Fernsehen zwischen den Fronten
Journalismus, der fair und ohne ethnische Scheuklappen recherchiert, ist auf dem Balkan immer noch eine Seltenheit.
Der Fernsehsender TV Sutel strahlt seine Programme vor allem auf Romanis aus. Damit haben die Roma ein Medium, das ihre Kultur, Sprache und Musik pflegt. Im fragilen mazedonischen Friedensprozess erfüllt der Sender eine wichtige Funktion: Oft werden Sinti und Roma in den schwelenden Konflikten zwischen christlichen Mazedoniern und muslimischen Albanern an den Rand gedrängt. Oder schlimmer, wie Roma-Vertreter sagt: "Wir sind meist die Ersten, die gelyncht werden."
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Reporter Mishko Taleski zuckt mit den Schultern. So sei das halt, wenn ein Team von TV Sutel irgendwo auftauche: "Die Leute laufen zusammen, und wer vor der Kamera etwas loswerden will, lässt sich davon nicht abhalten." Das will er auch gar nicht. Schließlich wird der kleine Sender von Roma betrieben, versteht sich als Auge, Ohr und Mund einer ethnischen Minderheit, die sonst nur selten zu Wort kommt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern auf dem Balkan gerieten "die Zigeuner" immer wieder zwischen die Fronten, wurden oft als Erste vertrieben. Oder Schlimmeres. Hier in Suto Orizari, am Nordrand der mazedonischen Hauptstadt Skopje, fühlen sie sich sicher und "daheim", so paradox es bei einem hoch mobilen Volk klingt. Suto Orizari ist eine Mischung von Lager und Kleinstadt, die schnell auf 40.000 Einwohner angewachsen ist. Die allermeisten sind Roma.
Politische und soziale Anliegen.
Und mittendrin TV Sutel. Die
Station hat sich in einem zweistöckigen Haus eingemietet. Nur
eine große Satellitenschüssel auf dem Dach weist darauf hin, dass
hier Fernsehen nicht empfangen, sondern gesendet wird. Die Türen
zur Redaktion stehen offen. Von draußen schallt eine Kakophonie
von Autohupen, Muezzin-Gesang und Hochzeitsmusik herein, der Duft
von gegrilltem Fleisch mischt sich mit dem Gestank von
verbrennendem Abfall, ein deutscher Schäferhund räkelt sich
zwischen den Schreibtischen.
Mishko Taleski stöhnt genervt. Er ist mal wieder vom
Nachschub an Nachrichten abgeschnitten, der Internet-Anschluss
ist tot. So muss er sich seine Meldungen auf anderen Wegen
beschaffen. Das Fax geht noch, immerhin. Er schneidet die
eintreffenden Berichte auf ein handliches Format; von diesen
Blättern wird er die Abendnachrichten verlesen. Improvisation ist
für ihn nicht die Ausnahme, sondern Tagesgeschäft. Sutel sendet
von neun bis 23 Uhr, beschäftigt aber nur drei feste und zehn
freie Mitarbeiter. Von den spärlichen Werbeeinnahmen und
bezahlten Musikwünschen könnte die Station kaum überleben. So ist
sie abhängig von den Zuschüssen der Schweizer Medienhilfe, einer
Organisation, die in Mazedonien solche Medien unterstützt, die
besonders fair über politische und ethnische Themen berichten.
"Journalisten können einen Konflikt anheizen, indem sie
einseitig und emotional berichten", meint Tanja Popovic,
Vertreterin der Medienhilfe in Skopje, "oder sie können, wie
Sutel, zu gegenseitigem Verständnis beitragen, indem sie
ausgewogen alle Seiten berücksichtigen. Insbesondere die Roma
brauchen eigene Medien, um gehört zu werden." Journalismus, der
fair und ohne ethnische Scheuklappen recherchiert, ist auf dem
Balkan immer noch eine Seltenheit. Insofern sind Sender wie Sutel
ein wichtiger Beitrag zum Friedensprozess in der Region.
Romanis als Sprache überwiegt im Programm, in Schulfunk und
Kulturprogrammen wird versucht, das Idiom lebendig zu halten, das
viele Jugendliche nur noch lückenhaft beherrschen. Politische und
soziale Anliegen der Roma - etwa die unwürdige Lage der
Flüchtlinge aus dem Kosovo - sollen im Mittelpunkt der Sendungen
stehen. Fernsehen ist weit wichtiger als Zeitungen oder Radio,
weil insbesondere einige ältere Roma nicht schreiben und lesen
können. Über einen Sender zu verfügen, der ihre Sichtweisen und
Traditionen auch nach außen, in die Hauptstadt Skopje trägt,
stärkt enorm das Selbstbewusstsein eines Volkes, das über ganz
Europa verstreut lebt und selten gut gelitten ist.
Multikulti im Miniformat.
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Mishko beschäftigt sich lieber mit der großen Politik. Nicht nur, weil das einem Journalisten mehr Renommee bringt: Für Dreharbeiten in Sutka fehlt ihm oft die Zeit, meist ein Kameramann und manchmal das Auto, das ihn vor Ort bringen könnte. Einfacher dagegen zapft er Berichte aus der weiten Welt aus dem Satellitenkanal. Über den deutschen "Kanzler Sreder" und die befreiten Mali-Geiseln, Tote in Bagdad, die EU-Erweiterung. Um daraus eine halbstündige Abendschau zu machen, legt Mishko fliegende Rollenwechsel hin, vom Redakteur zum Cutter, vom Regisseur zum Sprecher. Obwohl es schon spät am Nachmittag ist und der Countdown für die 20-Uhr-Nachrichten läuft, zeigt der 28-Jährige keinerlei Spur von Nervosität. Stattdessen philosophiert er über den politischen Kurs des Senders: "Sutel verhält sich sehr kritisch gegenüber jeglichem Fundamentalismus, egal, aus welcher Richtung er kommt. Obwohl ich selbst Mazedonier bin, drehe ich Reportagen über Sorgen und Nöte anderer Gruppen, ob Albaner oder Roma oder Türken. Neutralität ist bei uns selbstverständlich. Und unsere Zuschauer unterstützen das."
Wie in vielen Regionen des Balkans, birgt auch das Völkergemisch Mazedoniens jede Menge Zündstoff. Meist ranken sich die ethnischen Querelen um die Teilhabe an politischer und wirtschaftlicher Macht. Im Jahr 2001 flammten die unterschwelligen Konflikte zu einem offenen Krieg auf. Der dauerte nur sechs Monate, warf das Land jedoch um Jahre zurück. Rund 150.000 Flüchtlinge, einige Hundert Tote und ein Klima tiefen Misstrauens gegeneinander waren die Folgen, die noch lange nicht bewältigt sind. Zwar existiert das "Ohrid-Abkommen", das die Gleichberechtigung aller Gruppen vorsieht; doch die relative Ruhe im Lande verdankt sich vor allem einer starken internationalen Präsenz.
"In solch einer kippeligen Situation", meint Mishko, "können aufgebauschte Nachrichten die Stimmung zusätzlich anheizen. Wir Journalisten haben eine besondere Verantwortung, das Gespräch zwischen den ethnischen Gruppen nicht zu gefährden." In seinem Politmagazin "Dvogled" (Fernglas) bringt er Vertreter der verfeindeten Parteien zusammen - zumindest versucht er es: "Manchmal müssen wir die Interviews einzeln drehen, weil sie sich nicht zusammen mit einem �Gegner' filmen lassen wollen."
Improvisieren ohne Stress.
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Der Sekundenzeiger rückt Richtung zwölf. Ein aufgeregter Vorspann, mit animierten Globen und schmetternden Fanfaren wird abgefahren, der CNN in nichts nachsteht. An der einzigen Studiokamera leuchtet das Rotlicht auf. Routiniert hebt Mishko den Blick von seinen Blättern, schaut fest ins Objektiv: "Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. - Bagdad ..." Mishko spricht. Und für eine halbe Stunde müssen die Musiker nebenan mucksmäuschenstill sein.
Michael Gleich ist Wissenschaftspublizist und engagiert sich in der Initiative Peace Counts project für den Frieden.
© changeX Partnerforum [06.01.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Michael GleichMichael Gleich, Publizist, Stroryteller und Redner, hat 2011 "der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen" initiiert. Es berät Veranstalter darin, Konferenzen und Foren als lebendige Lernorte zu gestalten.