Seinen Scheiß geregelt kriegen
Selbstorganisation ist ein schillernder Begriff, und genau besehen ist keineswegs klar, was damit eigentlich gemeint ist. Unterschiedliche Sichtweisen finden sich sowohl beim Verständnis von Selbstorganisation wie bei Konzepten zu ihrer praktischen Umsetzung. Zeit, das Feld abzustecken. Und Menschen zu fragen, die in und mit Selbstorganisation arbeiten. Eine Erkundung. Hier im Interview: Daniela Friedrich, selbständige Interimsmanagerin aus Karlsruhe.
Was ist und was soll Selbstorganisation? Und was braucht es, um sie möglich zu machen? Diese und ein paar weitere Fragen an Daniela Friedrich.
Daniela Friedrich ist selbständige Interimsmanagerin, Mentorin und agile IT-Projektmanagerin aus Karlsruhe. In ihrem Buch So bekommst auch du deinen Scheiß geregelt vermittelt sie Tipps und Tricks, wie man seine Aufgaben leichter in den Griff bekommt. Sie steht also für einen Ansatz individueller Selbstorganisation.
Was muss man wissen, um Selbstorganisation zu verstehen?
Man muss aus meiner Sicht nicht Selbstorganisation verstehen. Davor ist es wichtig, zu verstehen, warum man sich mit dem Thema Selbstorganisation auseinandersetzen sollte. Wenn ich weiß, dass ich mir das Leben mit Selbstorganisation viel einfacher und stressfreier gestalten kann, dann habe ich schon alles, was ich brauche.
Was verstehen Sie unter Selbstorganisation?
Ich verstehe unter Selbstorganisation, mir mein eigenes Leben einfacher zu gestalten.
Gibt es weitere Kontexte, in denen Selbstorganisation thematisiert wird und mit welchen unterschiedlichen Bedeutungen?
Selbstorganisation ist gerade in der heutigen Zeit, in der es sehr viele Selbständige, Freelancer et cetera gibt, ein großes Thema. Hier gilt ganz oft: Zeit ist Geld! Ich bin selbst selbständig und muss meinen Tag überwiegend selbst organisieren. Das heißt für mich, dass ich mit einer guten Selbstorganisation wesentlich mehr erreichen kann.
Ist der Begriff Selbstorganisation passend und hilfreich?
Der Begriff Selbstorganisation ist in meinen Augen etwas negativ behaftet, weil er ja quasi voraussetzt, dass jemand unorganisiert ist. Das ist aber gar nicht immer der Fall. Manchmal reicht es ja, zusätzlich noch ein paar Tricks und Tipps zu bekommen, um die Organisation zu vereinfachen und seine Tätigkeitsbereiche besser geordnet zu bekommen.
Zum Beispiel?
Wenn ich nicht weiß, wie ich meine E-Mails organisiere, führt das ganz schnell zu einer Überforderung. Wenn ein Termin nach dem anderen stattfindet und ich keine kleine Verschnaufpause dazwischen habe, wird sich mein Stresslevel auf alle Fälle erhöhen. Ohne meine Ziele zu kennen, kann ich keine Prioritäten setzen. Und wenn ich gar nicht weiß, welche To-dos gerade bei mir anstehen, kann ich die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht sinnvoll nutzen. Es braucht ein hohes Maß an Selbstverantwortung, sich immer und immer wieder selbst anzutreiben und nicht in die bekannte Aufschieberitis zu verfallen.
Wofür wäre Selbstorganisation eine Lösung?
Zur Stressvermeidung. Ich behaupte ja, dass ich kein Yoga machen muss, weil in meinem Kopf kein Chaos herrscht. Es herrscht deshalb nicht, weil ich vieles strukturiert notiere. So ist es raus aus meinem Kopf, aber nicht verloren, und ich kann mich auf das konzentrieren, was ich gerade tue.
Was ist das Gegenteil von Selbstorganisation?
(Lacht) … Chaos erzeugen. Und immer nur reagieren anstatt zu agieren …
Sie sagen, Sie seien selbst oft ein bisschen chaotisch …
… genau deshalb habe ich für mich leichte Methoden gefunden, die ich ganz einfach anwenden kann, um meinen Scheiß geregelt zu bekommen.
Zum Beispiel?
Das sind Dinge, die man einfach integrieren kann. Die man eh machen muss, aber wenn man es strukturiert tut, bringt es mehr. Irgendwann muss man seinen E-Mail-Posteingang leeren - ich sortiere die Mails halt gleich. Oder man legt sich eine Telefonliste an für Wartezeiten, die immer wieder mal auftreten. Man wartet an der Straßenbahnhaltestelle oder ist zu früh bei einem Termin und kann in der Zeit dann anstehende Anrufe erledigen.
Hat Selbstorganisation Grenzen?
Grenzen … natürlich hat Selbstorganisation Grenzen - wie alles andere auch. Zu denken, dass wir die einzige selbstorganisierte Person in einer Organisation sind, wird uns nicht weiterhelfen. Ebenso verhält es sich, wenn ich mich "überorganisiere". Sprich wenn ich nichts anderes tue, als zu organisieren.
Das heißt, dass Selbstorganisation zum Zeitfresser werden kann? Dass der Anteil an der Arbeit, der für ihre Organisation aufgewendet wird, zu groß wird?
Klar, auf alle Fälle. Wenn ich die falschen Werkzeuge nutze und mich nur noch mit To-do-Listen und Ähnlichem beschäftige, habe ich nichts gewonnen. Die einfachen und pragmatischen Herangehensweisen, die am Ende jeder für sich selbst bestimmen muss, sind hier besonders wichtig.
Zentral dabei ist: Jeder muss seinen eigenen Rahmen kennen und in diesem agieren. Es hilft niemandem, sich an strikte Regeln zu halten, mit denen er sich nicht wohlfühlt. Es muss nicht immer alles bis ins Letzte optimiert werden - bei uns in der IT-Branche nennen wir das gern Overengineering. In der Selbstorganisation würde sich das so auswirken, dass man den ganzen Tag nur noch mit Selbstorganisation beschäftigt ist, aber sonst nichts mehr abgearbeitet bekommt.
Sie bieten also konkrete, selbst erprobte Organisationstipps an, und jeder kann sich aussuchen, was für sie oder ihn passt?
Absolut, genau. Bei den üblichen Ratgebern ist man schnell frustriert, wenn man es nicht schafft, alles zu befolgen. Aber nicht jedes Thema ist für jeden von Bedeutung. Nicht jede(r) organisiert sich über E-Mail und nicht jede(r) hat Auswärtstermine. Wichtig ist, was für einen selber stimmig ist.
In Organisationen ist agil ein großes Thema. Ist es das auch bei der persönlichen Selbstorganisation?
Ja, nein, vielleicht. Also es bringt natürlich gar nichts, wenn ich meine To-dos nicht ständig an die äußeren Bedürfnisse anpasse. Ich selbst lege mir meine To-dos zum Beispiel fix auf Termine, entscheide dann aber agil, was jetzt wirklich Priorität hat. Es kann also schon mal sein, dass ein Task bei mir von Woche zu Woche verschoben wird. Wichtig ist, dass er nicht verloren geht.
Die Frage nach den Grenzen gewendet: Werden Selbstorganisation Grenzen gesetzt? Gibt es - in der Gesellschaft, in Unternehmen und anderen Organisationen - Barrieren, Hemmnisse und Restriktionen, die Selbstorganisation blockieren oder einschränken?
Da sind wir wieder bei meiner Antwort der vorherigen Frage. Alles hat einen Rahmen, und nur darin kann man sich bewegen. Wenn also ein Unternehmen bestimmte Vorschriften hat, dann muss ich mich an diese Vorschriften vermutlich halten - auch wenn es meiner Selbstorganisation entgegensteht.
Können Menschen Selbstorganisation?
Das ist eine sehr gute Frage. Mit ein paar Tipps und Tricks kann das sicher jeder Mensch. Aber da sind wir wieder beim eigenen Rahmen. Jeder Mensch muss für sich selbst einen Weg finden, wie viel oder wie wenig an Selbstorganisation er oder sie benötigt.
Gewinnt Selbstorganisation an Bedeutung?
Ja, ich denke, dass dabei das Thema Homeoffice eine große Rolle spielt. Auch neue Organisationsmodelle, die flexible Arbeitszeiten zulassen, fordern von Menschen ein höheres Maß an Selbstorganisation.
Woran lässt sich die gewachsene Bedeutung festmachen?
Wenn jemand heute flexible Arbeitszeiten hat und seinen Tag somit mehr oder weniger frei gestalten kann oder muss, dann fällt ganz schnell auf, dass hier auch ein Umdenken in der Selbstorganisation stattfinden muss. Keiner sagt einem im Homeoffice, was jetzt oder in einer Stunde zu tun ist. Man muss selbst entscheiden können, was Prio hat oder was nicht.
Sollte es mehr Selbstorganisation geben?
Grundsätzlich wäre das aus meiner Sicht wünschenswert. Sonst hätte ich mich nicht dazu berufen gefühlt, ein Buch darüber zu schreiben. Ich glaube einfach daran, dass mehr Selbstorganisation den Menschen in unserer heutigen schnelllebigen Zeit helfen kann, unnötigen Stress zu vermeiden.
Welche sind die größten Hemmnisse für mehr Selbstorganisation?
Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen oft gar nicht klar ist, dass sie nicht gut organisiert sind. Auch wissen sie oft nicht, was sie besser machen könnten. Das Erkennen der Notwendigkeit ist der erste Schritt in eine bessere Selbstorganisation.
Welche Bedeutung hat Selbstorganisation ganz konkret für Sie und Ihre Arbeit?
Ich übe schon immer Berufe aus, in denen mir niemand sagt, was ich wann zu tun habe. Ich musste also von Anfang an lernen, mich selbst zu organisieren. Für mich hat eine gute Organisation zur Folge, dass mein Alltag wesentlich entspannter und ruhiger ist. Weil ich nicht ständig gehetzt bin.
Welche Frage stellen Sie sich selbst zur Selbstorganisation?
Wo benötige ich überhaupt Organisation? Wo lasse ich Dinge laufen? Wo bin ich überorganisiert und verschwende Zeit? Und: Wäre es heute nicht sinnvoll, sich schon in Schulzeiten mit Selbstorganisation zu befassen - ähnlich einem Studium. Es gibt Versuche an Schulen, die aber leider vom Kultusministerium immer wieder abgebrochen werden.
Das Interview basiert auf einem schriftlich beantworteten Interviewleitfaden mit 15 Fragen, ergänzt mit den Antworten auf einige gezielte Nachfragen.
Zitate
"Mehr Selbstorganisation kann den Menschen in unserer heutigen schnelllebigen Zeit helfen, unnötigen Stress zu vermeiden." Daniela Friedrich: Seinen Scheiß geregelt kriegen
"Jeder Mensch muss für sich selbst einen Weg finden, wie viel oder wie wenig an Selbstorganisation er oder sie benötigt." Daniela Friedrich: Seinen Scheiß geregelt kriegen
"Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen oft gar nicht klar ist, dass sie nicht gut organisiert sind." Daniela Friedrich: Seinen Scheiß geregelt kriegen
"Das Erkennen der Notwendigkeit ist der erste Schritt in eine bessere Selbstorganisation." Daniela Friedrich: Seinen Scheiß geregelt kriegen
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Zum Buch
Daniela Friedrich: So bekommst auch du deinen Scheiß geregelt. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2020, 116 Seiten, 9.90 Euro (D), ISBN 978-3-961459292
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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