Von Knappheit zu Überfluss

Debatten der Konferenz "Future of Work" am GDI Gottlieb Duttweiler Institute
Report: Detlef Gürtler

Prominente Referenten aus aller Welt diskutierten am Gottlieb Duttweiler Institute über die Digitalisierung, die Zukunft der Arbeit und das bedingungslose Grundeinkommen. Der Tenor der Debatte: Es führt kein Weg am Grundeinkommen vorbei. Über kurz oder lang jedenfalls - die Frage ist, wie bald es kommen wird.

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Auch bei einem hoch kontroversen Thema wie der Zukunft der Arbeit kann man von Zeit zu Zeit Einigkeit erzielen. So wie es Robert Reich gelang, als er ein Ziel vorgab, gegen das sich kaum etwas einwenden lässt: "Die Menschen sollten mehr von dem tun können, was sie tun wollen, und weniger von dem tun müssen, was sie nicht tun wollen." So weit, so einfach. Aber den richtigen Weg zu diesem Ziel zu finden, ist offenkundig deutlich komplexer. Die Konferenz "Future of Work" am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) in Rüschlikon hat sich dieser Aufgabe gestellt. 

Robert Reich, unter Bill Clinton von 1993 bis 1997 US-Arbeitsminister, war einer der prominentesten Teilnehmer dieser vom schweizerisch-deutschen Thinktank Neopolis veranstalteten Konferenz. Er landete mit einer keynesianischen Argumentation bei der Forderung nach einem Grundeinkommen: "Es führt daran kein Weg vorbei, weil der technische Fortschritt Jobs vernichtet und Löhne drückt." Die Mittelschicht schrumpfe, genauso wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (zumindest in den reifen Volkswirtschaften des Westens). "Es gibt nicht genug Geld in der Gesellschaft", sagt Reich. Für ihn ist ein Grundeinkommen "eine Methode, um den Technologieeigentümern Einkommen wegzunehmen."


Null Grenzkosten bei unbegrenzten Möglichkeiten


Das ist nicht direkt das, was diesen "Technologieeigentümern" vorschwebt. Allerdings haben auch einige von ihnen erkannt, dass Digitalisierung und rapider technischer Fortschritt negativ auf den Arbeitsmarkt wirken können und damit die Kaufkraft reduzieren, die für all diese großartigen Gadgets, Innovationen und Disruptionen aus dem Silicon Valley zur Verfügung steht. Albert Wenger von der Venture-Capital-Firma Union Square Ventures ist einer von ihnen. Er offerierte eine Hightech-Argumentation für ein Grundeinkommen: "Von den ersten Apple-Computern bis zum Raspberry Pi von heute haben sich Quantität und Qualität millionenfach verbessert. Solche Dimensionen sind in der Geschichte einzigartig."  

Ebenfalls einzigartig ist der Effekt von null. In Softwarebranchen liegen die Grenzkosten für die Produktion zusätzlicher Einheiten des Produkts praktisch bei null, was ein grenzenloses (digitales) Wachstum erlaubt. Wenger ist überzeugt: "Die Kombination von null Grenzkosten mit unbegrenzten Möglichkeiten wird zu einem Übergang in eine neue Form von Wirtschaft und Gesellschaft führen." Welche Form? Unmöglich zu sagen, meint Wenger: "Das ist wie bei der Division durch null in der Mathematik - Sie können schlicht nicht wissen, was dabei herauskommt." 

Aber es gibt immerhin Erfahrungswerte von früheren Übergängen, wie Andrew Stern erwähnt, der ehemalige Präsident der US-Gewerkschaft SEIU: "Der Übergang zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert war kein Spaß - wie bei Dickens nachzulesen." Der Übergang zu einer digitalen Gesellschaft kann durchaus eine ähnliche Größenordnung erreichen, wie Stern am Beispiel einer einzelnen technischen Disruption erläutert: dem selbstfahrenden Truck. "In 29 US-Bundesstaaten ist Trucker der häufigste Job, insgesamt sind 3,5 Millionen Menschen in den USA Lastwagenfahrer. Sie alle laufen Gefahr, von einer Maschine ersetzt zu werden, wenn die selbstfahrenden Trucks zum Einsatz kommen." Und die Beschäftigten in Motels, Restaurants, Werkstätten sind da noch gar nicht eingerechnet, ebenso wenig wie die Trucker im Rest der Welt. Weltweit könnte alleine diese eine Disruption 50 bis 100 Millionen Lastwagenfahrer um ihren Job bringen.


Wir schaffen immer mehr mit immer weniger


Wie Stern greift auch Daniel Mitchell vom libertären US-Thinktank Cato Institute auf die historische Erfahrung des 19. Jahrhunderts zurück - kommt aber zu völlig anderen Schlüssen: "Hätten Sie mich am Beginn der industriellen Revolution gefragt, welche neuen Jobs durch sie geschaffen werden könnten, ich hätte keine Ahnung gehabt." Aber die neuen Jobs kamen, und sie kamen auch bei jedem weiteren technischen Durchbruch seither. Entsprechend sieht Mitchell keinen Grund zur Panik bezüglich des Arbeitsmarkts in der Digitalisierung: "Nein, ich weiß nicht, welche Jobs durch die digitale Revolution neu geschaffen werden - aber sie wird uns nicht alle arbeitslos machen." 

Weder Zerstörung noch Revolution sind die richtigen Begriffe für die Zukunft der Arbeit, ergänzt David Bosshart, CEO des GDI Gottlieb Duttweiler Institute. Er erwartet vielmehr eine evolutionäre Entwicklung: "Wir lernen Schritt für Schritt, uns aus der industriellen Welt in eine immer digitalisiertere Welt zu bewegen. Das bedeutet: Auf geradezu magische Weise schaffen wir immer mehr mit immer weniger." Bosshart sieht den steigenden Anteil von Robotern und Maschinen an der gesamt geleisteten Arbeit eher als Chance denn als Bedrohung: "Menschen und Maschinen können sich ergänzen. Die größte Gefahr für uns sind nicht ‚über-intelligente‘ Maschinen - sondern ‚unter-intelligente‘ Menschen." Allerdings wird es notwendig sein, unsere Mentalität und unsere politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme an die digitalisierte Welt anzupassen. Das Narrativ, das Bosshart hierfür offeriert, klingt optimistisch (etwa so optimistisch wie Reichs "mehr von dem tun, was man will"): "In der industriellen Welt drehte sich alles um Knappheit - in der digitalen Welt um Überfluss."



Materieller Überfluss, mentale Knappheit



"Überfluss" ist auch eines der zentralen Argumente für den Vorschlag, ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von 2.500 Schweizer Franken pro Monat einzuführen, worüber die Schweizer Wähler am 5. Juni abstimmen werden. "Was fehlt, wenn alles da ist?", fragt der Basler Unternehmer Daniel Häni, einer der führenden Köpfe der Initiative Grundeinkommen. Bei den Schweizern sieht Häni materiellen Überfluss, aber mentale Knappheit: "Die Menschen wollen mehr über das Wie und das Warum ihrer Arbeit entscheiden. Uns geht es um Freiheit bei der Arbeit, nicht um Freizeit nach der Arbeit." 

Kein Grund zur Eile, sagt MIT-Professor Erik Brynjolfsson: "Die Roboterrevolution hat gerade erst begonnen, die Maschinen werden mehr und mehr Fähigkeiten erlangen, von der Identifizierung von Straßenschildern über das Spielen von Go bis zum Entlarven von Kreditbetrügern. Der digitale Fortschritt macht den gesamtwirtschaftlichen Kuchen größer" - und wird das auch noch eine ganze Weile fortsetzen. Auf lange Sicht dürfte es also möglich werden, der Knappheit ein Ende zu setzen. "Die Roboter werden so effizient arbeiten, dass sie uns Überfluss bereitstellen können. Aber es gibt kein ökonomisches Gesetz, wonach zwangsläufig jeder davon profitieren würde. Um das zu schaffen, werden wir ein Grundeinkommen brauchen." Aber dabei sei das Timing entscheidend: "Was in der Zukunft die richtige Antwort ist, ist heute, im Jahr 2016, die falsche Antwort." 

Während Brynjolfsson warten will, bis die Roboter intelligenter werden, will der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis jetzt handeln, bevor die Gesellschaft noch mehr zerfällt. Er konstatiert den Zusammenbruch des "sozialdemokratischen New-Deal-Paradigmas", das die westlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts prägte. "Dieses Paradigma ist so gut wie tot." Für Varoufakis hat die 2008 begonnene globale Finanzkrise uns in eine "Bankrottokratie" geführt, mit einem "zynischen Transfer von Reichtum" aus der Arbeiterklasse an die Finanzelite. Um unsere westlichen Gesellschaften zu retten, sei "ein Grundeinkommen eine Notwendigkeit - ob wir es wollen oder nicht, ist unerheblich." Für Varoufakis würde eine solche Maßnahme den Wettbewerb und die Marktwirtschaft nicht töten, ganz im Gegenteil: "Freie Märkte brauchen freie Vereinbarungen. Und eine Vereinbarung kann nur frei sein, wenn jede Seite die Möglichkeit hat, Nein zu sagen. Mit einem Grundeinkommen erhalten Arbeitnehmer diese Möglichkeit zurück."



Wir sind nicht faul


Nach allen Umfragen wird die Mehrheit der Schweizer Bürger zur Grundeinkommensinitiative Nein sagen. Das entspreche einer Schweizer Tradition, hedonistische Abstimmungsvorlagen abzulehnen, erläutert der Verhaltensökonom Bruno Frey: Auch Initiativen zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder zur Verlängerung des Mindesturlaubs wurden mehrheitlich abgelehnt.  

Allerdings würde ein Grundeinkommen nicht unbedingt weniger Arbeit und mehr Freizeit bedeuten. Guy Standing, Professor für Economic Security in London und ein Veteran der Grundeinkommensbewegung, fasst die Ergebnisse von fünf Pilotprojekten mit Grundeinkommen in Dörfern in Indien und Afrika zusammen: "Bei Grundsicherung arbeiten Menschen in der Regel mehr, nicht weniger. Und sie sind produktiver, nicht unproduktiver. Nur eine Gruppe von Menschen hat in unseren Pilotprojekten nach Einführung einer Grundsicherung weniger gearbeitet als zuvor: die Kinder - weil sie von ihren Eltern zur Schule statt zur Arbeit geschickt wurden." 

Afrika ist nicht Europa, Indien ist nicht die Schweiz; aber Menschen sind Menschen, überall in der Welt. "Wir sind nicht von Natur aus Verbraucher - wir sind Macher. Und wir sind nicht faul", sagt David Bosshart, und Robert Reich pflichtet ihm bei: "Wenn die Menschen ein minimales Grundeinkommen haben, werden sie nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Die meisten Menschen wollen etwas tun." Dieses "etwas" wird nicht unbedingt produktiv sein, wenn man dafür den Maßstab zugrunde legt, mit dem ökonomische Produktivität derzeit gemessen wird. Allerdings glaubt Reich, "das meiste davon wird derart produktiv sein, dass es von einem X am Ende des Tages mehr gibt, als es am Anfang gab." Und zum ersten Mal in der Geschichte würde das meisten davon etwas sein, das die Menschen wirklich tun wollen. 


Zitate


"Die Menschen sollten mehr von dem tun können, was sie tun wollen, und weniger von dem tun müssen, was sie nicht tun wollen." Robert Reich auf der Konferenz "Future of Work"

"Die Kombination von null Grenzkosten mit unbegrenzten Möglichkeiten wird zu einem Übergang in eine neue Form von Wirtschaft und Gesellschaft führen." Albert Wenger auf der Konferenz "Future of Work"

"In der industriellen Welt drehte sich alles um Knappheit - in der digitalen Welt um Überfluss." David Bosshart auf der Konferenz "Future of Work"

"Wenn die Menschen ein minimales Grundeinkommen haben, werden sie nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Die meisten Menschen wollen etwas tun." Robert Reich auf der Konferenz "Future of Work"

 

changeX 25.05.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Detlef Gürtler
Gürtler

Detlef Gürtler, Jahrgang 1964, ist Senior Researcher am Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut und war bis 2016 Chefredakteur des Zukunftsmagazins GDI Impuls. Gürtler ist Autor erfolgreicher Wirtschaftssachbücher (Die Dagoberts, Die Tagesschau erklärt die Wirtschaft), Kolumnist ("Gürtlers gesammelte Grütze" in der Welt Kompakt) und Blogger (tazblog Wortistik).

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