Auf Kurs

Krisen lieben - das Kursbuch ist wieder da
Text: Winfried Kretschmer

Verbindungen zwischen den Perspektiven herzustellen, sieht das neue Kursbuch als seine Aufgabe. Und stellt sich damit der Komplexität und Perspektivendifferenz der modernen Gesellschaft. Frisch und anspruchsvoll zugleich.

cv_kursbuch_170_140.jpg

Es ist wieder da. "Es", das war die wichtigste kulturelle und politische Zeitschrift der 1960er-Jahre, die Themen ansprach, die sonst niemand anzusprechen wagte, die Diskurse aufgriff und Diskurse prägte: das Kursbuch, intellektuelle Heimat (wenn es so etwas gibt) vieler unabhängiger, antiautoritärer, linksliberaler Köpfe. 1965 gegründet, überstand die Zeitschrift mehrere Verlagswechsel, bis sie dann irgendwann bei Ausgabe 169 stehen blieb. Jetzt ist das Kursbuch wieder da. Einfach so, mit Ausgabe 170. 

Ein Kursbuch, ist das heute noch angemessen?, mag man fragen. Heute, in einer Zeit, da Orientierung schon eine Herausforderung ist? Der Frage haben die Kursbuch-Macher klug vorgebaut. Auf der Rückseite der aktuellen Ausgabe ist das Cover des ersten Kursbuchs von 1965 abgebildet, versehen mit einem Zitat aus dem Editorial von Hans Magnus Enzensberger: "Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität."  

Genau hier knüpft das neue Kursbuch an, das dort weitermacht, wo die Entwicklung stehen geblieben war - mit der Nummer 170 -, zugleich aber anders sein will. Oder: auf der Höhe der Zeit in sich schnell wandelnden Zeiten. Zur Aktualität des neuen Kursbuchs gehöre, schreiben Herausgeber Armin Nassehi und Chefredakteur Peter Felixberger, "dass es nicht einmal mehr Kursbücher gibt und damit die Verbindungen noch temporärer, noch instabiler, noch unerzählbarer werden - und gerade deshalb braucht es das neue Kursbuch".


Forum der Perspektivendifferenz


Denn es tritt in dem Moment an, in dem "die Komplexität und Perspektivendifferenz der modernen Gesellschaft" mehr und mehr ins allgemeine Bewusstsein rückt. Und deutlich wird, "dass die Gesellschaft nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven besteht, sondern dass diese unterschiedlichen Perspektiven auch mit dem besten Willen nicht hin zu einer richtigen oder einer legitimen oder alternativlosen Seh- und Sprechweise hin aufgehoben werden können". Und "die Verbindungen zwischen den Perspektiven" zu erzählen und als Kommunikationsangebot zu offerieren, sieht das neue Kursbuch als seine Aufgabe. Wo ein editorischer Auftrag sich auf eine so anspruchsvolle Gesellschaftsdiagnose stützt, darf man gespannt sein.  

Den Anspruch, ein "Forum der Perspektivendifferenz" zu sein, löst die erste neue Ausgabe jedenfalls frisch und schwungvoll ein. Krisen lieben ist das Thema des Hefts, das auf gut 200 Seiten ein Dutzend Beiträge versammelt, die sich aus - ja - unterschiedlichen Perspektiven mit dem allgegenwärtigen Thema beschäftigen und so Verbindungen entstehen lassen, wo sonst sektorale Abgeschiedenheit im Denken herrscht. So schreibt Herausgeber Armin Nassehi über den "Ausnahmezustand als Normalfall", Werner Plumpe beschäftigt sich in "Ohne Krisen keine Harmonie" mit der Geschichte der Gleichgewichtsstörungen in der Wirtschaft, und Gunter Dueck bekennt "Ich hasse Krisen" - denn, so der Ex-IBM-Manager: "Krisen geben Macht, die keiner braucht." Weitere Beiträge widmen sich den Krisen im Politischen (Jasmin Siri), in den Medien (Florian Rötzer), in der Psychotherapie (Wolfgang Schmidbauer) und in der Literatur (Katja Mellmann). Exkursionen in Kunst und Literatur runden die Ausgabe ab.  

Wenn sich hierzu ein Fazit ziehen ließe, so böte sich Jasmin Siris auf das Politische gemünzte Formulierung an, die gleichwohl unsere Alltagswahrnehmung treffend umschreibt: "Etwas Besseres als die Krise findest du überall. Aber was? Die nächste Krise." 

Die nächste Ausgabe des Kursbuchs erscheint im Juni und widmet sich dem Thema "Besser optimieren".  


changeX 23.02.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

murmann

Murmann Publishers

Weitere Artikel dieses Partners

Alles zählt

Worauf es in der Klimakrise ankommt - ein Interview mit Claudia Kemfert zum Interview

Die zukunftsbereite Organisation

Wie Unternehmen mit Komplexität besser zurechtkommen zum Interview

Das A und O der Innovation

Rock Your Idea - das Ideenbuch von Martin Gaedt zur Rezension

Ausgewählte Links zum Thema

Zum Buch

: Kursbuch Nr. 170. Krisen lieben. Murmann Verlag, Hamburg 2012, 208 Seiten, 19 Euro, ISBN 978-3-86774-184-2

Kursbuch Nr. 170

Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon

Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

nach oben