Wer ist der beste Broker?
Für das Projekt VICO erforschen die Wirtschaftspädagogen der Universität Oldenburg die Herausforderungen des Arbeitens in virtuellen Unternehmen.
VICO - das steht für "virtueller Qualifizierungscoach". Für ein ausgefeiltes Programm, das Mitarbeiter virtueller Unternehmen künftig bei der Weiterbildung unterstützen soll. Aber bis die intelligente Software fertig ist, muss noch viel Forschung geleistet werden. Weil sich ein solches Projekt nur transdisziplinär anpacken lässt, arbeiten sechs Kooperationspartner aus der Wissenschaft und zwei Unternehmen aus der Wirtschaft in dem Verbundprojekt mit. Wie in einem Staffellauf steigen die Partner nacheinander ein; die einzelnen Teilprojekte greifen ineinander. In den ersten Phasen des Projekts sind unter anderem die Wirtschaftspädagogen von der Universität Oldenburg beteiligt.
Die Projektpartner von VICO gehen
davon aus, dass Menschen, die in virtuellen Unternehmen arbeiten,
mit dem Unvorhersehbaren umgehen lernen. Sie müssen tagtäglich in
einem unklaren Umfeld entscheidungsbereit und flexibel handeln
und sich schnell auf neue und komplexe Arbeitsbedingungen
einstellen können. Nicht nur, dass sie veränderte
Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozesse bewältigen müssen,
sie müssen sich unter anderem auch wandelnden Anforderungen der
IT-Technologie anpassen, neue Koordinations- und
Kooperationsstrategien sowie Schlüsselkompetenzen für die
webbasierte Zusammenarbeit erwerben. Doch bisher ist noch nicht
genau erforscht, welche Kompetenzen für erfolgreiches Arbeiten in
virtuellen Unternehmen überhaupt notwendig sind.
An diesem Punkt setzen der Lehrstuhl Technik und ihre
Didaktik der Universität Dortmund und das Fachgebiet Berufs- und
Wirtschaftspädagogik der Universität Oldenburg an. Ihre
Hauptaufgabe ist es, durch die Befragungen von Mitarbeitern
virtueller Unternehmen Hypothesen zu überprüfen oder neue zu
generieren. "Daraus werden sich, so hoffen wir, erste konkrete
Hinweise auf notwendige Kompetenzen ergeben, die Mitarbeiter in
virtuellen Unternehmen benötigen", erklärt Karin Rebmann,
Professorin am Institut für Betriebswirtschaftslehre und
Wirtschaftspädagogik. "Zum Beispiel im Hinblick auf webbasiertes
Arbeiten, selbst gesteuertes Lernen, das Lernen im Prozess der
Arbeit und neue Managementkompetenzen."
Das Arbeitspaket der Wirtschaftspädagogen.
Zum gemeinsamen Arbeitspaket der Oldenburger Wirtschaftspädagogen und der Dortmunder Kooperationspartner gehört insgesamt:
- für VICO Übersichten didaktischer Modelle und hybrider Lernumgebungen in der beruflichen Bildung zu erstellen;
- die Interviews mit Mitarbeitern virtueller Unternehmen vorzubereiten, durchzuführen und zu analysieren;
- anschließend einen Onlinefragebogen zu entwickeln und auszuwerten, er soll die qualitativen Ergebnisse erhärten;
- ein "Expertendelphi" durchzuführen, das bedeutet, Experten nach ihren Einschätzungen zu fragen und aus diesen Aussagen die wahrscheinlichsten Zukunftsszenarien zu destillieren.
Das alles sind Aufgaben, mit denen
das Team reichlich Erfahrung hat. Denn Wirtschaftspädagogen und
Technikdidaktiker beschäftigen sich mit dem Beziehungsgeflecht
von Beruf, Wirtschaft, Arbeit und Bildung aus pädagogischer
Sicht. Mit pädagogischen Theorieansätzen zur beruflichen Bildung
liefern sie Beschreibungs-, Erklärungs- und Gestaltungsmodelle
für die berufliche Erst-, Fort- und Weiterbildung. Rund 600
Studierende haben sich im Fachgebiet Berufs- und
Wirtschaftspädagogik der Universität Oldenburg eingeschrieben;
viele von ihnen wollen Handelslehrer an berufsbildenden Schulen
werden. In der Forschung beschäftigt sich der Lehrstuhl unter
anderem mit der Entwicklung und Erprobung komplexer
Lehr-Lernverfahren. Andere Projekte betreffen die Themen
Umweltbildung und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Aber
auch kritische Stellen der Berufsbildung unter die Lupe zu nehmen
gehört zu den Schwerpunkten der Forscher.
Zurzeit arbeiten Karin Rebmann, Verena Kehl und ihre
Kollegen vom Lehrstuhl Technik und ihre Didaktik an den
Interviewleitfäden. Was sie enthalten werden, steht schon fest:
"In den Interviews wird der Mitarbeiter des virtuellen
Unternehmens unter anderem gebeten, eine typische
Arbeitssituation mit einem Kollegen, Broker oder Kunden vor dem
Hintergrund der virtualisierten Arbeitsstrukturen zu nennen",
erklärt Projektmitarbeiterin Verena Kehl. "Dadurch wird für die
Forscher deutlich, was die besonderen Herausforderungen und
Schwierigkeiten in dieser Situation sind und welche Strategien es
gibt, sie erfolgreich zu bewältigen. Daraus ergeben sich wiederum
die im Arbeitsalltag benötigten Fähigkeiten."
Als Nächstes soll der Interviewpartner ein Idealbild eines
Brokers oder Mitarbeiters in virtuellen Unternehmen beschreiben.
Aus den Antworten kann man eine ganze Menge ablesen. Zum
Beispiel, welche "weichen Faktoren" wichtig sind, wo die
Unterschiede zu Mitarbeitern nichtvirtueller Unternehmen liegen,
ob es Unterschiede in der Arbeitshaltung von Netzwerkern und
Mitarbeitern traditioneller Unternehmen gibt. Aber auch über die
Vor- und Nachteile virtualisierter Arbeitsformen, Erwartungen an
andere Netzwerker, Erwartungen anderer Personen an den
Interviewpartner, Reibungsflächen und Problemfelder kann der
Interviewer etwas herausfinden.
Der zweite Teil widmet sich einer Art Überprüfung des
theoretischen Unterbaus. Die Interviewpartner sollen zu Aussagen
Stellung nehmen, die aus der Fachliteratur zum Thema virtuelle
Unternehmen stammen und die sich auf üblicherweise genannte
Problemfelder wie Entgrenzung, Subjektivierung und
diskontinuierliche Erwerbsbiografien beziehen. Alle Aussagen
werden eingebettet in typische Arbeitssituationen, die der
Interviewpartner einschätzen soll. Dabei achten die
Wirtschaftspädagogen sowie die Mitarbeiter des Lehrstuhls für
Technik und ihre Didaktik besonders auf Aspekte wie:
- Kommunikations- und Kooperationskompetenzen, die Prozesse in virtualisierten Arbeitsstrukturen einschließen.
- Die Fähigkeit, mit kulturellen Differenzen umzugehen. Diese Kompetenz braucht man, damit Missverständnisse und Kommunikationsbarrieren vermieden werden, wenn unterschiedliche Unternehmensstrukturen und -kulturen zusammentreffen.
- Neue Managementkompetenzen, um den veränderten Führungsanforderungen virtueller Organisationsstrukturen gerecht zu werden und dabei unternehmerisch denken und handeln zu können.
- Identitätskompetenz, um sich problemlos in wechselnde Teamkonstellationen integrieren und mit Ablösungs- und Vertreibungsmechanismen umgehen zu können.
- Rollenflexibilität und Ambiguitätstoleranz, um die wechselnden Anforderungen, Aufgaben und Rollen bewältigen zu können.
Abschließend werden die
Interviewpartner gebeten, die Bedeutsamkeit verschiedener
Kompetenzen (zum Beispiel Selbstkompetenz) und deren
Teilkompetenzen (zum Beispiel Eigeninitiative und
Eigenmotivation) einzustufen.
Den Fragebogen zu formulieren bedeutet intensive Arbeit.
Denn es gilt, viele Informationen in einem knappen,
konzentrierten Interview abzufragen. Es sollte möglichst kurz
sein, damit es die Mitarbeiter des virtuellen Unternehmens nicht
zu viel Zeit kostet. Neben dem Inhalt des Interviewleitfadens
spielt auch sein grafischer Aufbau eine wichtige Rolle. "Er ist
besonders wichtig für den Interviewer, da er fast immer unter
Zeitdruck steht", erklärt Karin Rebmann. "Er kann nicht erst
lange suchen, sondern muss rasch erkennen können, welche Frage er
als Nächstes zu stellen und welche Fragen er zu überspringen
hat."
Nach dem ersten Entwurf wurde zunächst ein "Pretest"
durchgeführt, um den Leitfaden auf seine Validität (Gültigkeit)
sowie auf seine Reliabilität (Zuverlässigkeit) hin zu überprüfen,
also zu untersuchen, ob er wirklich das misst, was er messen
soll.
Chancen für VICO.
Doch wie werden all diese
Erkenntnisse einmal in VICO integriert - und wie wird er
überhaupt arbeiten? "Der virtuelle Coach soll
nicht selbst qualifizieren, sondern Mitarbeiter virtueller
Unternehmen in die Lage versetzen, sich selbst gesteuert
fortbilden zu können", erinnert Verena Kehl. "Angedacht sind
bisher die Funktionen Weiterbildungsplattform, Self-Assessment,
Selbstlern-Assistent, Problemanalyst, Partnering-Pool sowie
Coaching-/Beratungsvermittler." Diese Funktionen bieten eine
Vielzahl an Möglichkeiten. VICO erstellt zum Beispiel ein
Lernerprofil des Nutzers, ermittelt gemeinsam mit ihm den
individuellen Qualifizierungsbedarf und präsentiert ihm einen
genau auf ihn zugeschnittenen Maßnahmenkatalog. Anschließend
übernimmt eine spezialisierte Metasuchmaschine die Suche nach
geeigneten Qualifizierungsangeboten im Internet. Zum Schluss
prüft er den individuellen Erfolg der einzelnen Maßnahmen. Treten
Fragen auf, hilft VICO dem Mitarbeiter, diese zu strukturieren
und unterstützt seine Spezialisierung und Profilierung. Der
virtuelle Coach ermittelt aber auch, anonymisiert aus den
Bedarfsbestimmungen, den allgemeinen Qualifizierungsbedarf in
virtuellen Unternehmen und erkennt allgemeine Trends.
Wird all das einmal die berufliche Weiterbildung
revolutionieren? Was steckt aus Sicht der Wirtschaftspädagogen
hinter VICO? "Lebenslanges Lernen ist nicht mehr bloß ein Aspekt
von Bildung und Berufsbildung, sondern es wird zum Grundprinzip,
an dem sich Angebot und Nachfrage in sämtlichen Lernkontexten
ausrichten", erklärt Karin Rebmann. "Ein solches
lebensbegleitendes Lernen erfordert jedoch zunehmend
Qualifizierungskonzepte, die Lernen im Kontext der Arbeit,
informelles Lernen, zeit- und ortsungebundenes Lernen sowie
kooperatives Lernen gleichermaßen ermöglichen." So genannte
Computer-Based Trainings (CBT) oder Web-Based Trainings (WBT)
erlauben zwar eine zeit- und ortsungebundene
Weiterqualifizierung, doch sie sind zu wenig flexibel und
dynamisch, um den speziellen Anforderungen von Mitarbeitern
virtueller Unternehmen gerecht werden zu können.
Die Oldenburger Wirtschaftspädagogen sind sicher: Virtuelle
Fortbildungen werden in Zukunft einen sehr hohen Stellenwert
einnehmen. Vor allem in einer bestimmten Variante des
E-Learnings, dem so genannten "Blended Learning". So nennt man
die didaktisch sinnvolle Verknüpfung von "traditionellem
Klassenzimmerlernen" und Online-Lernen auf der Basis neuer
Informations- und Kommunikationsmedien. "Hier wird die Zukunft
virtueller Fortbildung liegen", ist sich Rebmann sicher. "Auch
Qualifizierungscoachs werden einen hohen Stellenwert haben. Denn
Lernende brauchen die wirkungsvolle Begleitung und Unterstützung
des eigenen Lernprozesses. Bisherige Web-Based Trainings sind
nicht in der Lage, Lernende bei individuellen
Weiterbildungsbemühungen zu unterstützen, zu begleiten oder gar
zu coachen. VICO soll versuchen, diese Lücke zu
schließen."
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Zum changeX-Partnerportrait: ViCO - Virtueller Qualifizierungs-Coach.
© changeX Partnerforum [27.07.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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