Zukunft made in Germany
Prognose für 2050: neun Milliarden Menschen auf unserer Erde. Falls wir bis dahin irgendwie durchkommen, so wirtschaften und konsumieren wie bisher werden wir dann nicht mehr können. Ein zeitiger und durchschlagender Wandel ist gefragt. Wie dieser in Deutschland gedacht wird, dokumentiert ein neuer Sammelband.
"Made in Germany" stand ursprünglich nicht für das, was diese Herkunftsbezeichnung heute in der Regel bedeutet: qualitativ hochwertige Produkte aus Deutschland. Als sich nämlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Großbritannien auch in anderen europäischen Ländern die Industrialisierung Bahn brach, nahmen Exporte derselben auch nach Großbritannien zu. Allerdings waren die exportierten Waren oftmals von minderer Qualität oder einfach Nachahmerprodukte. Deshalb beschloss das englische Parlament den Merchandise Marks Act 1887, der vorschrieb, dass auf Waren unmissverständlich das Herkunftsland auszuweisen sei. Doch die Qualität der deutschen Güter wandelte sich - und mit ihnen die Bedeutung der Herkunftsbezeichnung: vom Schandmal zum Gütesiegel.
Bis heute. Ob dies auch noch morgen so sein werde, darauf gehen die Herausgeber von future lab germany. innovationen für die welt von morgen bereitwillig eine Wette auf die Zukunft ein. Denn Günther Bachmann, Generalsekretär des Rats für Nachhaltige Entwicklung in Berlin, und Lutz Engelke, Gründer und Geschäftsführer von TRIAD Berlin sowie Honorarprofessor im Fachbereich Design der FH Potsdam, sind sich sicher: "Das Zukunftslabor Deutschland ist Realität, ob es sich um die Energiewende handelt, die Kreislaufwirtschaft, die Idee des Wachstums in gesättigten Märkten oder auch um die Zukunftsfähigkeit einer demografisch gewandelten Gesellschaft." Und inhaltlich geben sie die Richtung vor: "Um Wohlstand zu erhalten, müssen wir die Art, wie wir ihn herstellen, grundsätzlich ändern. Erhalten geht nicht durch Festhalten, sondern nur im Wandel."
Gegen das Diktat der Kurzsichtigkeit
In ihrem Buch versammeln die beiden Herausgeber Beiträge von nationalen und internationalen Experten, die darin ihre Perspektiven auf das Morgen vorstellen, ihre Argumente für einen Wandel darlegen und Ideen präsentieren, wie dieser aussehen könnte. Inhaltlich gewidmet ist das Buch dem deutschen Wissenschaftler und Politiker Prof. Dr. Klaus Töpfer, der es den Herausgebern zufolge auf deutscher sowie globaler Ebene verstand, "das visionäre Denken mit dem praktischen Aushandeln des nächsten Schrittes" zu verbinden - und dank dem das Zukunftslabor Deutschland möglich geworden sei. So bildet den Auftakt gleich ein Interview mit Töpfer, in dem er das Heute und Morgen betrachtet, ökologische Kämpfe und Errungenschaften bilanziert und vor allem das "Diktat der Kurzsichtigkeit" scharf kritisiert, das der Idee der Nachhaltigkeit diametral gegenüberstehe: Vielmehr müssten die "mittel- und langfristigen Konsequenzen des gegenwärtigen Handelns ermittelt und beachtet werden, zu denken ist auch daran, dass kommende Generationen auf die Gaben der Natur ihr Leben aufbauen können".
Kurz gesagt knüpfen die weiteren mehr als 20 Beiträge des Buches an diese Idee an und kreisen in grundlegender Zukunftsorientierung um so große Themen wie Gesellschaft, Kapitalismus, Nachhaltigkeit, Öko- und Technologie. Gleich vorweg: Die vielfältigen Ansätze und globalen Bestrebungen machen Mut und Hoffnung vor dem Hintergrund der in den Medien oftmals einseitig heraufbeschworenen Endzeitszenarien - ohne allerdings den Worst Case auszuklammern.
Referenzmodell Deutschland
Dieser Worst Case dient jedoch eher als Triebfeder und markiert beispielsweise bei Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, den "Aufbruch in eine ökologische Moderne, die an der Idee des Fortschritts festhält und sie neu erzählt: als Geschichte der Co-Evolution von Mensch und Natur, deren Potenzial wir noch kaum erschlossen haben". Die gegenwärtige Krise sei keine Endzeit der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, sondern eine Zeit des Übergangs zu einer ökologischen Produktionsweise, deren Konturen bereits am Horizont auftauchten. Konsumverzicht und Nullwachstum seien nur scheinradikal, notwendig sei hingegen eine fundamentale Veränderung der herrschenden Produktionsweise. "Es geht um nichts weniger als um die grundlegende Erneuerung des gesamten technischen Apparats und der öffentlichen Infrastruktur. Nicht ob die Weltwirtschaft weiter wächst, steht zur Debatte, sondern wie sie wächst." Das gelte insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsländer, denen man in ihrem Nachholbedarf, ihrer Aufholjagd nicht einfach mit Mäßigung kommen könne; vielmehr müsse diesen Gesellschaften geholfen werden, "das fossile Zeitalter möglichst zu überspringen".
Deutschland komme dabei die Rolle eines Referenzmodells zu, so Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, die in ihrem Beitrag Nachhaltigkeit als künftige Premiummarke Deutschlands postuliert - und sich unter anderem auf eine Studie "Deutschland in den Augen der Welt" bezieht: Nach dieser sei die Mehrzahl der Befragten der Ansicht, "Deutschland könne mehr tun, damit andere von unseren Erfahrungen in nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung profitierten". Keiner habe dies so auf den Punkt gebracht wie der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, den sie zitiert: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit."
Was brauche ich wirklich?
Auch wenn mehr zu tun ist, um uns in eine lebenswerte Zukunft hinüberzuretten, wäre es gleichzeitig ignorant, die Zerbröselung der beanstandeten Rückständigkeit an vielen Fronten zu übersehen. Last, but not least ist dieses Buch ein Beweis dafür. Und auch Lutz Engelke merkt am Beispiel des Wachstumsbegriffs an, dass wir bereits im Wandel sind: "Unsere Vorstellungen von Wachstum heute sind definitiv andere als vor 100 Jahren. Das zeigen Bewegungen wie Cradle to Cradle oder Slow Food ebenso wie die aktuellen Überlegungen zur Neudefinition des BIP, das nicht mehr nur Aufschluss über die rein mengenmäßige Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion geben soll, sondern in der Einbeziehung von Markern wie Lebensqualität, Umwelt und Bildung einen veränderten Wachstumsbegriff signalisiert." Es ist der Übergang zu einem qualitativen Wachstum, das sicher einer der zentralen Parameter der Zukunft sein wird.
future lab germany dokumentiert ein weites Feld von zukunftsorientierten Bestrebungen, Visionen, Mahnungen und Aufrufen. Zu vielfältig, um auf den sprichwörtlichen gemeinsamen Nenner gebracht zu werden. Allerdings wird zweierlei fast überall deutlich: Erstens leben wir mittlerweile in globalen Wechselbeziehungen, zu global, um unter lokaler Selbstbeschränkung nur für die Eigeninteressen herumzudoktern. Und zweitens sollte sich jeder im Konsumtaumel die durchaus philosophische Frage stellen: Was brauche ich wirklich für ein glückliches und sinnerfülltes Leben? Allein die gelebten Antworten auf diese Frage könnten das Gesicht der Zukunft bestimmen.
Zitate
"Das Zukunftslabor Deutschland ist Realität, ob es sich um die Energiewende handelt, die Kreislaufwirtschaft, die Idee des Wachstums in gesättigten Märkten oder auch um die Zukunftsfähigkeit einer demografisch gewandelten Gesellschaft." Lutz Engelke, Günther Bachmann: future lab germany
changeX 12.07.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseite:www.murmann-verlag.de/
Zu den Büchern
Lutz Engelke, Günther Bachmann (Hg.): future lab germany. innovationen für die welt von morgen. Murmann Verlag, Hamburg 2013, 296 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-86774-270-2
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Lutz Engelke, Günther Bachmann (Hg.): future lab germany. innovations for tomorrow’s world. Murmann Verlag, Hamburg 2013, 288 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3867742931
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Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.