ihr neuestes Buch ist Corporate Foresight - Unternehmen gestalten Zukunft.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [29.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, All rights reserved.
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Klaus BurmeisterKlaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.
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Andreas NeefAndreas Neef ist Managing Partner von Z_punkt.