Zur Lösung begleiten

Ein Interview mit Claudia Noder zum Thema Coaching und Führung.

Fragen stellen. Das ist das Wichtigste bei einem coachenden Führungsstil. Eine ungewohnte Taktik für viele Chefs. Denn bisher stand Zuhören nicht gerade auf dem Lehrplan des Managements.

In dem Seminar "Coaching und Führung" von Siemens Business Services, Training and Services, lernen Führungskräfte und Projektleiter, ihre Mitarbeiter auf neue Art zu führen - und werden dabei selbst gecoacht. Wir sprachen mit Claudia Noder. Sie leitet bei Training and Services den Bereich Consulting & Coaching und führt einige dieser Seminare sowie Coachings selbst durch.

Was bedeutet erfolgreiches Führen heute - haben sich die Leitbilder gewandelt?
Früher war Führen sehr viel stärker durch Vorgabe geleitet, durch Kontrolle. Das Aufgabengebiet war klarer umrissen und es stand außer Zweifel, dass die Führungskraft diejenige ist, die entscheidet. Doch seit die Mitarbeiter häufig in Projekten arbeiten, beim Kunden, zum Teil sogar in virtuellen Teams, ist das Thema vielschichtiger geworden. Man hat die Mitarbeiter oft nicht mehr in greifbarer Nähe und muss sich auf ihr Wissen verlassen, weil sie unabhängig vor Ort handeln. Das heißt, man braucht eigenverantwortliche Mitarbeiter - damit muss natürlich auch das Führungsverständnis Schritt halten. Das bedeutet, man sollte seine Mitarbeiter durch coachende Führung fähig machen, selbst kompetent zu handeln.

Viele Funktionen hat das Management also verloren. Was ist überhaupt noch an Führungsaufgaben übrig geblieben?
Natürlich alles, was in Richtung visionäres und strategisches Management geht. Noch immer sind es die Führungskräfte, die die Leitlinien für die geschäftliche Weiterentwicklung festzurren. Andererseits alles, was mit Profit und Loss sowie Personalverantwortung zu tun hat. Eine klassische Führungsaufgabe ist zum Beispiel, Mitarbeitergespräche zu führen. Dabei wird vereinbart, was das Ziel des Mitarbeiters fürs nächste Jahr ist, was er sich selbst vornimmt und was für Team und Unternehmen wünschenswert ist. Denn wenn das Ziel festgelegt ist, kann ich begleiten und coachen.

Seit wann gibt es das neue Leitbild der coachenden Führungskraft?
Entstanden ist es Mitte der 80er-Jahre. Coaching ist ja ein Begriff, der sehr unterschiedlich gehandhabt wird.

Wie sieht denn die coachende Rolle aus?
Wir vermitteln den Seminarteilnehmern erst einmal, was Coaching überhaupt ist: Auf der einen Seite meint es professionelle Managementberatung, auf der anderen, Menschen im Reflexions- und Lösungsprozess zu beraten und zu unterstützen. Nehmen wir mal den Fall, ein Mitarbeiter hat ein Problem. Oft wird er versuchen, die Entscheidung der Führungskraft "aufzudrücken". Nach dem Motto: "Jetzt gib mir mal schnell eine Anweisung, wie ich zu handeln habe." Ein coachender Chef hilft seinem Mitarbeiter, die Lösung selber zu finden, und begleitet ihn auf diesem Weg.

Das wäre also der Idealfall.
Genau. Den Teilnehmern des Seminars vermitteln wir einen praktischen Gesprächsleitfaden dafür, wie Coachinggespräche ablaufen. Von unseren Seminarteilnehmern kommt oft zurück, dass sich das in der Praxis als sehr nützlich erweist: Man muss sehr viel mehr nachfragen, was den Mitarbeiter bewegt und was er tatsächlich braucht. Andernfalls prescht man häufig vor, ohne dass man genau weiß, was der Gesprächspartner will. Oft möchte der Mitarbeiter erst einmal - ohne Wenn und Aber - erzählen, was ihn beschäftigt. Am Anfang des Gesprächs gilt es genau abzuklären, was das Hauptanliegen/Thema des Mitarbeiters ist.

Und dann?
Wenn das Thema und die Erwartungen an das Coachinggespräch geklärt sind, geht es an die Analyse des Problems. Der Mitarbeiter schildert aus seiner Sicht, worum es geht. Beispielsweise: Die Zusammenarbeit mit einem Kunden funktioniert nicht oder man hat Schwierigkeiten, einen Termin einzuhalten, weil eine andere Abteilung mauert, Informationsflüsse stocken, Kommunikation findet nicht statt und vieles andere mehr. Dabei unterstütze ich ihn als Führungskraft mit Fragen, die dazu dienen, sich nochmals in die Situation zu versetzen und diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Es geht darum, dass der Mitarbeiter eine Klärung für sich erzielt, um daraus neue Lösungsansätze zu finden, seine Kreativität einzusetzen.

Was sind die Vorteile eines solchen coachenden Führungsstils - für den Chef und für die Mitarbeiter?
Wenn ich dem Leitbild folge, räume ich dem Mitarbeiter sehr viel mehr Entscheidungsbefugnis und Freiraum ein. Er ist kein Mit-Arbeiter mehr, sondern Mit-Denker, Mit-Gestalter. Ich beziehe ihn, sein Wissen und seine Erfahrung sehr viel stärker ein. Davon haben beide Seiten Vorteile: Der Mitarbeiter entwickelt sich weiter und ich als Führungskraft entlaste mich mittelfristig von operativen Aufgaben. Natürlich weiß der Mitarbeiter, dass er im Zweifelsfall - zum Beispiel in komplexen Situationen und in Krisen - auf seinen Chef zugehen und sich dort Unterstützung holen kann.

Klingt gut. Was ist mit Chefs, die noch auf traditionelle Art führen? Bei ihren Mitarbeitern baut sich vermutlich oft Frust auf.
Richtig. Der typisch autoritäre Stil sieht so aus, dass ich vom Mitarbeiter ständig Berichte einfordere, ihn kontrolliere und ihm verbiete, bestimmte Entscheidungen allein zu treffen. Das kann natürlich demotivierend wirken, weil die Führungskraft überhaupt nicht interessiert, wie der Mitarbeiter arbeiten möchte und was ihm an seiner Arbeit wichtig ist.

Wissensarbeiter erwarten heute einfach ein bisschen mehr ...
Sie erwarten mehr, und sie erwarten vor allem, dass für sie Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen sie sich weiterentwickeln können. Sie wünschen sich Gestaltungsmöglichkeiten an ihrem Arbeitsplatz.
Mir ist aufgefallen, dass Manager mit einem sehr engen Führungsstil oft kein Vertrauen zu den Mitarbeitern haben. Letztlich haben sie Angst, mit ihren Mitarbeitern einen offenen Dialog zu führen und können anhand ihrer Annahmen und Vorurteile nicht mehr individuell auf den Mitarbeiter eingehen.

Wie reagieren denn die Mitarbeiter darauf, wenn sich eine solche Führungskraft auf einmal in eine coachende Rolle begibt?
In der Regel sind die Mitarbeiter positiv überrascht. Sie sind angetan davon, dass der Chef auch mal zuhört, nachfragt und nicht nur pauschale Antworten gibt. Es mag auch mühsam und anstrengend sein, diese neuen Rollen zu erproben, aber gewöhnlich stellen sich die Mitarbeiter sehr schnell um. Es kommt natürlich auch auf die einzelnen Menschen an. Wenn jemand neu in einer Abteilung ist, braucht er mehr Unterstützung als einer, der lange im Unternehmen ist und der schon selbstständig unterwegs ist. Den kann ich sehr viel freier führen. Gerade deshalb sollte ich im Gespräch abklären, was die einzelnen Mitarbeiter von mir als Führungskraft brauchen und erwarten.

Für den Chef ist es sicher nicht leicht, von einem Führungsstil zu einem anderen zu wechseln. Wie schafft man den Übergang in eine coachende Rolle?
Es ist natürlich ein Umdenken auf beiden Seiten, das ist klar. Viele Leute beschäftigen sich theoretisch mit solchen Fragen, lesen zum Beispiel Bücher. Aber ich glaube, es ist ganz wichtig, sich in eine Qualifizierung zu begeben und Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Auch selbst gecoacht zu werden, die Erfahrung zu machen, wie das auf mich wirkt, hilft weiter. Zudem bringt das Coaching eine wichtige Selbstreflexion in Gang.

Coaching als Führungsstil ist nicht ganz unumstritten. Worum geht es in der Kontroverse?
Es gibt verschiedene Kontroversen. Eine davon dreht sich um die Neutralität. Wenn ich mit meinen Mitarbeitern in einen Lösungs- und Unterstützungsprozess gehe, muss ich auch gewährleisten, dass ich neutral bin. Ich muss mit dem Ergebnis bzw. dem Lösungsvorschlag - wie man zum Beispiel mit einem Kunden umgeht oder einen Konflikt löst - auch leben können. Doch in Wirklichkeit ist die Führungskraft natürlich nicht absolut neutral. Sie hat nicht zuletzt auch das Geschäftsziel im Auge, wenn sie mit ihrem Mitarbeiter zusammenarbeitet. Ich sehe das ein bisschen differenzierter. Die erwähnte Gefahr besteht natürlich. Deshalb ist es wichtig, dass ich mir als Führungskraft darüber klar werde, ob ich diese Form der Lösungsfindung unterstützen, ob ich mit dem Ergebnis leben kann. Der Konflikt heißt also vielmehr: Kann ich in diesem Falle coachen oder muss ich führen? Völlig freie Hand kann man Mitarbeitern zum Beispiel nicht lassen, wenn das Problem die Rahmenbedingungen berührt, die ich dem Team vorgebe. Im aufgezeigten Rahmen können sich die Mitarbeiter bewegen; gehen sie darüber hinaus, bekommen sie Stress. Diese Leitplanken, wie ich sie nenne, müssen im Gespräch klar sein.

Sollte man vielleicht besser einen externen Coach zu Rate ziehen?
Die Frage lautet für mich in diesem Zusammenhang nicht, ob die Führungskraft coacht oder ein externer Coach, sondern, wie ich mit dem Thema Führung als Führungskraft umgehe: Wann coache ich und wann muss ich klar als Führungskraft agieren? Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter immer wieder das Projektbudget überzieht, kann ich das nicht "wegcoachen", sondern muss ihm deutlich machen, dass ich dies beim nächsten Mal nicht akzeptieren werde, gegebenenfalls andere disziplinarische Maßnahmen ergreifen werde. Meines Erachtens sollte ein externer Coach immer dann gewählt werden, wenn die Sicht von außen besonders entscheidend ist, zum Beispiel in Konflikt- oder Krisensituationen oder bei besonders vielschichtigen, komplexen Zusammenhängen und Projekten.

Hat sich das Leitbild schon durchgesetzt? Ist es weitgehend akzeptiert in der Wirtschaft?
Das hängt sehr stark von der Unternehmenskultur ab, davon, wie Führung im Unternehmen gelebt wird. In offenen, vertrauensvollen Kulturen, in denen die Bedeutung der Mitarbeiter und ihres Wissens klar ist, oder im Dienstleistungsbereich - Stichwort Kundenorientierung - geht man sehr anspruchsvoll mit diesem Leitbild um. Zum Teil werden die Führungskräfte gezielt zu diesem Thema qualifiziert. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die Coaching mit Trainings oder Expertenratschlägen gleichsetzen. Und natürlich gibt es sehr viele Unternehmen, die - gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten - eher auf autoritäre Führungsmodelle und -strukturen zurückgreifen.

Kontakt:
claudia.noder@siemens.com
www.siemens.com/learning

© changeX Partnerforum [28.01.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

changeX 28.01.2003. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

LS training and services GmbH & Co. KG

Weitere Artikel dieses Partners

Willkommen im virtuellen Klassenraum

Beim E-Day von LS training and services und bit media bekamen Besucher einen Überblick über innovative Lernformen. zum Report

Was brauchen Virtuelle Unternehmen?

Neue Forschungsergebnisse und Instrumente zur Unterstützung virtueller Zusammenarbeit. zum Report

Auf zur Learntec!

LS training and services verschenkt Eintrittskarten für die größte Fachmesse im Bereich E-Learning. zum Report

nach oben