Lehren im Netz
Lernen verlagert sich immer mehr ins Netz. Im virtuellen Klassenraum treffen via Online-Training Lernende auf Lehrende. Ein neuer Ratgeber zeigt, wie sich der Unterricht im Netz gestalten lässt.
Ein Coach oder Trainer, der heute vornehmlich in der analogen Welt unterwegs ist, könnte schon morgen einen ähnlichen Brief in seinem Postfach finden: "Wie Sie wissen, sind wir ein weltweit agierendes Unternehmen und haben bisher unsere Mitarbeiter zu Ihrem Training immer an unseren Standort in Hamburg eingeflogen. Das können wir zukünftig unter anderem aus Kostengründen nicht mehr so durchführen. Da wir Sie aber als Experte für dieses Thema nicht verlieren wollen, würden wir gerne wissen, ob Sie die Trainings auch online über einen virtuellen Raum durchführen könnten."
Tja, wer sich nicht sperrt, weiß, dass damit die Zukunft bei ihm angeklopft hat: Nicht dass Lehren und Lernen künftig nur noch digital stattfinden würde, aber diese Option hat sich in der heutigen Wissensvermittlung einen festen Platz erobert und geht bereits neue Mischformen mit analogem Unterricht ein: Blended Learning. Damit gesellt sich zum wirklichen Klassenzimmer mit langem Anfahrtsweg, schlechter Luft und verlegter Kreide das virtuelle Klassenzimmer: per Mausklick von jedem Ort der Welt für jeden erreichbar. Fehlt nur noch der virtuelle Dozent, Trainer oder Coach.
Analoges Geschäftsmodell erweitern
Wem also allein als Reaktion auf den Zeitgeist eine Veränderung seines analogen Geschäftsmodells eher unbequem ist, sollte sich ehrlich ein paar Fragen stellen: Möchte ich mehr Zeit an meinem Heimatort verbringen? Gibt es Zeiten, in denen ich Seminare geben möchte, ohne das eigene Umfeld zu verlassen? Bin ich neugierig und habe ich Freude am Ausprobieren neuer Medien und Methoden? Kann ich mich dadurch weiterentwickeln? Gibt es Präsenzthemen, denen eine Ergänzung durch Online-Einheiten guttäte? Et cetera.
Wenn die Antworten eher positiv ausfallen, ist die Weiterentwicklung zum Online-Trainer vielleicht eine gute Idee. Und auf die vielen Fragen, die sich für jeden Anfänger im Anschluss stellen, wenn die Entscheidung dazu gefallen ist, haben die beiden Online-Trainerinnen Silvia Luber und Inga Geisler in ihrem neuen Buch Online-Trainings und Webinare. Von der Vermarktung bis zur Nachbereitung die Antworten. Das umfassende Buch, aus zehnjähriger Erfahrung in Online-Trainings gespeist, bietet dem Leser eine pragmatische Schritt-für-Schritt-Anleitung, die inhaltlich einen weiten Rahmen spannt, aber gleichzeitig - und dies ist für den Praktiker interessant - konkret und detailliert geschrieben ist, von tabellarischen Checklisten und Zusammenfassungen über Schaubilder bis hin zu weiterführenden Links. Berichte von erfahrenen Online-Trainern runden das Ganze ab. Insgesamt also eine gelungene Balance.
Unübersichtliches Feld
Gleich zu Beginn holen die beiden Autorinnen den Leser dort ab, wo er stehen dürfte: Was ist digitales Lernen? Wie sieht es konkret aus? Und: Sind Online-Trainings für mich überhaupt eine Option? Im zweiten Schritt wird es schon handfester: Welche Weiterbildungsmöglichkeiten, formell oder informell, gibt es? Wie richte ich den Virtual Classroom ein, welche Software ist zu empfehlen - und wie gestalte ich das Marketing? Während im dritten Schritt die Planung von Online-Trainings im Blickpunkt steht - von inhaltlichen Fragen über didaktische bis hin zu organisatorischen samt rechtlichen -, geht es im vierten Schritt in medias res des Unterrichts: Warm-up im virtuellen Klassenzimmer, Themeneinstieg, Kombination der Internettools, Lerntempo, Lautstärke, Mikrofon, technische Probleme, schwierige Teilnehmer und so weiter. Der fünfte Schritt beinhaltet dann die Nachbereitung, also die Schleife von Feedback, Reflexion und Konzeptanpassung.
Das Buch bietet somit eine praktische Einführung in das unübersichtliche Feld der webbasierten Lehre. E-Learning ist bereits ein etablierter Begriff: der Zugang zu Lernmedien über moderne, digitale Kommunikationstechnologien. Darüber hinaus jedoch ist das Feld noch recht unbestellt, schon terminologisch. Im Fluss sind auch die Formen webbasierten Lernens. So gibt es das asynchrone wie das synchrone, also das zeit- wie das nicht zeitgebundene Online-Training, jeweils mit dem spezifischen Merkmal: interaktiv. Dann gibt es auch Formen, die der Präsentation näher sind; für sie hat sich der Begriff "Webinar" im Sinne von "Seminar im Web" etabliert, wobei allerdings die Interaktion als typischer Bestandteil eines Seminars oft verblasst. Kurzum: Gebrauch und Sprachgebrauch von Online-Trainings in allen ihren Facetten sind erst in der Entwicklung. Und für alle, die auf diesem Feld aktiv sind, gilt: Sie sind Pioniere, Wegbereiter.
Ruhe bewahren und rechtzeitig einwählen
Wer als erfahrener und eingefleischter Offline-Präsenztrainer der ganzen Sache dennoch irgendwie skeptisch gegenübersteht, dem seien insbesondere die Erfahrungsberichte und -interviews mit profilierten Online-Trainern am Ende des Buches ans Herz gelegt: Sogar Kreativitätskurse und Mediationen haben mittlerweile einen festen Platz im virtuellen Klassenzimmer.
Und, ganz speziell für die Technik-Skeptiker, hat das Buch auch eine Anregung zum positiven Erwartungsmanagement auf Lager: "Wer mit Technik arbeitet, muss immer damit rechnen, dass Fehler auftreten und dadurch die Veranstaltung verzögert wird oder im schlimmsten Fall ausfällt. Dies sollte den Teilnehmern von Anfang an klar sein. Ruhe bewahren und Flexibilität sind hier alles." Ganz praktisch gilt für Anbieter von Online-Trainings: rechtzeitig die Technik checken. Und für Teilnehmer: sich rechtzeitig - fünf bis zehn Minuten vor Start - einwählen.
changeX 28.04.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Silvia Luber, Inga Geisler: Online-Trainings und Webinare. Von der Vermarktung bis zur Nachbereitung. Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2016, 228 Seiten, 29.95 Euro, ISBN 978-3-407-36607-8
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Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.