Die Ideen zählen
Das Audimax im Henry-Ford-Bau quillt über. Schon heute. Es ist der erste Tag des Vision Summit. Es geht um Entrepreneurship zwischen Social und Commercial. Um neue Wege in eine Welt, in der dem Einzelnen weit mehr Bedeutung zukommt als in der, der Henry Ford den Stempel aufdrückte.
Audimax im Henry-Ford-Bau der Freien Universität. Die Menschen sitzen dicht an dicht, sie drängen sich an den Seiten und sitzen auf dem Boden. Nein, dies ist keine der üblichen überfüllten Vorlesungen in Jura oder BWL. Die Menschen im Auditorium sind keine Studenten. Und der Mann, der alleine da vorne auf dem Podium steht, die Hände bescheiden hinter dem Rücken verschränkt, ist auch kein Dozent. Es ist Muhammad Yunus, Kämpfer gegen die Armut, Visionär, Friedensnobelpreisträger, Buchautor und Übervater der Social-Business-Bewegung. Und die Zuschauer im Auditorium hängen an seinen Lippen.
Yunus erzählt von den Anfängen seiner Mikrokreditvergabe. Wie schwierig es war, Frauen als Kreditnehmerinnen zu gewinnen. Wie sie meinten, dass Geld Sache der Männer wäre. Und wie die Studenten, mit denen er arbeitete, schon aufgeben wollten, weil sie das Gefühl hatten, sich aufzudrängen: „Why should we force something on people?“, fragten sie. Aber, entgegnete Yunus, das sei nicht die echte Stimme der Frauen, die da spreche: „That is the voice of history.“ Die Stimme der Geschichte, der verinnerlichten Unterdrückung, die sich in der Haltung ausdrückt: „I’m sorry, I’m only a woman.“
Jedoch, so die Pointe der Geschichte: Da fängt die Arbeit des Social Entrepreneur erst an. Denn, und darauf besteht Yunus: Geschichte macht man, indem man Gegebenes verändert: „History is done by undoing things“, sagt er. Und: „We challenge everything.“ Über das Geld, in dem in diesem Konzept Empowerment steckt. 30 bis 40 Dollar bedeuten: Eine Frau wird herausgefordert, ihre Fähigkeiten zu entdecken – und zu entwickeln. Schritt für Schritt begibt sie sich auf den Weg, selbständig zu werden, selbst Entrepreneur zu werden. Sieht, was sie erreichen kann. Gewinnt Selbstvertrauen. Geht denn Weg weiter.
Sich ändern. Aktiv werden.
Yunus ist überzeugt: „Every human being is an entrepreneur.“ Und es geht darum, diese Fähigkeit in jeder und jedem freizulegen. Demnach ist es falsch, die Menschen in die Kategorien Entrepreneure und Arbeiter einzuteilen. Es gibt nur diejenigen, die die Chance hatten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, und diejenigen, denen diese Chance verwehrt wurde. Yunus geht es um ein grundlegendes Umdenken. Studenten, die mit Krediten von Grameen ihr Studium finanzieren konnten, macht er klar: Ihr seid privilegiert. Ihr seid nicht diejenigen, die einen Job suchen sollten. Ihr seid diejenigen, die Jobs für andere schaffen sollten! Also: Selbst ein Konzept finden, selbst ein Business oder Social Business ins Leben rufen. Einwände gelten nicht. Denn Yunus glaubt an die Kraft, die Kreativität und Inspiration eines jeden Menschen. Er sagt: „There’s nothing wrong with human beings. There’s a lot wrong with the design of institutions, of concepts.“ Diese also gilt es zu verändern. Indem man sein Selbstbild ändert. Die eigene Einstellung. Sich selbst als Akteur versteht, als Entrepreneur. Und aktiv wird.
Und was trennt den Entrepreneur vom Social Entrepreneur? Yunus sieht das so: Die ökonomische Theorie, auf die sich der traditionelle Unternehmer bezieht, betont einseitig den Egoismus als Antriebskraft. Menschen sind aber nicht eindimensional. Neben der egoistischen haben sie auch eine altruistische Seite: „We are not money-making robots!“, lächelt er in den Saal. Warum also sollte es nicht möglich sein, ein Business zu schaffen, das auf der selbstlosen Seite beruht? Social Business eben. Yunus betont: Wir haben die Wahl. Wollen wir zum Egoismus in der Welt beitragen oder nicht? Es geht nicht darum, ob man die Fähigkeit dazu hat, ein Social Entrepreneur zu werden. Es geht darum, ob man den Willen hat, diese Idee über einen längeren Zeitraum zu verfolgen: „Everybody can do it. If you pursue it, you can do it.“ Jeder kann so dazu beisteuern, die Armut zu besiegen. Das ist seine starke Botschaft.
Ökonomisch unabhängig werden.
Bei Günter Faltin klingt das ein wenig anders. „Jeder hat das Potenzial, ein Entrepreneur zu werden“, sagt er. Der dunkle Ton des Gongs ruft die Leute zurück ins Audimax. In der Pause sammelten sie sich im großen Foyer des Gebäudes. Sie drängten sich um den Bücherstand, auf denen die Bücher von Faltin, Yunus, Spiegel und weitere Lektüre zu Social Entrepreneurship, „do it yourself“ und sozialem Engagement liegen. Sie holten sich Saft und Tee. Und drängten sich um die Korbsesselsitze und -sofas in der Mitte des Foyers, unter der Treppe nach oben zur Empore, zu der ein verzweifelter Tagungsmitarbeiter am Morgen die Zuspätkommer gelenkt hatte, die alle eines wollten: Yunus hören.
Auch jetzt, bei Faltin, füllt sich der Saal schnell, wenngleich er nicht ganz so überquillt wie am Morgen. „Die Frage ist: Was hindert uns daran, Entrepreneur zu werden?“, sagt Faltin und findet: Es ist die falsche Sichtweise. Es ist die Sicht auf das, was man angeblich alles braucht, um eine unternehmerische Initiative zu starten: betriebswirtschaftliche, rechtliche und Sachkenntnisse, die Ellenbogen. „Sie brauchen als Gründer nicht Management Science“, betont Faltin und fügt hinzu. Was Menschen am Entrepreneur-Sein hindert, ist etwas anderes: „Es sind die Bretter vor dem Kopf, die die Welt bedeuten – jedenfalls für die meisten Menschen. Und das sollten wir ändern.“ Faltin erinnert an das „Versprechen der Aufklärung“. Die Menschen hätten auf manchen Gebieten schon viel erreicht: Demokratie auf politischem Gebiet beispielsweise, wie fehlerhaft auch immer. Meinungsfreiheit. Nur in der Ökonomie, da hängt die Entwicklung noch zurück, so die These des Entrepreneurship-Professors. Während die Ökonomie einerseits sämtliche Lebensbereiche durchdringe, verharrten die Menschen auf der anderen Seite auf diesem Feld noch in der Abhängigkeit. „Das ist das Thema: ökonomisch unabhängig werden“, sagt er. „Wir müssen uns auf diesem Feld betätigen.“
Wie das geht? Indem man alte Zöpfe abschneidet und als ersten Schritt ein veraltetes Verständnis von Unternehmertum ad acta legt: „Das Wort ‚Unternehmertum‘ gehört ins Museum“, sagt er, es sei viel zu unpräzise. Darunter würden heute Kapitalgeber und Manager gefasst – und vielleicht auch jemand, der eine Idee hatte. Das geht aber am Kern vorbei, sagt Faltin. „Der Entrepreneur ist nicht der Manager. Er ist der, der das Neue ausdenkt.“ Nicht der, der den x-ten Copyshop oder Friseursalon gründet. Nicht der Nachahmer. Sondern derjenige, der Ideen hat, die zählen. Die die Struktur verändern. „Entrepreneure sind Trüffelschweine, die spüren, was man in dieser Gesellschaft braucht“, sagt er. Und die das Überflüssige in ihren Konzepten über Bord werfen.
Lob der Einfachheit.
Ein Konzept muss ganz einfach sein, um zu zünden, betont Faltin. Und bricht Entrepreneurship auf drei Kernthesen herunter. Erstens: Funktion statt Konvention. Was ist die Kernidee? Beispiel Teekampagne: Darjeeling aus einem Gebiet an den Kunden bringen. „Sie müssen zwei Adressen denken“ – das sei alles. Zweitens: Skalierbarkeit. Das Konzept muss multiplizierbar sein, sonst lohnt es nicht. Drittens: Gründen aus Komponenten. Also: Büroführung, Herstellung, Transport, Verwaltung, Vertrieb werden an Fachunternehmen ausgelagert. Der Gründer selbst kann sich dann ganz auf die Idee konzentrieren. Oder auf neue, denn: „Das ist wie eine Sucht: Wenn Sie einmal verstanden haben, wie es geht, können Sie nicht mehr aufhören.“ Serial Entrepreneurship nennt sich die Unternehmensgründung am laufenden Band.
Bis man so weit gekommen ist, läuft allerdings unter Umständen viel Wasser den Bach hinunter. Nicht wenige feilen zehn Jahre lang an ihrer ersten Idee herum, bis sie sitzt. Dennoch, Faltin ist überzeugt: „Eigenes unternehmerisches Handeln wird zur Perspektive für eine ganze Generation werden.“
changeX 07.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Annegret NillAnnegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.
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