Bleiben Sie sachlich

Das Harvard-Konzept von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton hat sich zum Klassiker gemausert.

Von Nina Hesse

Es gibt genug Menschen, die in Konflikten versuchen, die Gegenseite mit rhetorischen Tricks unter den Tisch zu argumentieren. Aber damit tun sie sich letztlich keinen Gefallen. Ein bemerkenswertes Buch über die Kunst des sachlichen Verhandelns lehrt, wie es anders geht.

Wenn es kritische Fragen zu klären gibt, geht es oft hitzig zu. Ob nun Mieter und Vermieter über ausstehende Reparaturen verhandeln, Gewerkschaftsvertreter mit Unternehmern über Lohnerhöhungen oder Israelis und Palästinenser über den Rückzug aus den besetzten Gebieten. Solche Gespräche sind eine Kunst, die viel Psychologie, Strategie und Rhetorik-Know-how erfordern. Wer auch immer sich in einer Situation befindet, in der er verhandeln muss, dem kann man nur sehr nachdrücklich das Harvard-Konzept ans Herz legen. Es ist mittlerweile in der 22. Auflage, weltweit haben sich zwei Millionen Exemplare verkauft.
Hinter dem etwas nichtssagenden Titel verbirgt sich ein hervorragender Leitfaden dafür, wie man Differenzen überwindet und zu einer gemeinsamen Lösung kommt. Verständlich und anschaulich haben Fischer und Ury darin die Erkenntnisse des renommierten Harvard Negotiation Project in einen Ratgeber gegossen, den man im Privatleben ebenso gut gebrauchen kann wie im Beruf. Viele der Beispiele stammen übrigens aus internationalen Friedensverhandlungen - was auf höchster Ebene funktioniert, klappt zwischen zwei Menschen noch viel leichter. Zudem kennt die beschriebene Situation jeder historisch informierte Mensch, so dass man sich nicht erst langwierig in die Ausgangssituation hineindenken muss. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen.

Win-Win-Situationen.


Der Erfolg des Harvard-Konzepts ist auch deshalb erfreulich, weil diese Anleitung zum sachbezogenen Verhandeln ein sehr sympathisches Konzept der Konfliktlösung propagiert. Möglichst alle Beteiligten am Verhandlungsprozess sollten, so die Autoren, einen Mehrwert erhalten. Fisher und Ury waren mit die Ersten, die diesen Gedanke der "Win-Win-Situation" propagiert haben. Obwohl er längst jedem ein Begriff ist, wird er leider oft nicht beherzigt. Und jedes Mal, wenn es einen "Gewinner" und einen "Verlierer" gibt, schafft das böses Blut.
Beim Verhandeln nach dem Harvard-Prinzip geht es darum, "hart in der Sache, sanft zum Menschen" zu verhandeln und so seine Ziele zu erreichen, ohne sich Feinde zu machen. Fischer, Ury und Patton lehren, wie man sich in die Gegenseite, ihre Interessen und Ziele hineindenkt, wie man auf feste Positionen verzichtet und stattdessen gemeinsam Alternativen entwickelt. So vermeidet man festgefahrene Verhandlungssituationen. Wichtig ist, sich nicht auf die "einzige" oder "beste" Lösung zu fixieren. Sonst kommt man gar nicht erst auf die Idee, nach anderen Möglichkeiten zu suchen. "Wer sachbezogen verhandelt, akzeptiert weder die Position seines Gegenübers noch weist er sie zurück. Damit bleibt der Dialog sachlich", erklären die Autoren.
Besonders spannend sind natürlich die Tipps der Autoren, wie man seine Verhandlungspartner zu einem fairen Verhalten bewegen kann, wenn die keine Lust zum "Mitspielen" nach den Harvard-Regeln haben oder gar mit Tricks, Drohungen, Druck und psychologischer Kriegsführung aufwarten. "Die Standardreaktion ist, solche Taktiken zu erdulden oder mit gleicher Münze zurückzuzahlen", erklären die Autoren. Doch das ist genau das Falsche. Stattdessen gilt: Bloß nicht auf Druck eingehen. Die Taktik des anderen durchschauen und höflich ansprechen. Nach dem Motto: "Ich habe den Eindruck, dass ihr hier gerade eine Good-Cop-bad-Cop-Vorstellung abzieht. Kann das sein?" Natürlich etwas dezenter formuliert. Dann kann man das Gespräch auf Spielregeln der Verhandlung bringen.
Selbst zu drohen halten die Autoren nicht für empfehlenswert. "Drohungen sind gefährlich. Sie können Gegendrohungen bewirken und eine zerstörerische Spirale in Gang setzen."

Verhandlungs-Judo.


Eigene Emotionen, aber auch die der Gegenseite zu erkennen und zu verstehen ist ein wichtiger Teil des Harvard-Konzepts. Dann findet man nämlich viel leichter den Weg zurück zur Sachlichkeit und kann, wie die Autoren empfehlen, Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln. Trumpft die Gegenseite auf und prescht sie aggressiv voran, dann empfehlen Fisher, Ury und Patton "Verhandlungs-Judo". Man macht einen Schritt zur Seite und lenkt den Angriff auf das Problem um. Auf Aktionen nicht mit einer Reaktion zu antworten ist sicher erst einmal nicht einfach. Wenn die Gegenseite Dampf ablässt, formuliert sich im Kopf die bissige Antwort fast schon von selbst. Trotzdem: Schlucken Sie sie lieber runter, die scharfen Bemerkungen! Stellen Sie Fragen, statt Statements zu produzieren. Laden Sie die Gegenseite zu Ratschlag und Kritik ein. Fragen Sie, was sie tun würde, wenn sie in Ihrer Position wären. Loten Sie die Interessen noch ein bisschen weiter aus. Ziehen Sie objektive Standards als Vergleichsmaßstab heran.
Praktisch ist, dass die Autoren ihre umfangreichen Ergänzungen der neuen Auflage nicht im Buch verteilt haben, sondern in einem getrennten Abschnitt am Ende des Buches abhandeln. Hier findet sich nun ein ausführlicher "FAQ-Bereich" in Form von "Zehn Leserfragen zum Harvard-Konzept". Darin werden Aspekte aus dem Hauptteil vertieft ("Was kann man tun, wenn die Gegenseite einen anderen Maßstab für Fairness hat?"), aber auch moralische Fragen wie: "Soll ich fair sein, wenn ich es nicht sein muss?", und es gibt noch ein paar konkrete Verhandlungstipps nach dem Motto: "Wer sollte das erste Angebot machen?" Eine sehr aktuelle Frage ist: "Sollte man auch mit Terroristen oder solchen Leuten wie Hitler verhandeln?" Die Antwort: "Ja. Gleich wie widerwärtig die andere Seite ist, die Frage, der Sie gegenüberstehen, ist nicht, ob Sie verhandeln sollen, sondern wie."
Nach der Lektüre gibt es eigentlich nur noch eins: Ausprobieren! Man kann davon ausgehen, dass man das nicht bereuen wird.

Roger Fisher / William Ury / Bruce Patton:
Das Harvard-Konzept. Ein Klassiker der Verhandlungstechnik,
Campus Verlag, Frankfurt/New York, 22. Auflage 2004,
268 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37440-4
www.campus.de

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

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: Das Harvard-Konzept. Ein Klassiker der Verhandlungstechnik. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2004, 268 Seiten, ISBN 3-593-37440-4

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