Lieber streiten statt erstarren
Professionelle Konfliktlösung - ein Gespräch mit der Wirtschaftsmediatorin und Führungskräftetrainerin Anita von Hertel.
Viele Menschen sehen Konflikte als dunkle Wolken am Horizont des menschlichen Miteinanders, denen man am besten geschickt ausweicht, um sich vor dem Gewitter rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Andere Zeitgenossen wieder streiten, mobben, intrigieren und boykottieren, wo immer es sich anbietet, und legen so ganze Prozesse lahm. Konfliktmanagement gehört zum Tagesgeschäft jeder Führungskraft und bietet mehr Chancen, als man zunächst vermutet.
Kinder lernen heute bereits in der
Grundschule in Streitschlichterprogrammen, wie man mit Konflikten
konstruktiv umgeht. Sie scheinen damit Managern und Führungskräften
einen guten Schritt voraus zu sein. Entwickelt sich da so etwas wie
eine "Schieflage"?
Ich glaube nicht, dass es diese Schieflage gibt. Aber
intelligente Kinder nutzen einen Vorteil, den manche Führungskräfte
vergessen haben. Sie fragen richtig. Sie überschütten niemanden mit
ihren Tipps. Ihnen fällt es deshalb recht leicht, zu fragen: "Sag
mal, was ist dir denn wichtig?" Aber auch immer mehr gute
Führungskräfte wissen, wann ihr fachliches Know-how und ihre
Ratschläge das kostbarste Gut sind, das sie haben - und vor allem:
wann nicht. Sie wissen, wie komplex Konflikte sind. Sie kennen ihre
eigenen Konflikterfahrungen. Und sie wissen, dass diese nie
hundertprozentig für das Leben anderer Menschen passen. Denn andere
Menschen befinden sich immer in anderen Zusammenhängen. Aber welche
Fragen sind die richtigen? Und wann sind welche Fragen zielführend
- und wann schädlich? Und wie sollte ich sie stellen? Die gute
Nachricht: Das kann Hans ebenso gut lernen wie Hänschen.
Ist der Bedarf an Mediation - professioneller Vermittlung bei
Konflikten - in den Unternehmen gestiegen?
Meiner Beobachtung nach, ja. Wer heute überleben will, muss
innovativ sein und sich schnell verändern. Innovative Unternehmen
brauchen Querdenker. Querdenker benutzen den eigenen Kopf und
sind kritisch. Dieser Trend hin zur Individualisierung führt
allerdings auch in einen Zwiespalt. In Zeiten einer angespannten
Wirtschaftslage trifft die Fähigkeit, kritisch denken zu können,
auf die Angst, vielleicht nicht kritisch denken zu sollen. Die
allgemeine Angst vor Veränderung kommt hinzu. Dadurch entsteht
eine ungute Gesamtsituation, in der Konflikte heftiger werden,
sich die Menschen aber häufig nicht trauen, diese auf den Punkt
zu bringen. Lieber kehren sie die Probleme unter den Teppich. Das
ist eine sehr brisante Mischung, die sich immer häufiger findet.
Jetzt gibt es zwei Trends: Es gibt Führungskräfte, die das
erkennen, sich damit beschäftigen, sich darum kümmern und deshalb
verstärkt Mediationskompetenz einsetzen und Synergielösungen
schaffen. Es gibt aber auch den Gegentrend, auf den diejenigen
setzen, die meinen, einen Riegel vorschieben zu müssen, indem sie
versuchen, Gehorsam einzufordern. Das Schlimmste ist, dass viele
ein Horror-Kombi-Modell wählen. Sie betreiben zu Beginn eines
Projektes eine falsch verstandene Frageritis und eiern herum. Am
Ende versuchen sie, Gehorsam zu befehlen, wenn die Probleme da
sind. Mit Mediationskompetenz macht man es umgekehrt: von Beginn
an so viel Klarheit wie möglich - und bei Schwierigkeiten die
richtigen Fragen stellen.
Eine ausgeprägte Individualisierung hat natürlich immer zwei
Seiten: Einerseits erhöhen Unterschiede das Erfolgspotenzial,
vergrößern aber gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass es zu
"Reibereien" kommt. Wie kann man trotzdem ein Klima schaffen, in
dem sich alle Beteiligten gut aufgehoben fühlen?
Das ist das vermutlich wichtigste Thema unserer Zeit. Immer
dann, wenn es Unterschiede zwischen Menschen gibt, kann es
besonders erfolgreiche Synergien geben - wenn sie sich ergänzen.
Immer dann, wenn es große Unterschiede gibt, können sie sich aber
auch großartig missverstehen. Da gilt es immer genau hinzuschauen
und zu fragen: "Wie eigentlich ist der andere anders als ich? Wie
denkt der andere anders als ich? Was nimmt der andere anders wahr
als ich?" Und plötzlich kommen wir Ideen auf die Spur, die uns
ganz nach oben bringen.
Ist das nicht auch die Funktion der Mediation? Die beiden
Streithähne zu lehren, sich auch mal in den anderen
hineinzuversetzen?
Unter anderem. Mediationskompetenz bedeutet mehr. Es reicht
nicht, sich nur in die Perspektive des Gegenübers zu versetzen.
Viel nützlicher ist die Mediatorperspektive. Von dort aus ist der
Überblick größer und man kann in einer anderen Qualität
feststellen: "Was kann ich tun, fragen, verändern?", damit beide
Beteiligten eine Win-Win-Situation erleben können. Oft muss man
sich ja auch fragen: "Geht es wirklich um das, um das es
vermeintlich zu gehen scheint?" Ein Beispiel: Zwei Mitarbeiter
streiten sich darum, ob das Fenster geschlossen oder geöffnet
sein soll. Das mag auch ein wichtiger Punkt zwischen diesen
beiden sein, aber wenn es nur darum gehen würde, dann hätten sie
es in irgendeiner Form geregelt. Meistens ist das so eine Art
Spitze des Eisbergs und unter der Oberfläche "Fenster auf,
Fenster zu" geht es in Wirklichkeit um Missverständnisse,
Verletzungen, Macht oder etwas ganz anderes.
Konflikten haftet - nach Ansicht der meisten Menschen - immer
noch etwas Negatives an. Wer in einen Konflikt verstrickt ist und
dann auch noch mit Hilfe von außen einen Lösungsweg finden muss,
dem ist das oft in zweifacher Hinsicht unangenehm und peinlich.
Wie kann es gelingen, das Thema "Konflikte" von diesem Makel zu
befreien?
Der Wandel hat begonnen, aber ich fürchte, da müssen wir
etwas Geduld mitbringen. Die Kinder, von denen sie eingangs
sprachen, die heute bereits in der Schule an
Konfliktlotsen-Programmen teilnehmen, werden - so vermute ich -
Mediation selbstverständlicher gewinnbringend nutzen als ihre
Eltern. Jede erfolgreiche Mediation - und zirka 80 Prozent sind
erfolgreich - kann ein kleines Körnchen zu diesem Wandel
beitragen.
Gewöhnungsbedürftig ist zum Beispiel, dass es besser sein
kann, heftige emotionale Ausbrüche zu provozieren, statt
möglichst schnell in einen Harmonismus zu steuern.
Wichtig ist: Wenn es eine Emotion gibt, dann braucht sie
einen professionellen Kanal, um sich in eine Innovation zu
verwandeln, und nicht jemanden, der sagt: Du bleibst unter der
Oberfläche und treibst da dein Unwesen!
Es gibt bei vielen Menschen das Bedürfnis, so schnell wie
möglich aus dem Konfliktfahrwasser herauszukommen und lieber
irgendeine Lösung zu finden als eine, die noch ein bisschen auf
sich warten lässt. Wenn ich mir ein bisschen mehr Zeit nehme und
gegebenenfalls auch die Emotionen, die ja das transportieren,
worum es eigentlich geht, zulasse, dann kann ich anstelle eines
sehr faulen Kompromisses, der schon zwei Tage später zu denselben
Schwierigkeiten führt, herausfinden, worum es wirklich geht. So
kann ich echte Lösungen und Erfolge produzieren.
In Ihrem Buch schreiben Sie: "Was Medikation für Krankheiten,
ist Mediation für Konflikte." Was muss man beachten, um mit Hilfe
des richtigen Mittels und der richtigen Dosierung gestärkt und
ohne unerwünschte Nebenwirkungen aus einer Konfliktsituation
hervorzugehen?
Wenn Menschen sehr krank sind, kommen meist Freunde und
Bekannte mit ihren Ratschlägen und Empfehlungen. Der eine
schleppt eine Fußpilzsalbe an, der Nächste kommt mit Aloe Vera
und wieder einer mit Vitamintabletten - und alle sagen: "Das
musst du unbedingt nehmen, mir hat das auch geholfen!" Ähnlich
ist es oft bei Konflikten. Wichtig ist jedoch, individuell zu
prüfen, was diejenigen brauchen, die in den Konflikten stecken.
Was nützt in ihrer konkreten Situation wirklich? Der zweite Punkt
ist - wie in der Medizin: Vorzubeugen ist immer besser als
heilen. Der dritte Punkt: Wenn der Konflikt da ist, erspart ein
Tag mit Mediation zum Auskurieren eine monatelang sich
dahinschleppende Konfliktgrippe, die die halbe Belegschaft
ansteckt.
Ein guter Mediator sollte sich nicht in eine Art
Schiedsrichterrolle drängen lassen, sondern sich eher als Fels in
der Brandung verstehen. Worauf muss ich achten, wenn ich als
Führungskraft meine Mitarbeiter zu einer positiven Konfliktlösung
lotsen möchte?
Vielleicht erinnern Sie sich an eine Loriot-Geschichte, in
der es um einen Kosakenzipfel geht: Beide Seiten wollen möglichst
viel vom Zipfel auf die eigene Seite bringen. Führungskräften in
Mitarbeiterkonflikten kann es leicht wie dem Zipfel ergehen, wenn
sie nicht aufpassen. Jeder will die Führungskraft auf seine Seite
ziehen. Wer nicht zwischen den Fronten zerrissen werden will,
kann sich mit Mediationskompetenz wunderbar stärken:
Wer es schafft, nicht nur neutral, sondern allparteilich zu
handeln, schafft Gewinner. Der Unterschied ist, dass man von
vornherein beiden zugewandt ist und ihre Bedürfnisse,
Notwendigkeiten und Wünsche, oft sogar Ängste und Nöte versteht.
So schafft man Rahmenbedingungen, in denen Selbstorganisation
möglich wird. Das heißt: Die Beteiligten finden selber neue Wege,
um bessere Synergien zu ermöglichen.
Zu den Rahmenbedingungen gehört sicher auch, die gespannte
Atmosphäre etwas zu entschärfen. Sie plädieren in Ihrem Buch
vehement dafür, bei aller Ernsthaftigkeit den Humor nicht zu kurz
kommen zu lassen. Wie funktioniert das in Situationen, in denen
ja oftmals die Nerven aller Beteiligten blank liegen?
Zunächst erst mal gar nicht! Wer angespannt ist, der will
oft nicht lachen und kann nicht lachen, dem ist der Humor im
Halse stecken geblieben. Damit geht auch eine Art Erstarrung
einher. In der Reduktion der Beweglichkeit liegt aber immer
gerade das Problem von Konflikten. Solange ich keine neue Idee
habe, wie ich meine Bedürfnisse anders befriedigen könnte als auf
die erstbeste Art und Weise, die mir eingefallen ist, kann ich
keine gute Win-Win-Lösung finden. Die Kunst einer guten Mediation
besteht darin, alle Beteiligten in ihren Befürchtungen und ihren
Sorgen durch gute Rahmenbedingungen abzuholen, damit sie sich
erlauben dürfen, wieder lachen zu können. Und zwar ganz entspannt
und befreit. Dann entstehen plötzlich neue Ideen, auf die man
sonst gar nicht gekommen wäre.
Der Schaden, der den Unternehmen durch fehlende Kommunikation,
durch mangelnde Sensibilität bei der Erkennung und auch bei der
Bearbeitung von Konflikten entsteht, ist immens. Was raten Sie
Unternehmen, die merken, dass irgendwas ständig schief läuft?
Wenn ein Unternehmen so weit ist, dass es dies selber
merkt, dann hat es schon den größten Schritt gemacht. Wer misst
denn schon, wie viel Zeit Mitarbeiter sich konstruktiv damit
beschäftigen, Dinge voranzubringen, und wie viel Zeit sie dafür
verwenden, mit Kollegenquerelen oder
Schnittstellenschwierigkeiten umzugehen? Manche Unternehmen tun
es und werden aktiv: Dann lautet der zweite Schritt: So früh wie
möglich (präventiv) aktiv werden. Für den Fall, dass die
Eskalation schon fortgeschritten ist, gilt festzustellen, wo man
am besten ansetzen könnte. Wer ist beteiligt und sollte
teilnehmen? Wie kann es gehen? Im Rahmen eines Gespräches? Oder
eines Workshops? Was ist das Ziel? Was muss sich ändern? Was darf
sich ändern? Was nicht? Manchmal stellt sich dann heraus, dass
die Führungskräfte nur ihre Strukturen vereinfachen müssen. Denn
zu viele Mitarbeiterkonflikte resultieren aus unklaren
Anweisungen oder hochkomplexen Aufträgen ihrer Chefs. Manchmal
treibt ein falsch verstandener Wettbewerb die Mitarbeiter in eine
Konkurrenzsituation, die sie mehr gegeneinander als miteinander
arbeiten lässt. Viele Führungskräfte wissen gar nicht, wie viel
sie mit einer rechtzeitigen einfachen Kurskorrektur mit
Mediationskompetenz erreichen können.
Anita von Hertel:
Professionelle Konfliktlösung.
Führen mit Mediationskompetenz,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
284 Seiten, 29.90 Euro,
ISBN 3-593-37306-8
www.campus.de
Petra Günzel ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [17.02.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Anita von Hertel: Professionelle Konfliktlösung. . Führen mit Mediationskompetenz.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 284 Seiten, ISBN 3-593-37306-8
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