Perspektivwechsel gefragt
Beratung, Training und Coaching sind ein weites Feld. Noch viel unübersichtlicher sind die Methoden, die hier zum Einsatz kommen. Eine Expertin hat sie gebündelt dargestellt und erläutert - als Leitfaden für Praktiker.
Manchmal kann es äußerst hilfreich sein, sich selbst mit anderen Augen zu sehen. Eine Methode, einen alternativen Blick auf sich selbst und seine Situation zu eröffnen, heißt im Coaching "Wahrnehmungspositionen wechseln". Dieses aus der Systemischen Familientherapie nach Virginia Satir entlehnte und im Rahmen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) modifizierte Verfahren verfolgt das Ziel, dem Coachee über veränderte Wahrnehmungen neue Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen - und zwar über folgende vier Positionen: In der ersten Position befindet sich der Coachee ganz in seiner eigenen vertrauten Perspektive und beschreibt seine Sicht auf die Dinge (Ich-assoziiert); in der zweiten Position versetzt sich der Coachee in die Lage einer anderen Position, die ebenfalls mit dem Problem verbunden ist (Du-assoziiert); in der dritten Position ist der Coachee dazu aufgefordert, sich selbst von außen zu betrachten und sein Verhalten mit einem gewissen Abstand zu erleben und zu kommentieren (Ich-dissoziiert); und last, but not least die vierte Position als Meta- oder "emotional dissoziierte Position": Der Coachee versucht unbeteiligt auf die Situation zu schauen und überlegt, wie er als unbeteiligter Dritter diese erleben und bewerten würde.
Idealerweise eröffnen diese neuen Blickwinkel wieder eine freie Sicht auf eine vorher als ausweglos empfundene Problemlage - und legen bisher nicht mal in Erwägung gezogene Handlungsalternativen offen.
Vielfalt der Methoden
Denn: "Im Coaching ist das Wechseln der Wahrnehmungspositionen ein sehr erfolgreiches Tool, um einen aus Coachee-Sicht festgefahrenen Prozess wieder zu flexibilisieren", schreibt die Beraterin, Trainerin und Coaching-Expertin Susanne Klein in ihrem, bereits in vierter, überarbeiteter Auflage vorliegenden Titel 50 Praxistools für Trainer, Berater, Coachs. In ihrem Buch versammelt die Autorin - dem Titel gemäß - 50 Tools, die sich in Training, Beratung und Coaching bewährt haben, und zeigt deren psychotherapeutische Ursprünge auf. Praxisorientiert erläutert sie zudem Aufbau, Ziel und Kombinationen dieser Methoden und ermöglicht dadurch dem Leser, für sich geeignete zu entdecken und anzuwenden. Weil: "Bei der Durchsicht der verschiedenen Denkansätze werden Sie als Trainer, Berater und Coach leicht feststellen, welche Art zu denken zu Ihrer Persönlichkeit passt. So haben Sie ein Kriterium, um die Methode(n) auszuwählen, die mit Ihrer Denkart harmonisieren. Sie wirken dann auf Ihre Seminarteilnehmer, Klienten und Coachees authentisch - diese merken sofort, wenn Sie ein widersprüchliches Verhalten an den Tag legen."
Die von Klein vorgestellten Methoden haben drei große Wurzeln: die Psychoanalyse nach Sigmund Freud, den vor allem mit B. F. Skinner verbundenen Behaviorismus und die insbesondere durch Carl Rogers vertretene Humanistische Psychologie. Den durch Psychoanalyse und Behaviorismus bestimmten Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass sie im Laufe der Zeit sozusagen einen humanistischen Schliff erhalten haben, da sie von der Humanistischen Psychologie als "der dominanten Denkform der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts" maßgeblich beeinflusst worden sind: "Aus Sicht der Humanistischen Psychologie erfassen die Psychoanalyse und der Behaviorismus nur einen Teil des Menschen." Als Gesamtheit könne ein Mensch nur dann erfasst werden, wenn er als sinnvolles, ganzes und komplexes Wesen betrachtet werde. Dieses komplexe Wesen nehme seine Umwelt nicht nur mit den äußeren Sinnen wahr, sondern forme Sinneseindrücke mittels Geist und Herz zu Wertvorstellungen um, schreibt Klein, die gegenwärtig eine offene Methodenvielfalt diagnostiziert. So öffneten die unterschiedlichen Schulen immer mehr die Türen für Methoden anderer Schulen, anstatt diese dem ehemaligen Konkurrenten von nebenan vor der Nase zuzuschlagen.
Eine Dose voller Würmer
Aus dieser toleranten und interessierten Grundhaltung leitet die Autorin auch die von ihr propagierte Offenheit gegenüber den unterschiedlichen Methoden samt den mit ihnen verbundenen Grundhaltungen ab. Frei nach dem Motto: Jede Methode hat in einem bestimmten Kontext ihre ganz eigenen Vorzüge. So liegt es letztendlich am Berater, Trainer oder Coach, die jeweils passendste ideologiefrei auszuwählen und anzuwenden.
Wie zum Beispiel die Methode "Eine Dose voller Würmer" aus dem Hause der Systemischen Familientherapie nach Virginia Satir. Sie hilft, wenn es um verstrickte Beziehungen und den Wunsch geht, da endlich mal wieder durchzublicken. Satir fühlte sich beim menschlichen Miteinander an Würmer erinnert, die sich unübersichtlich und verschlungen in einer Dose winden, und wählte daher diese Metapher. Bei der Methode geht es darum, die Verstrickungen zu entwirren und wieder Transparenz in Rollen und Erwartungen einzelner Teammitglieder zu bringen. Und zwar so: Zunächst wird eine Zeichnung vom Team angefertigt, aus der hervorgeht, wer an welcher Stelle steht. Personen, die eng miteinander arbeiten, werden auch so in der Zeichnung positioniert; andere, die nicht so viel miteinander zu tun haben, entsprechend. Und die, die das Sagen haben, bekommen ein Extraplätzchen. In einem nächsten Schritt schreibt man den Teammitgliedern die Rollen zu, die sie im Team erfüllen, und macht die Erwartungen explizit, die gegenseitig im Raum stehen. Dieses Tool ist nach Klein dafür prädestiniert, einen amorphen Teamhaufen, in dem alles drunter und drüber geht, zu entwirren und wieder arbeitsfähig zu machen.
Probleme diesseits der Sprache
Ein weiteres unspezifischeres und damit gleichzeitig allgemeiner einzusetzendes Tool ist das so genannte "Chunken" aus dem NLP: Mit dieser Methode soll dem Coachee ermöglicht werden, auf einer anderen Ebene über sein Problem nachzudenken und dessen wahrgenommene Größe zu variieren - mit dem Ziel, das Problem nach einem Perspektivwechsel wieder in den Griff zu bekommen.
Klein erklärt den Ansatz hierzu so: "Menschen nutzen bei der Beschreibung von schwierigen Situationen gerne eine sprachliche Abstraktionsebene, die das Problem unüberwindbar erscheinen lässt. Die Wahl der Worte macht die Sache größer, als sie eigentlich sein müsste. Außerdem transportieren sie oft Vorannahmen, die unverrückbar erscheinen und sie in ihrem Denken und Handeln blockieren." Hat sich ein Problem also gewissermaßen sprachlich verschanzt, gilt es, diese Bastion mit Chunking-Fragen zu stürmen. Dabei gibt es zwei Alternativen: Als Coach können Sie den Coachee entweder auf Details blicken lassen (Chunk-down) oder die schwierige Situation in einen größeren Zusammenhang stellen (Chunk-up).
Typische Chunk-down-Fragen sind im Fall einer Belastungssituation beispielsweise: "Was genau meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie wollen weniger belastet werden? Was bedeutet ‚belastet‘ genau? Wer belastet Sie Ihrer Meinung nach?" Und: "Möchten Sie bitte einmal überlegen, in welchen Situationen Sie sich konkret belastet fühlen beziehungsweise zu welchen Tageszeiten genau Sie eine Belastung erfahren?" Hingegen wären klassische Chunk-up-Fragen: "Wie werden Sie in fünf, zehn Jahren oder als Rentner darüber denken und sprechen?" Oder: "Wie sieht das auf gesellschaftlicher Ebene aus? Gibt es andere Lebensbereiche, in denen das auch eine Rolle spielt?" Mithilfe dieser Fragetypen werde an dem festgenagelten Gerüst des Problems, das durch eine bestimmte sprachliche Formulierung fixiert ist, gerüttelt - bis der Weg wieder frei ist, aus einer anderen Perspektive Lösungen zu ersinnen und schlussendlich auch umzusetzen.
Um diese Lösungs- und Handlungsorientierung geht es im Grunde bei allen Tools, die Klein umfassend, gut strukturiert und verständlich in einen Koffer packt. Nimmt man diesen als Berater, Trainer oder Coach in die Hand, dürfte man alles haben, was man auf Reisen so braucht.
changeX 22.06.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Susanne Klein: 50 Praxistools für Trainer, Berater, Coachs. GABAL Verlag, Offenbach 2012, 224 Seiten, 29.90 Euro (4., überarbeitete Auflage)
Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.