Wirtschaftsopposition

Für eine demokratische Revolution in der Wirtschaft - ein Essay von Günter Faltin

Wir müssen - und können! - der expansionistischen Ökonomie entgegentreten, die für schnellen Profit unser Überleben aufs Spiel setzt. Einer Ökonomie, die unsere Bedürfnisse nach Mehr anstachelt und damit die Grenzen ständig ausweitet. Entrepreneurship-Professor Günter Faltin appelliert: Wirtschaften wir intelligenter, umweltschonender und sozial verträglicher. Mit besseren Produkten und weniger Verschwendung.

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In der Politik haben wir gelernt, dass man expansionistischen Politikern, solchen, die die Grenzen des Landes ausweiten wollen, die wegen materieller Ressourcen bereit sind, Kriege zu beginnen, entgegentreten muss. Verantwortungsvolle Politik heißt Verhinderung expansionistischer, aggressiver Politik. 

Wenden wir diesen Gedanken auf die Ökonomie an. Treten wir expansionistischer Ökonomie entgegen! Einer Ökonomie, die unsere Bedürfnisse nach Mehr anstachelt und damit die Grenzen ständig ausweitet. Die jeden erreichten Zustand zum Sprungbrett einer weiteren Ausweitung der Grenzen macht. Wenn wir immer neue Bedürfnisse herauskitzeln und den Konsum von Waren uneingeschränkt wachsen lassen, ist es unvermeidlich, dass wir an die Grenzen unserer Ressourcen stoßen. Dann sind Konflikte und Kriege um eben diese Ressourcen vorgezeichnet. 

Wirtschaften wir intelligenter, umweltschonender und sozial verträglicher. Mit besseren Produkten und weniger Verschwendung. Versuchen wir nicht länger, die Grenzen expansionistisch weiter zu verschieben. Wir haben es nicht nötig, es bringt uns nicht weiter, aber wir riskieren mittlerweile unser Überleben.


Partizipation gegen Expansionismus


In der Politik hat sich das Prinzip der Partizipation als bestes Instrument gegen Expansionismus erwiesen. Die Mitsprache der vielen hat den Interessenausgleich, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Suche nach intelligenten, dauerhaften Lösungen für alle begünstigt. Ein System, in dem Opposition zugelassen, ja institutionalisiert ist, eröffnet ein breites Spektrum von Werten und Sichtweisen. Es ist, wie wir wissen, kein ideales Prinzip, aber doch deutlich besser, als den Vorstellungen oder gar Marotten von Fürsten und ihren Generälen zu folgen. In einem offenen, demokratischen Dialog werden mehr und andere Ideen erdacht, kommen mehr Alternativen ans Licht als in autoritären und exklusiven Strukturen. Generäle redeten von Truppen, träumten von Ruhm und Denkmälern - Mütter dachten anders. 

Der demokratische Dialog setzt nicht darauf, dass die Menschen, die neu hinzustoßen und Gehör finden, die besseren Menschen wären. Die neuen Akteure erweitern das Spektrum der Interessen und Ideen. Aus dem Wettstreit der Konzepte entstehen insgesamt bessere Lösungen. In der Wirtschaft herrscht indes noch immer ein aristokratisches Prinzip. Es sind verhältnismäßig wenige Topmanager, die mit ihren Entscheidungen unseren Alltag gestalten, ja durchdringen. In der Krise von 2008 und danach gelang es den Banken sogar, die Politik zur Geisel zu nehmen und die Verursacher der Krise mit Steuergeldern und staatlicher Unterstützung retten zu lassen.


Vielfalt ist besser


Auf Vielfalt basierende Strukturen sind besser. Weil es Opposition gibt, weil Alternativen aufgezeigt werden, weil mehr Transparenz entsteht. Opposition ist etwas, das sich die jeweils Regierenden gefallen lassen müssen. Es ist Teil des demokratischen Prozesses. Und das sollte für die Fürsten der Wirtschaft ebenso gelten. Wenn ihnen nichts anderes einfällt als expansionistische Wirtschaft, benötigen wir eine Opposition zur real existierenden Ökonomie. Eine Wirtschaftsopposition. 

Wie jede politische Opposition sollte auch die Wirtschaftsopposition in der Lage sein, Richtungsentscheidungen maßgeblich zu beeinflussen. Oder gar aus der Opposition zu treten und selbst die Mehrheit zu stellen. Das heißt nichts weniger als: Wir müssen bereit sein, die Ökonomie in die eigenen Hände zu nehmen. Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen. 

Lassen wir uns nicht länger einschüchtern. Lassen wir uns nicht einreden, die Welt der Wirtschaft sei zwangsläufig eine Welt der Ellenbogen, der Ego-Riesen, der Geschäftemacher. Der rücksichtslose Kapitalist ist ein Auslaufmodell. Es geht auch anders. Anders? Soll heißen: Ganz normal, wie normale Menschen miteinander umgehen. Wie wir mit jedem, dem wir unvoreingenommen begegnen, umgehen. 

Ja, es braucht Gegenspieler - Menschen, die gegen rücksichtsloses Wirtschaften antreten und Alternativen aufzeigen.


Ökonomisches Gewicht entfalten


Wir stehen heute in Sachen Ökonomie dort, wo in den 1830er-Jahren die Frage nach der Teilhabe an der Politik gestellt wurde. Die Unzufriedenheit mit den politischen Entscheidungen, das engstirnige, rückwärtsgewandte Denken der Fürsten, die Willkür in der Ausübung von Macht führten dazu, dass die Rufe nach mehr Partizipation in der Politik lauter wurden. Im Jahr 1832 manifestierte sich diese Unzufriedenheit erstmals unüberhörbar auf dem Hambacher Fest. 

Die Wirtschaftsaristokraten suggerieren, dass wir Normalmenschen in Fragen der Wirtschaft nicht mitreden könnten und nicht qualifiziert genug seien. Genau wie einst in den Fragen der Politik. Auch dort gab es, bis in die Neuzeit hinein, eine große Skepsis gegenüber demokratischen Ansätzen: Bauern, Arbeitern und zuletzt den Frauen wurde nachgesagt, dass sie nicht gebildet genug seien für politische Mitsprache, dass es ihnen an Urteilskraft für wichtige Entscheidungen fehle. Der Gedanke, dass sich im Zuge der Partizipation auch Vertreter der Opposition jene Qualifikationen aneignen würden, die in der Politik benötigt werden, war den Fürsten fremd. 

Es war ein historischer Prozess, dass die Aristokraten ihre Privilegien verloren und sich auch andere Schichten der Gesellschaft politische Mitsprache erkämpften. Nicht die Rhetorik der Aufklärung allein hat im 18. und frühen 19. Jahrhundert dem Bürgertum die politische Teilhabe erfochten, sondern vor allem die zunehmende Entfaltung seiner wirtschaftlichen Kraft. Es reicht also nicht, nur Forderungen aufzustellen. Man muss auch die Bedingungen schaffen, unter denen die Forderungen Gewicht bekommen - ökonomisches Gewicht. Verstehen wir diesen Gedanken als Hinweis darauf, dass es sich auch politisch auszahlt, wenn wir die besseren, zukunftsfähigen ökonomischen Alternativen schaffen. Wenn wir selbst aktiv werden.


Wettstreit der Ideen


Wir reden hier nicht von Mitbestimmung in Aufsichtsräten. Es geht um die Entwicklung von neuen Konzepten. Und ihre Erprobung in der Praxis, weil damit entschieden wird, welches Konzept besser ist, sich im wirtschaftlichen Bereich als attraktiver, nachhaltiger und überlebensfähiger erweist. Ein Wettstreit der Ideen. Neue Akteure bringen neue Perspektiven und damit Alternativen hervor. Das wiederum bringt mehr positiven Wettbewerb, macht Wirtschaft und Gesellschaft offener, facettenreicher - und leistungsfähiger. Es ist die Übertragung eines zentralen Vorteils der Demokratie auf das Feld der Wirtschaft. 

Hier scheint mir auch ein Vergleich zum Bildungssystem erhellend. Als mit Beginn der Aufklärung der Ruf nach mehr Bildung lauter wurde, stieß dies bei den Konservativen wie auch in der breiten Bevölkerung auf wenig Resonanz. Kinder wurden für die Feldarbeit oder als Hilfe im Haushalt gebraucht; die herrschende Klasse, die Fürsten, ahnten, dass Bildung ihren Herrschaftsanspruch gefährden könne. 

Es waren einige wenige Vordenker, die erkannten, dass Bildung ein entscheidender Schritt ist, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Man hat sich also nicht darauf verlassen, dass die Fürsten, die Gutsbesitzer und Fabrikherren schon einsichtig und charmant genug sein würden, ihre Untertanen aufzuklären und handlungsfähiger zu machen. Erst die gesellschaftlichen Veränderungen, allen voran die zunehmende Industrialisierung, schufen den Druck, der zu mehr Bildungsanstrengungen führte - und etwas in Gang brachte, das im Rückblick als Bildungsrevolution eingestuft wurde.


Eine demokratische Revolution in der Wirtschaft


Was unseren Vorfahren in der Politik und im Bildungswesen gelang, kann auch uns in der Wirtschaft gelingen: eine demokratische Revolution, eine Verbesserung des Systems durch mehr Vielfalt und Chancen für alle. Als Entrepreneure können wir in die Opposition zur vorhandenen wirtschaftlichen Entwicklung gehen. Wir können einer expansionistischen Ökonomie entgegentreten und damit die Welt zu einem besseren Ort machen. Auch für unsere Kinder und Enkel. 


Dieser Essay basiert auf Günter Faltins neuem Buch David gegen Goliath. Wir können Ökonomie besser, erschienen im März 2019 bei Murmann | Haufe.


Zitate


"Wirtschaften wir intelligenter, umweltschonender und sozial verträglicher. Mit besseren Produkten und weniger Verschwendung." Günter Faltin: Wirtschaftsopposition

"Auf Vielfalt basierende Strukturen sind besser. Weil es Opposition gibt, weil Alternativen aufgezeigt werden, weil mehr Transparenz entsteht." Günter Faltin: Wirtschaftsopposition

"Wir müssen bereit sein, die Ökonomie in die eigenen Hände zu nehmen. Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen." Günter Faltin: Wirtschaftsopposition

"Es reicht nicht, nur Forderungen aufzustellen. Man muss auch die Bedingungen schaffen, unter denen die Forderungen Gewicht bekommen - ökonomisches Gewicht." Günter Faltin: Wirtschaftsopposition

"Neue Akteure bringen neue Perspektiven und damit Alternativen hervor - das ist die Übertragung eines zentralen Vorteils der Demokratie auf das Feld der Wirtschaft." Günter Faltin: Wirtschaftsopposition

 

changeX 17.05.2019. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: David gegen Goliath. Wir können Ökonomie besser. Murmann | Haufe, Freiburg 2019, 263 Seiten, 16.95 Euro (D), ISBN 9783648125649

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Autor

Günter Faltin
Faltin

Günter Faltin baute den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der FU Berlin auf. Vor 30 Jahren gründete er die Teekampagne - eine einzigartige Erfolgsgeschichte - und begleitet heute als Business Angel zahlreiche Unternehmen. Sein Buch Kopf schlägt Kapital war ein Bestseller, der bisher in acht Sprachen übersetzt wurde. Er lebt und arbeitet in Berlin und Chiang Mai. Seit 2013 lehrt er als Gastprofessor an der Universität Chiang Mai.

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