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Wertvorstellungen, nicht eine unbewusste Psychodynamik bestimmen das Verhalten des Menschen. Sagt ein Psychologieprofessor, der 16 Lebensmotive identifiziert hat, die in ihrer individuellen Gewichtung jeden Menschen einzigartig machen.
Steven Reiss hat eine Theorie und seine Frau Maggi hat ein Problem: Als desorganisierter Psychologieprofessor lebt und arbeitet Reiss in einem chaotischen, stets unaufgeräumten Arbeitszimmer, verliert im Winter ein halbes Dutzend Paar Handschuhe, kommt zu Terminen stets auf die letzte Minute, kann sich für Urlaubsziele ebenfalls nur im letzten Augenblick entscheiden, hasst allgemein langfristige Planungen und amüsiert sich beim alljährlichen Frühjahrsputz seiner Frau, dass „manche Menschen Sachen reinigen, die schon sauber sind“.
Anders als seine Frau ist Reiss jedoch der Auffassung, und seine Forschungen sollen das theoretisch belegen, dass seinem Verhalten nicht unverarbeitete Ängste, Kindheitstraumata oder eine schlechte Kinderstube zugrunde liegen. Während seine Frau der festen Überzeugung ist, „jeder käme mit dem Potenzial auf die Welt, ein wohlorganisierter Mensch zu sein“, weiß Reiss, dass die Sache anders liegt: „Ich gehe stattdessen davon aus, dass meine Unordentlichkeit durch ein starkes Bedürfnis nach Spontaneität begründet ist.“ Reiss fühlt sich nämlich angeregt und belebt, wenn er Spontaneität erlebt, aber unwohl in stark strukturierten Situationen. Er bevorzuge schlicht und einfach eine desorganisierte Lebensweise, da sie es ihm erlaubt, „wenig Ordnung zu erleben und mehr Erfahrung mit Spontaneität zu machen. Mein Bedürfnis nach Spontaneität ist intrinsisch begründet“, schreibt Reiss und hat den Schlüssel zum Verständnis desorganisierter Menschen: Man muss nur erkennen, dass sie nur deswegen Spontaneität erleben wollen, weil genau das ihr Bedürfnis ist.
Auf einzigartige Weise geprägt.
Die These, dass Wertvorstellungen und nicht eine unbewusste Psychodynamik das Verhalten des Menschen bestimmen, stellt Reiss samt konkreter Anwendungen seiner Theorie in seinem neuen Buch Das Reiss Profile. Die 16 Lebensmotive. Welche Werte und Bedürfnisse unserem Verhalten zugrunde liegen dar. Ausgehend von einer breit angelegten Studie zur Motivation des Menschen hat Reiss 16 Grundbedürfnisse identifiziert, die jeden Menschen prägen, jedoch jeden Menschen auf einzigartige Weise. Das Profil der Grundbedürfnisse, das sich über das Testverfahren des Reiss Motivation Profile erzielen lässt, verrät etwas über Wertvorstellungen und Persönlichkeitsmerkmale.
Reiss schreibt: „Wenn ich weiß, welchen Wert ein Mensch den 16 Grundbedürfnissen beimisst und wie er sie zu einem Ganzen vereint, kann ich mit statistisch bedeutsamer Validität die Persönlichkeitsmerkmale, die Wertvorstellungen, die Beziehungen und das Verhalten in Situationen des realen Lebens vorhersagen.“ Das Reiss Motivation Profile will eine detaillierte Beschreibung der menschlichen Motivation liefern. „Es zeigt detailliert die Zusammenhänge zwischen Motiven, Wertvorstellungen und vielen normalen Persönlichkeitsmerkmalen.“
Anders als psychodynamische Theoretiker ist Reiss der Ansicht, dass Schwierigkeiten im Leben schlicht die Folge davon sind, dass Lebensmotive nicht befriedigt werden. So lassen sich seiner Ansicht nach auch persönliche Schwierigkeiten durch Strategien verhindern, in denen Menschen Situationen auswählen, die ihren individuellen Wertvorstellungen entsprechen. Reiss ist davon überzeugt, „dass wir, um Persönlichkeitsmerkmale zu erklären, aufhören sollten, nach etwas zu suchen, was hinter Motivation und Wertvorstellungen stecken könnte.“
Ein gelüfteter Schleier.
Als Grundbedürfnisse hat Reiss unter anderem entdeckt: Anerkennung als das Bedürfnis, Kritik und Ablehnung zu vermeiden, Beziehungen als das Bedürfnis nach Freundschaft, Ehre als das Bedürfnis, sich moralisch integer zu verhalten, Eros als das Bedürfnis nach Sexualität, Familie als das Bedürfnis, seine eigenen Kinder großzuziehen, und Neugier als das Bedürfnis nach Kognition.
Ausgehend von seinem theoretischen Ansatz beschreibt Reiss darüber hinaus, wie sich die Motivationsanalyse in der alltäglichen Interaktion, im Beruf, bei der Bewältigung persönlicher Schwierigkeiten und zum Verständnis von Beziehungen nutzbar machen lässt. Für jeden, der sich und sein Gegenüber besser verstehen möchte, ist die Lektüre ein gelüfteter Schleier.
changeX 24.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Steven Reiss: Das Reiss Profile. Die 16 Lebensmotive. Welche Werte und Bedürfnisse unserem Verhalten zugrunde liegen. Gabal Verlag, Offenbach 2009, 312 Seiten, ISBN 978-3-86936-000-3
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Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.