Auf der Suche nach dem Wirkstoff

Ein neuer Biochip von Infineon beschleunigt die Entwicklung von Medikamenten.

Von Nina Hesse

Es gibt reichlich unerforschte Substanzen, aus denen man revolutionäre Medikamente machen könnte. Nur leider muss man hunderttausende von Stoffen testen, um herauszufinden, was wogegen wirksam ist. Der neue Chip erledigt das im Eiltempo - mit Hilfe einer Million winziger Poren.

Trotz der rasanten Fortschritte der Medizin sind noch immer zwei Drittel der 30.000 bekannten Krankheiten nicht heilbar. Nicht nur das, immer wieder tauchen neue Seuchen auf, versetzen wie gerade SARS ganze Länder in Angst und Schrecken. Kurz, es bleibt wichtig, ständig neue Medikamente zu entwickeln. Doch bis ein neues Arzneimittel schließlich in den Apotheken steht, vergehen bisher etwa zwölf bis 15 Jahre, bei einem Entwicklungsaufwand von rund 800 Millionen Euro. Bis dahin heißt es für die Kranken ausharren und hoffen. Aber auch die Pharmaunternehmen bangen - nämlich, ob das Medikament sich bewährt und die enormen Kosten wieder einspielt. Wird das neue Produkt ein Verkaufsschlager, hat sich das Risiko gelohnt, dann kann das Medikament einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro erwirtschaften.
Bei dieser aufwendigen Entwicklungsarbeit spielt die Biotechnologie in Zukunft eine wichtige Rolle. Zum Beispiel durch Analysemethoden, mit denen sich neue Substanzen auf ihre Heilwirkung testen lassen - "Screening" wird das genannt. Infineon arbeitet schon seit Jahren daran, die Halbleiter- mit der Biotechnologie zu verschmelzen - und kann jetzt einen eindrucksvollen Erfolg vorweisen: eine weltweit einzigartige Systemlösung, welche die Entwicklung von Medikamenten erheblich beschleunigen soll. "Wir gehen davon aus, dass neue Forschungsmethoden, wie sie unser Flow-Thru-Chip-System ermöglicht, die Arbeit in Pharmalabors in einem ähnlichen Maß verändern werden wie der PC vor zwei Jahrzehnten die Computerlandschaft: Alles wird kleiner, schneller, kostengünstiger", erklärt Dr. Thomas Klaue, Vice President Business Development von Infineon Technologies AG.

Wertvoller Zeitvorsprung.


Herzstück des neuen Systems, das mit allen Komponenten pro Stück 60.000 Euro kostet, ist ein so genannter Flow-Thru-Biochip, auf dem ein ganzes "Labor in Miniaturformat" untergebracht wurde. Optisch analysiert er auf nur einem Quadratzentimeter zeitgleich die Reaktion von bis zu 400 bekannten Genen auf einen bestimmten Wirkstoff. Mit seiner Hilfe kann die Wirkung von Substanzen binnen weniger Stunden analysiert werden, sechsmal schneller als mit bisherigen Testverfahren. Da sehr viele Stoffe auf ihre Wirksamkeit geprüft werden müssen, bis ein potenzielles neues Medikament entdeckt ist, kann der neue Chip den gesamten Entwicklungsprozess um etwa ein bis zwei Jahre verkürzen. Ein Zeitvorsprung, der schnellere Heilung für die Betroffenen bedeutet und - wenn das neue Produkt sich gut verkauft - ein sattes Umsatzplus für das Pharmaunternehmen. Auch für den Hersteller der neuen Chips lohnt sich die Sache: Infineon wagt sich mit seinem Biochip, der in Kooperation mit der US-Firma MetriGenix entwickelt wurde, auf einen ganz neuen Markt. Einen sehr angenehmen. Denn während sich beim Geschäft mit Speicherchips Boom und Flaute auf nervenzerfetzende Art abwechseln, wächst der Markt der Diagnostik und Medikamentenentwicklung beruhigend stabil.
Bei der Entwicklung des neuen Systems ergänzten sich die Kompetenzen der beiden beteiligten Unternehmen perfekt: Auf Infineons Chip, entwickelt mit der langjährigen Halbleiter-Erfahrung der Münchner Hightech-Firma, bringt MetriGenix, der amerikanische Partner aus der Biotech-Branche, die jeweiligen Gen-Abschnitte auf, umhüllt den Chip mit einem speziellen Plastik-Gehäuse und stellt die Messapparatur her. Beide Unternehmen teilen sich auch den Vertrieb des Systems: Infineon ist in Europa tätig, MetriGenix in den USA. Infineon beginnt damit die Umsetzung seines Strategie-Programms "Agenda 5-to-1", um sich in den kommenden fünf Jahren im Lösungsgeschäft der Halbleiterindustrie als Nummer eins zu positionieren.

Neue Medikamente und schnellere Diagnose.


Ab sofort erhältlich sind Biochips zur Untersuchung von Entzündungen, von verschiedenen Krebsarten wie Lungen- und Brustkrebs sowie für neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Multiple Sklerose. Darüber hinaus können auf dem Flow-Thru-Chip individuell Gene aufgetragen werden. Damit könnte man ihn auch auf anderen Gebieten einsetzen - in der Lebensmittelforschung, Vaterschaftsanalyse, Forensik und Prädispositionsdiagnostik zum Beispiel. Infineon plant, das Flow-Thru-Chip-System für diagnostische Zwecke weiterzuentwickeln. Damit könnte ein Arzt in seiner Praxis in Minutenschnelle die individuelle Medikation für einen Patienten ermitteln: Aus einer Blutprobe könnte man Informationen darüber gewinnen, wie der Kranke auf bestimmte Medikamente anspricht - vor allem auch wie schnell - und welche Nebenwirkungen bei ihm auftreten könnten. Besonders bei der Behandlung von Krankheiten wie Depressionen oder Bluthochdruck wäre das ein Fortschritt, weil dabei die Dauer bis zur einsetzenden Wirkung eines Medikaments extrem wichtig ist.
Auch für die "Resistenzanalyse" in Krankenhäusern könnte man den Chip einsetzen. Krankenhauskeime bedeuten für Patienten, besonders auf der Intensivstation, ein zusätzliches Risiko: Die Erreger können bei bereits geschwächtem Immunsystem zu Lungenentzündung, Wund- oder Harntraktinfektionen führen und sind gegen zahlreiche bekannte Antibiotika resistent. Auf der Oberfläche des Flow-Thru-Chips kann innerhalb weniger Stunden das Resistenzmuster eines Keimes sichtbar gemacht werden - damit kann man schnell das Antibiotikum ermitteln, das gegen ihn noch wirksam ist.

Eine Million winziger Poren.


Doch was genau sind eigentlich Biochips? Es sind kleine Probenträger aus Glas, Kunststoff oder Silizium. Auf ihnen können gleichzeitig Hunderte bis Tausende biochemischer Reaktionen ablaufen und (optisch oder elektronisch, je nach Chiptyp) ausgewertet werden. Der neue Flow-Thru-Chip besteht aus Silizium und sieht mit seinen rund eine Million Poren in der Vergrößerung aus wie ein Schwamm. Ein von Infineon entwickeltes spezielles Fertigungsverfahren ätzt auf nur einem Quadratzentimeter Fläche etwa eine Million Löcher mit einem Durchmesser von einem Zehntel eines menschlichen Haares. Diese Poren werden mit bekannten Genabschnitten bestückt, zum Beispiel mit solchen, die bei Brustkrebs ihre Genaktivität verändern. Diese setzen sich dicht an dicht an den Wänden der Poren ab. Die zu untersuchenden Proben werden mit einem Wirkstoffkandidaten behandelt und dann im so genannten Flow-Thru-Verfahren mehrmals in den Poren hin und her gepumpt. Nur die passenden Gene der Probe docken bei diesem Vorgang an die Genabschnitte der Porenwand an (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Ausschließlich an diese bindet sich der in einem weiteren Schritt zugegebene Farbstoff und gibt dabei ein Licht ab. Von einer Kamera erfasst und an einen Rechner weitergegeben, kann das Lichtmuster auf dem Bildschirm ausgewertet werden. Die Analyse, ob eine Substanz wirkt oder nicht, ist einfach und schnell. Verglichen wird dabei das Lichtmuster der gesunden Probe mit dem der behandelten Probe. Stimmen sie überein, hat der Wirkstoff angeschlagen. Kurz: Der Flow-Thru-Chip bringt die Gene zum Leuchten!

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

www.infineon.com
www.campeon.de

Informationen zu Infineons Biochip-Aktivitäten unter www.infineon.com/bioscience.

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