Männliche Strukturen
Je höher man kommt, desto weniger Frauen findet man. Diese Regel gilt auch für Familienunternehmen. Nur jede zehnte Firma in Familienbesitz wird von einer Frau übernommen. Der Grund: Die männlich geprägten Strukturen wirken als Aufstiegsbarriere.
Das 21. Jahrhundert werde weiblich, so lautete eine These, die an dessen Beginn Furore machte. Tatsächlich machen mittlerweile mehr Mädchen als Jungs Abitur, häufig mit besserem Notendurchschnitt, und auch beim Studienabschluss halten sich Frauen und Männer schon seit geraumer Zeit die Waage. Dann jedoch passiert etwas Verblüffendes: Die Frauen verschwinden aus dem Blick. Je höher die Position in Unternehmen, Institut oder Betrieb, desto weniger Frauen finden sich dort.
Das gleiche Spiel lässt sich bei Unternehmen in Familienhand beobachten, die in Deutschland mehr als zwei Drittel aller Betriebe ausmachen. Bei Hunderttausenden von ihnen stehen demnächst oder standen zuletzt Nachfolgeregelungen an. Erben jedoch, die bereit sind, sie zu übernehmen, fehlen häufig, da heute viele von ihnen andere Berufsentscheidungen treffen. Dennoch wird nur jedes zehnte Familienunternehmen von einer Frau übernommen.
Woran liegt es, dass Frauen ihre Bildungsressourcen nicht umsetzen können?
Weibliche Nachfolge
Im Fall der Nachfolge von Familienunternehmen hat sich die Sozialwissenschaftlerin Daniela Jäkel-Wurzer auf die Suche nach den Ursachen begeben. Dafür untersucht sie in ihrem Buch Töchter im Engpass. Eine fallrekonstruktive Studie zur weiblichen Nachfolge in Familienunternehmen, das auch für den Fürther Ludwig-Erhard-Preis nominiert ist, die "Position der Töchter in familiar-wirtschaftenden Unternehmerfamilien". Eine Position, die noch immer häufig mit Benachteiligungen verbunden sei: "Die übliche Rolle, welche Frauen im Kontext familialen Wirtschaftens zugeschrieben wird, ist die der Unterstützung im Hintergrund bzw. einer zeitlich begrenzten Übergangsposition im Falle eines Krisenszenarios", schreibt Jäkel-Wurzer.
Wie aber kommt es zu diesen Benachteiligungen und wie wirken sie sich im Einzelfall aus? Welche Möglichkeiten haben Töchter tatsächlich, ihre Biografie individuell und autonom zu gestalten? Um dies herauszufinden, analysiert die Autorin anhand von fünf Fallstudien, wie sozialisatorische Prozesse, Familienstrukturen und -konstellationen in Unternehmerfamilien zusammenwirken. Aus diesen fünf Fallstudien bildet sie im Anschluss fünf Typen: die Ersatzspielerin, die Steigbügelhalterin, die legitime Nachfolgerin, die autonome Außenseiterin und die Platzhalterin. Alle haben sie mit starken positionsbedingten Schwierigkeiten zu kämpfen - seien es Missachtung und Ausschluss von Anerkennung, Fremdinvestitionen der eigenen Ressourcen in ein Geschwisterkind, Überidentifikation mit dem Vater und erschwerte Ablösung oder Verzicht auf eine klare Führungsrolle.
Es liegt an den Strukturen
Jäkel-Wurzers Fazit: Es liegt an den Strukturen. Starke strukturelle Barrieren erschweren den Töchtern die Übernahme eines Familienunternehmens oder verhindern sie sogar ganz. Hier kann individuelle Förderung im Rahmen der Gleichstellungspolitik sich sogar kontraproduktiv auswirken, warnt die Autorin, weil sie die Wahrnehmung fördert, dass Frauen aufgrund "eingeschränkter persönlicher Fähigkeiten" scheitern würden - und nicht deshalb, weil sie sich an bestehende Strukturen anpassen.
Diese männlich geprägten Strukturen führen dazu, dass die Leistung der Töchter unsichtbar bleibt und nicht anerkannt wird: "Werden strukturelle Barrieren über geschlechtliche Differenzen verdeckt, kehrt sich das Prinzip der Leistung um: So werden nicht die Leistungen der Nachfolgerinnen auf der Grundlage struktureller Barrieren als außergewöhnliche sichtbar, sondern das Geschlecht als Ursache einer strukturellen Krise, die auf der Grundlage verstärkter Leistungen kompensiert werden muss", schreibt sie. Wer die Nachfolge von Erbinnen im Familienunternehmen unterstützen möchte, muss sich somit Gedanken über Strukturen und Muster in Familie und Familienunternehmen machen.
Zitate
"Werden strukturelle Barrieren über geschlechtliche Differenzen verdeckt, kehrt sich das Prinzip der Leistung um: So werden nicht die Leistungen der Nachfolgerinnen auf der Grundlage struktureller Barrieren als außergewöhnliche sichtbar, sondern das Geschlecht als Ursache einer strukturellen Krise, die auf der Grundlage verstärkter Leistungen kompensiert werden muss." Daniela Jäkel-Wurzer: Töchter im Engpass
changeX 11.05.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Daniela Jäkel-Wurzer: Töchter im Engpass. Eine fallrekonstruktive Studie zur weiblichen Nachfolge in Familienunternehmen. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2011, 497 Seiten, 39.95 EUR, ISBN 978-3-89670-931-8
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Annegret NillAnnegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.