Auf dem Sprung
Wie werden wir in Zukunft arbeiten und leben? Thema der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland". Ein Positionspapier steckt das Feld ab: eine Kurzfassung in fünf Folgen. Folge 2 skizziert Deutschland inmitten einer sprunghaften und deshalb schwer zu prognostizierenden Weltwirtschaft.
Die Weltwirtschaftskrise und die sich daran anschließende Staatsschuldenkrise der Eurozone scheinen das Ende einer fast drei Jahrzehnte währenden Phase relativ stabiler wirtschaftlicher Entwicklung zu markieren. In dieser Phase wirtschaftlicher Stabilität verzeichneten die Inflationsraten, das Wirtschaftswachstum und die Wechselkursentwicklungen der führenden Industrieländer nur wenig extreme Fluktuationen. Von besonderer Bedeutung waren während dieser Zeit die durch Verlässlichkeit und Kontinuität gekennzeichneten makroökonomischen Politikentscheidungen der Regierungen und Zentralbanken.
Die Rettungsbemühungen der europäischen Regierungen und Institutionen während der seit Jahren andauernden Eurokrise erweisen sich bisher hingegen als schlecht koordiniert und wenig verlässlich. Die Nachwirkungen der Weltwirtschafts- und Staatsschuldenkrise werden die Europäische Union, wie auch den Rest der Welt, noch auf Jahre beschäftigen.
Infolge der Krise sind auch in Deutschland die bereits beträchtlichen Staatsschulden noch einmal stark gewachsen. Dabei hatten die verschiedenen Bundesregierungen bereits seit den 1990er-Jahren - aufgrund durchschnittlich sinkender Wachstumsraten und spürbar werdender Folgen einer alternden Gesellschaft - mehrfach Einschnitte bei den Sozialleistungen und bei den Investitionen in Bildung und Infrastruktur vorgenommen.
Der Zinsaufwand für die Verschuldung des Bundes ist laut Bundesfinanzministerium der zweitgrößte Posten im Staatshaushalt. Zudem schlummern in den Bail-outs für überschuldete deutsche Banken und den im Rahmen der Rettung der Währungsunion übernommenen Verpflichtungen noch weitere Risiken für die Staatsfinanzen. Die notwendigen Einschnitte bei den Investitionen in Infrastruktur und Bildung sollten in ihrer langfristig wachstumshemmenden Wirkung nicht unterschätzt werden. Die europäische Staatsschuldenkrise zeigt auf eindrucksvolle Weise, in welchem Maße die mit der Globalisierung einhergehende starke Ausweitung der Kapitalverkehrsfreiheit die Handlungsoptionen der Nationalstaaten einschränken kann.
Deutschland als Wirtschaftsmotor der Eurozone
Die deutsche Wirtschaft hat sich angesichts eines schwierigen Umfelds in beeindruckendem Maße von der Rezession der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2009 erholt und war damit in den vergangenen Jahren für die Eurozone der Wirtschaftsmotor. Die Wirtschaft erreichte laut Statistischem Bundesamt allerdings erst im Jahr 2011 wieder den Stand, auf dem sie im Jahr 2008 vor Ausbruch der Krise war. Zwar führte die Exportabhängigkeit während der Krise zu einer besonders starken Rezession, doch profitierte Deutschland aus demselben Grund auch überproportional von den Konjunkturprogrammen anderer Staaten. Da es von den Finanzmärkten als sicherer Hafen bewertet wird, zieht Deutschland auch einen Vorteil aus den niedrigen Zinsen, die es aktuell für neu ausgegebene Staatsanleihen zahlen muss.
Die Stärke der deutschen Wirtschaft, der Export, könnte zum Transmissionskanal für die nächste Krise werden. Die Eurokrise geht in ihr viertes Jahr, und die Zahl der hilfsbedürftigen Staaten nimmt weiter zu. Sollte sich die Eurokrise weiter in die Länge ziehen, wird auch die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, weil sich die Nachfrage nach deutschen Exportgütern aus den Partnerstaaten der Eurozone weiter abschwächt. Des Weiteren beginnen die aufstrebenden Schwellenländer erste Symptome einer schwächer werdenden Wirtschaftsdynamik zu zeigen. Ein besonderer Grund zur Besorgnis geht von China aus, wo die Aufwertung des Yuan, eine ermattende Binnennachfrage und ein fragiles Finanzsystem die robuste wirtschaftliche Entwicklung bedrohen. China ist für Deutschland zu einem wichtigen Handelspartner geworden. Eine schwächelnde chinesische Wirtschaft bekommt also auch der deutsche Außenhandel zu spüren. Deutschlands politische und wirtschaftliche Offenheit, die internationalen Verflechtungen innerhalb der Europäischen Währungsunion, des Binnenmarktes, der EU und mit den weltweiten Handelspartnern erlaubten also nicht nur eine rasante Erholung nach der letzten Krise: Diese Interdependenzen erhöhen im gleichen Maße die Ansteckungswahrscheinlichkeit für die nächste Krise.
Neben der Dynamik, die sich im Bereich der internationalen Finanz-, Währungs- und Handelsbeziehungen aufgebaut hat, tragen eine Reihe weiterer Aspekte dazu bei, dass die Wahrscheinlichkeit für technische, politische und soziale Umbrüche in den kommenden Jahren steigt. Ein Beispiel dafür, wie schnell sich scheinbar feststehende politische Beschlüsse und damit die Planungsgrundlage der Wirtschaft für die nächsten Jahrzehnte ändern können, ist die Reaktion der deutschen Politik auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Binnen kürzester Zeit wurde mit der sofortigen Abschaltung älterer Reaktoren und einem beschleunigten Atomausstieg die Energiewende auf den Weg gebracht.
Im öffentlichen Diskurs in Deutschland stellt sich aber auch langsam die Erkenntnis ein, dass unserem auf die beständige Expansion materiellen Besitzes ausgelegten Wirtschaftssystem ein Fehler innewohnt: Aufgrund der begrenzten materiellen Ressourcen auf diesem Planeten ist die permanente Steigerung materiellen Konsums für die gesamte Weltbevölkerung unmöglich. De facto ist es mit heutiger Technik nicht mehr möglich, jedem Bewohner der Erde denselben Lebensstandard zu ermöglichen, den eine durchschnittliche in Deutschland lebende Person derzeit genießt. Die wachsende Weltbevölkerung und der zunehmende materielle Konsum in den Schwellenländern werden die Ressourcenknappheit und damit die Preise für Energie, Lebensmittel und Rohstoffe weiter anheizen.
Mehr Eigenverantwortung des Einzelnen
Der Staat büßt dabei in Krisensituationen einen Teil seiner Rolle als lenkender Akteur ein. Die großen schuldenfinanzierten Konjunkturpakete dürften vorerst der Vergangenheit angehören. Dafür kommt stabilitätsfördernden Regulierungen und Programmen - wie etwa dem Kurzarbeitergeld - eine stärkere Bedeutung zu. Eine weitere wichtige Rolle dürfte dem Staat aber auch in Fragen der Ressourcensicherheit zukommen. Allerdings ist Sicherheit vor dem Hintergrund überhitzter Ressourcenmärkte bis hin zu validen Problemen der wirtschaftlichen Ressourcenversorgung nur schwer zu haben. Politische Ad-hoc-Entscheidungen globaler Reichweite machen es nicht leichter.
Dennoch streben Industrieunternehmen nach mehr Stabilität in ihren Zulieferketten, und das Thema Resilienz - die Widerstandskraft bei widrigen Umständen - gewinnt bei der Organisation von Unternehmensprozessen zunehmend an Bedeutung. Das Bemühen um Effizienzsteigerungen durch die Nutzung von Echtzeitinformationen in Logistik- und Produktionsprozessen wird dabei genauso relevant wie eine Neuausrichtung in der Beschaffungsstrategie kritischer Rohstoffe. Nicht zuletzt wird auch die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse weiter voranschreiten, sodass die Zunahme der atypischen Arbeitsverhältnisse und die Übertragung von betriebswirtschaftlichen Risiken auf die Arbeitnehmer andauern dürften.
Für das Individuum bedeuten diese Entwicklungen, dass die persönliche Lebensplanung in Zukunft mit mehr Risiken behaftet sein wird, und dass die stärkere Übernahme von Eigenverantwortung bei der Vorsorge und der Absicherung dieser Risiken unabdingbar wird. Offen bleibt dabei allerdings, welcher Anteil der Bürger in Deutschland tatsächlich die für diese eigenverantwortliche Vorsorge notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen aufbringen können wird.
Kernthesen
- Tradierte Märkte, Branchen und Geschäftsmodelle finden sich nicht nur permanenten Wandlungsprozessen ausgesetzt, sondern werden insbesondere durch die Digitalisierung und die neue internationale Arbeitsteilung auch disruptiv infrage gestellt.
- Unternehmen benötigen neue Instrumente der strategischen Planung, die Komplexität, Dynamik und Schwankungen in ihren Markt- und Wettbewerbsumfeldern aufgreifen. Das Management von Ungewissheit wird zur zentralen Aufgabe.
- Auch Politik und Individuen müssen ihre Handlungsoptionen erweitern, um die neuen Herausforderungen in einer globalisierten und krisenanfälligen Ökonomie zu meistern.
Folge 3 erscheint in der kommenden Woche.
changeX 08.10.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Positionspapier für die Arbeit der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland", Langfassung (PDF 1,5 MB)PDF
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Klaus BurmeisterKlaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.
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Holger GlocknerHolger Glockner ist Director Foresight Consulting / Member of the Management von Z_punkt.
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Cornelius PatschaCornelius Patscha ist Foresight Analyst bei Z_punkt. Er studierte Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Internationale Wirtschafts-beziehungen und Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und der Universidad de Logroño in Spanien. Dabei sammelte er Forschungserfahrung in der Entwicklungsökonomie und praktische Erfahrung im Bereich Corporate Foresight.