Erpressung auf Staatskosten
Geschichten, Rechtsfälle und Urteile aus der neuen Arbeitswelt. | Folge 6 |
Wer erpresst wird, kann die Zahlungen steuerlich geltend machen - als außergewöhnliche Belastungen. Der Grund für die Erpressung spielt dabei keine Rolle. Selbst die Vertuschung einer Liebesbeziehung muss der Finanzbeamte schlucken.
"Sie will dich erpressen!" Susanne P. ist völlig
aufgelöst. Ihrer Freundin hatte sie alles über ihre Affäre mit
ihrem Chef erzählt. Doch anstatt sich mit ihr zu freuen, hatte sie
nur gesagt: "Wenn du nicht willst, dass es seine Frau erfährt,
müsst ihr zahlen. Ich brauche Geld. Und das ist eine gute
Gelegenheit." Dann ist sie aufgestanden und gegangen.
Susanne P. lief zur nächsten Telefonzelle, rief ihren
Geliebten an und traf sich mit ihm in ihrer Stammkneipe. Was sollen
wir tun? Für Otto K. gab es nur eine Lösung. Er musste zahlen.
Seine Frau durfte unter keinen Umständen etwas erfahren. Nicht,
weil er Angst hatte, sie zu verlieren. Nein, sie war schwer krank
und durfte sich nicht aufregen.
Am nächsten Morgen rief er die Freundin seiner Geliebten an
und fragte nach ihrer Kontonummer. Das war das einzige Gespräch,
das sie führten. Danach zahlte er, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Doch Mitte September war Schluss. Seine Frau war gestorben
und K. marschierte zur Polizei: Anzeige wegen Erpressung. Außerdem
telefonierte er mit dem Finanzamt. K. wollte die Ausgaben
rückwirkend steuerlich geltend machen - als außergewöhnliche
Belastungen. Doch das wollte der Fiskus nicht akzeptieren. "Herr
K.", so die Begründung "ist selbst schuld. Er hätte sich von seiner
Geliebten trennen können, um sich der Erpresserin zu entziehen."
Außerdem hätte er sich durch seine Affäre "bewusst in eine
Situation manövriert, in der es zu derartigen Zahlungen hat kommen
müssen." Der Staat könne dafür nicht geradestehen.
Herr K. gab sich mit dieser Aussage nicht zufrieden und zog
vors Gericht. Mit Erfolg. Der Richter gab ihm Recht:
"Außergewöhnliche Belastungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie
erstens der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen
Familienstandes nicht erwachsen. Und dass sie zweitens zwangsläufig
entstehen." Punkt eins sei klar. Doch auch Punkt zwei treffe nach
näherer Betrachtung zu. Selbst wenn Herr K. sich von Susanne P.
getrennt hätte: Die Gefahr wäre damit nicht gebannt gewesen. Die
Erpresserin hätte trotzdem die schwer kranke Frau informieren
können. Und deswegen musste K. ihr Schweigen teuer erkaufen.
Zwangsläufig.
Gerd Hoor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Osborne Clarke, Köln.
Mit einer Illustration von Limo Lechner.
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