Kontrolle 2.0
Alle sind jung, immer online und stets gut drauf, die Hierarchien sind flach und der Chef ist ein prima Kerl. Wirklich? Zwei Insider entlarven den schönen Schein der neuen Arbeitswelt. Und zeigen, wie Kontrolle heutzutage funktioniert.
Im Grunde hat es ganz schön lange gedauert: Endlich traut sich jemand aus der ach so coolen globalen Arbeitswelt und ihren ewig jungen, unendlich lässigen, notorisch glücklichen Vorzeigebranchen Werbung, Beratung und Internetcompanys, der eigenen Zunft die Maske vom Gesicht zu reißen. Monatelang haben die Franzosen Alexandre des Isnards, Internetconsultant für Medien und Webagenturen, und der Computersystemanalyst Thomas Zuber Eindrücke aus ihrer Branche gesammelt, Kollegen befragt, Mails geschrieben, Blogs durchstöbert. Sie wollten wissen, ob es auch anderen so geht wie ihnen, nach Jahren in dieser Welt, in der alle jung und online und immer gut drauf sind mit ihren coolen Jobs im coolen Business: Sie haben genug vom vordergründigen Enthusiasmus. Von den Phrasen, dass alles so toll und prickelnd sei: ihr Stress positiv, die Aufgaben faszinierend, Mobilität eine spannende Herausforderung, die Hierarchien flach, die Arbeitsbeziehungen demokratisiert, der Chef ein prima Kerl, und alle zusammen eine große Familie. Denn in Wahrheit fühlen sie sich wie austauschbare Ressourcen. Allein gelassen, überfordert, ohne Bindung an ihre Unternehmen, durch die Diktatur des „Positive Attitude“ an den Rand des Wahnsinns gebracht. Eine Realität, über die „das Neo-Management einen Schleier der Coolness geworfen“ hat.
Open Stress im Global Office.
Es ist bezeichnend, dass dieses Buch in Frankreich zum Bestseller wurde. Der Druck im Kessel ist hoch, die Schieflage nur mühsam und auf unerträglich bigotte Weise überdeckt, und das längst nicht mehr nur in Werbung, Beratung, Internetgeschäft, sondern zunehmend auch in anderen Unternehmen des Global Office. Dass dieser Einblick in die Funktionsmechanismen der verlogenen Alles-ist-gut-Arbeitswelt fast durch die Bank auf anonymen Geschichten beruht, ist dabei ebenso bezeichnend wie publizistisch erstaunlich. Wer es wagt, mit Gesicht und Namen für seine unerwünschte Kritik an diesen Verhältnissen einzustehen, ist schnell weg vom Fenster. Gut also, dass der Verlag bereit war, ein Buch auf den Markt zu bringen, das seine Quellen im Nebulösen lassen muss, von den Autoren abgesehen versteht sich.
Funky Business lässt sich als treffende Analyse des Global Office lesen. Mit seinem „Open Stress“ zwischen BlackBerry, Mailterror und Handy-Small-Talk, dem aufgeblasen-angelsächsischen „Wording“, der Dauerpraktikantenschwemme, dem Führen durch verständnisvolle Ermunterung zum Sich-selbst-Führen und dem aalglatten Anpassungszwang auf allen Ebenen: Auf Facebook mitmischen, sich in Persönlichkeitsworkshops selbst glattbügeln und handzahm machen für jede Art von Team-Building-Maßnahme. Ein Arbeitsalltag unter totaler Kontrolle, einer Kontrolle, die ohne die klassischen Kontrollinstrumente auskommt und eben deshalb umso besser funktioniert.
Funky Business lässt sich aber genauso umgekehrt lesen: Als Gebrauchsanweisung für Menschen, die im Global Office mitschwimmen wollen, am liebsten ganz nach oben, koste es, was es wolle.
In jedem Fall eine lohnenswerte Lektüre.
changeX 23.09.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Alexandre des Isnards / Thomas Zuber: Willkommen im Funky Business. Lebenszeichen aus dem Global Office. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009, 160 Seiten, ISBN 978-3-8218-6500-3
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Autorin
Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.
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