Sich blamieren, aber souverän

Peinlich, peinlich ... - das neue Buch von Gitte Härter
Rezension: Sascha Hellmann

Ein offener Hosenschlitz, eine unpassende Bemerkung, ein Blackout während einer Präsentation: Peinliche Situationen sind nicht aus der Welt zu schaffen. Doch können wir der Blamage die Wucht nehmen. Ein neuer Ratgeber zeigt, wie.

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Auf einer internationalen Vertriebs- und Marketingkonferenz referiert ein teuer bezahlter Berater vor dem Gremium eines äußert wichtigen Auftraggebers, während seine beiden Kollegen rechts von ihm sitzen. Einer der beiden kippelt geistesabwesend mit dem Stuhl - und fällt plötzlich mit einem lauten Krach hintüber. Auf die erschrockene Stille im Raum folgt schnell ein lautes Lachen aller, als die gewahr werden, dass der Unternehmensberater wie ein Schuljunge vom Stuhl gefallen ist.  

Wie peinlich, mag einem schnell in den Sinn kommen. Aber es kommt auf das Handling einer solchen Situation an. Knallrot anlaufen, sich schnell wieder hinsetzen und so tun, als sei nichts gewesen, oder sich herausreden, dass der Stuhl kaputt sei - das waren keine Optionen für den Umfaller. Der stand während des Gelächters langsam auf und klopfte sich demonstrativ die Kleidung ab. Als sich die Anwesenden etwas beruhigt hatten und ihn neugierig anstarrten, sagte er trocken: "Das kann ich zweimal hintereinander - ohne mir dabei wehzutun!" Ein zweites Mal verfiel der Saal in Gelächter; dieses Mal jedoch anerkennend ob der coolen Reaktion des Beraters.


Peinliche Standardsituationen


Diese Situation hat Gitte Härter selbst miterlebt und in ihrem neuen Buch Peinlich, peinlich ... So blamieren Sie sich selbstbewusst als exemplarisch für den souveränen Umgang mit peinlichen Situationen aufgeführt. Der Ansatz der Autorin, die auch als Coach und Trainerin tätig ist, ist einfach: Peinlichkeit liegt wie die sprichwörtliche Schönheit im Auge des Betrachters! Wo der eine rot anläuft, geht der andere locker darüber hinweg - und wo der eine am liebsten im Boden versinken möchte, macht der andere noch einen Scherz und hat die Lacher auf seiner Seite.  

Ziel des Buches ist, den Leser in einem ersten Schritt mit seinem ganz persönlichen Peinlichkeitsempfinden zu konfrontieren, um ihn in einem zweiten Schritt dazu zu bewegen, an den diversen bewussten und unbewussten Stellschrauben zu drehen, um eine distanziertere, relativierende und humorvollere Einstellung zur Blamage zu gewinnen. Ist diese Haltung erst mal gewonnen, hat man auch den inneren Freiraum, eine zunächst peinliche Situation in eine gelungene Selbst-Performance zu verwandeln. Da das leichter gesagt als getan ist, nimmt Härter den Leser an die Hand und bringt ihm zunächst die "Anti-Blamier-Formel" bei, die sie dann auf unterschiedliche peinliche Standardsituationen anwendet. Im letzten Kapitel kriegt das Selbstbewusstsein noch mal Schub - und damit der Leser den nötigen Schwung, um Gelerntes auch in die Tat umzusetzen.  

Kurz gesagt bedeutet die korrekte Anwendung der "Anti-Blamier-Formel", in die Offensive zu gehen: "Sie übernehmen die Kontrolle über die Situation. Sie sorgen dafür, dass keine große Sache draus wird. Sie wirken nicht nur souverän, sondern werden tatsächlich innerlich gelassener." Etwas detaillierter heißt das: statt abzuwiegeln, zu dem stehen, was geschehen ist; anstatt die Sache aufzubauschen, darüber hinweggehen; statt sich weiter reinzureiten, lieber schnell die Kurve kriegen; und anstatt die beleidigte Leberwurst zu spielen, die Sache souverän mit Humor nehmen. Diese formale Vorgabe füllt Härter anschaulich und kurzweilig mit konkreten Fällen, anhand derer sie das Für und Wider unterschiedlicher Reaktionsweisen diskutiert.


Von der Blamage zum Bravourstück


Beispiel Schokoküsse: Gut gelaunt kommt ein Mitarbeiter nach der Mittagspause mit ein paar Schokoküssen ins Büro und offeriert diese seinen Kollegen mit den Worten: "Ich habe Negerküsse mitgebracht!" Autsch! Ein Kollege belehrt ihn nämlich unversehens und mit strenger Miene, dass "Negerkuss" in Anlehnung an den diskriminierenden Ausdruck "Neger" nicht verwandt werden sollte. Seit geraumer Zeit heiße diese Süßigkeit korrekterweise daher "Schokokuss" oder "Schaumkuss". Wer hingegen immer noch Neger sage, sei ein Rassist. Mit einem derartig ausgesprochenen Verdacht ist der Bürofrieden natürlich dahin. Und die peinliche Situation da.  

Wie also damit umgehen? Das hänge ganz davon ab, was man erreichen wolle, meint Härter. Wer in die Diskussion über das Wort "Negerkuss", Rassismus oder generell politische Korrektheit einsteigen will, vielleicht so: "Das weiß ich, und ich bin sehr dafür, umsichtig mit Worten umzugehen. Doch diese politische Korrektheit hat für mich Grenzen, zum Beispiel beim harmlosen ‚Negerkuss‘, mit dem wir alle aufgewachsen sind." Wer nur etwas richtigstellen oder die Unterstellung zurückweisen möchte, könnte sagen: "Ich hoffe doch sehr, dass du mir nicht gerade Rassismus unterstellst. Aber danke für den Hinweis. Möchte also noch jemand einen Schokokuss?"


Steilvorlage für eine gelungene Solo-Nummer


Sicher: Das gesellschaftliche Parkett bleibt glatt. Und für jeden dürfte noch so mancher Fettnapf reserviert sein. Aber ob wir nun ausrutschen oder ins Fettnäpfchen treten, es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Und mit unserem Umgang beeinflussen wir auch, wie wir in diesen Situationen wahrgenommen werden. Mit einer lockeren und humorvollen Einstellung könnte damit so manche blamable Situation zur Steilvorlage für eine gelungene Solo-Nummer werden. Das ist die frohe Botschaft des Buches.  



changeX 10.05.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Peinlich, peinlich .... So blamieren Sie sich selbstbewusst. GABAL Verlag, Offenbach 2013, 176 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-86936-484-1

Peinlich, peinlich ...

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Autor

Sascha Hellmann
Hellmann

Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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