Strategien für Leise
Es wurde auch Zeit: Jene ins Licht zu rücken, die sich nicht lautstark in den Vordergrund drängen, die Leisen, die Introvertierten, die ganz zu Unrecht ihr Licht unter den Scheffel stellen. Eine notwendige, eine wichtige Korrektur eines Aufmerksamkeitsdefizits.
"Klappern gehört zum Handwerk" - es wird wohl kaum einen Menschen der Gegenwart geben, der diesen Spruch im beruflichen Kontext nicht schon gehört hat. Sei es bei Selbständigen im Zusammenhang mit Akquise oder bei Angestellten im Zusammenhang mit dem beruflichen Aufstieg. Nicht jeder Mensch aber ist zum Klappern gemacht. Während das Klappern extrovertierten Menschen entgegenkommt, erschwert es introvertierten Menschen das Leben.
Na und, werden jetzt sicher einige Leute denken, Pech gehabt. Sollen sie sich halt der Masse anpassen. Aber ganz so einfach ist es nicht: Introvertierte Menschen oder "Intros", wie Sylvia Löhken sie in ihrem Ratgeber Leise Menschen - starke Wirkung. Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden salopp nennt, machen nämlich etwa die Hälfte der Menschheit aus. Und sie fremdeln mit den Regeln der heutigen Berufswelt, die auf extrovertierte Unternehmertypen ausgerichtet ist.
Introvertierte ticken anders
Introvertierte Menschen jedoch haben nicht nur andere Bedürfnisse - sie ticken auch grundlegend anders. "Ein extrovertierter Mensch erzeugt seine Energie wie ein Windrad - er braucht erstens Impulse von außen, um sie herzustellen, und zweitens muss er in diesem Prozess selbst in Aktion sein und sich dynamisch ‚drehen‘", schreibt Löhken. "Ein Intro dagegen ist wie ein Akku: Er lädt sich im Ruhezustand ohne jeden ‚Wind von außen‘ auf und verzichtet in dieser Phase am liebsten auf Aktivitäten."
"Extros" gehen laut Löhken nach einem Berufstag voller Begegnungen abends noch mit Freunden aus, um zu entspannen - und laden während der Energieinvestition gleichzeitig Energie auf. Introvertierte dagegen brauchen in so einem Fall abends dringend einen Rückzugsraum, müssen quasi in den "Ruhezustand" gehen, um wieder Energie zu tanken.
Zurückzuführen ist dies auf eine unterschiedliche Hirnphysiologie: Introvertierte Menschen wenden mehr Energie im frontalen Kortex auf, wo Fähigkeiten wie Lernen, Entscheiden, Erinnern und Problemlösen angesiedelt sind. Zudem sind bei Extros und Intros unterschiedliche Neurotransmitter dominant: Bei Extros dominiert Dopamin, das für den motorischen Antrieb, Neugier und Belohnungserwartung sorgt. Intros verfügen dagegen über mehr Acetylcholin, das Konzentration, Lernen und Gedächtnis fördert. Obwohl Ähnlichkeiten vorhanden sind, ist Introversion nicht deckungsgleich mit Hochsensibilität.
Strategien für leise Menschen
Wie kommt man als "leiser", introvertierter Mensch in dieser "lauten" (Berufs-)Welt zurecht? Löhken erforscht zunächst, was es genau heißt, ein Intro zu sein. Sie buchstabiert Stärken wie Substanz, Ruhe, analytisches Denken oder Einfühlungsvermögen und Hürden wie Angst, Überstimulation, Passivität oder Konfliktscheu durch und ermöglicht ihren Lesern, die eigene Zusammensetzung von Stärken und Schwächen zu untersuchen.
In einem weiteren, praktischen Ratgeberteil mit vielen Tipps und Fragebögen zur Selbsterforschung geht es dann darum, Strategien zu finden, um sich als leiser Mensch in der lauten Berufswelt nachhaltig einen Platz zu erobern. Zwischengeschaltet ist ein Teil, in dem es um die Optimierung des privaten Bereichs, um Partnerfindung und den Umgang mit introvertierten Kindern geht.
Das rechte Buch zur rechten Zeit
Dabei macht Löhken gleich zu Anfang klar: Extraversion und Introversion sind Pole eines Kontinuums, auf dem sich jeder individuell verorten muss - nur selten kommen sie in Extremform vor. Leider wird diese Klarstellung durch die phasenweise etwas pauschalen Intro-Extro-Gegenüberstellungen konterkariert.
Dennoch ist Leise Menschen - starke Wirkung das rechte Buch zur rechten Zeit - für Extros, um die Welt der Intros besser zu verstehen. Und für Intros, um sich auf der Suche nach beruflichem Erfolg auf die eigenen Stärken zu besinnen. Denn, wie Fleur Sakura Wöss im Vorwort schreibt: Es nützt nichts, wenn "ein Adler von Enten Unterricht im Schwimmen" bekommt.
changeX 17.04.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Sylvia Löhken: Leise Menschen - starke Wirkung. Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden. GABAL Verlag, Offenbach 2012, 285 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-86936-327-1
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Annegret NillAnnegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.