Das doppelte Urteil
Geschichten, Rechtsfälle und Urteile aus der neuen Arbeitswelt. | Folge 3 |
Des einen Freud, des anderen Leid. Auch Gerichtsurteile werden bisweilen wortwörtlich kopiert. Das spart Arbeit. Schön, wenn der nächste Richter sofort weiß, wo's langgeht. Nach dem Motto: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Warum nicht auch die Urteile? Ein zorniger Vermieter musste diesbezüglich Lehrgeld bezahlen.
Wer zahlt schon gerne Miete? Vor allem,
wenn auch die Nebenkosten turmhoch in die Höhe klettern. Dann ist
die Wut oft groß. Vielerorts bleibt nur noch der rettende Gang zum
Anwalt und vor Gericht. Besonders heikel ist die Nebenkostenfrage
im sozialen Wohnungsbau. Da diese Wohnungen mit Hilfe öffentlicher
Gelder gebaut werden, gelten besondere Vorschriften zur Regelung
der Miethöhe und der Nebenkosten. Letztere waren bis 1984 in die
Bruttowarmmiete miteingerechnet. Von da an aber nicht mehr. Heute
sind diese Mieten grundsätzlich als Nettokaltmieten zu berechnen -
zuzüglich Nebenkosten. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Der Vermieter R. hatte nämlich genau hier eine Wissenslücke
und es versäumt, die Miete von brutto auf netto umzustellen. Mit
der unangenehmen Folge, dass er auch nach Ablauf der gesetzlichen
Mietpreisbindungszeit an die alten Mietstrukturen gebunden war. Da
waren aber die Nebenkosten schon in der Miete mit drin. Übrigens
kein Einzelfall. Die meisten Mietverträge aus den 50er oder 60er
Jahren beinhalten keine eigenen Nebenkostenregelungen. Und werden
unverändert übernommen. Die Mieter waren sich deshalb im
vorliegenden Fall schnell einig, der Anwalt sowieso, und so wurden
die vertraglich ja eben gerade nicht vereinbarten
Nebenkostenzahlungen gänzlich eingestellt.
Zwei Richter, ein Urteil!
Vermieter R. wiederum war davon
wenig angetan und verklagte seine Mieter auf Zahlung der
Nebenkosten. Die Klagen kamen zu unterschiedlichen Abteilungen
des Amtsgerichts, und zwei der Termine zur mündlichen Verhandlung
wurden kurz hintereinander anberaumt. Die erste Verhandlung fand
vor dem Amtsrichter P. statt, einem gewissenhaften Mann, der sich
minutiös auf den Termin vorbereitet hatte. Schnell kam er zu dem
Ergebnis, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte.
Ergebnis: Die Mieter brauchten keine Nebenkosten mehr zu zahlen.
Amtsrichter V. war sich da zunächst nicht so sicher. Er
blieb unschlüssig. Der Mieteranwalt, noch siegestrunken von der
ersten Entscheidung, erlaubte sich deshalb den höflichen Hinweis,
dass ein Kollege gerade eben einen sehr ähnlichen Fall zu
entscheiden hatte. Was Amtsrichter V. ausgesprochen dankbar
aufnahm. Ergebnis: Die Mieter brauchten auch bei ihm keine
Nebenkosten mehr zu zahlen.
Kurze Zeit später hielt der Mieteranwalt die beiden Urteile
in Händen. Zwar hatte er insgeheim gehofft, Amtsrichter P. würde
seinen Kollegen V. von der mieterfreundlichen Argumentation zu
überzeugen wissen. Und dass ähnliche Urteile herauskämen. Doch
noch viel mehr: Das zweite Urteil war eine originalgetreue Kopie
der Begründung des ersten Urteils. Nicht einmal das Datum der
mündlichen Verhandlung, die Summe der Nebenkosten und das Datum
des Mietvertrages hatte Richter V. angepasst!
Nur keine schlafenden Hunde wecken, dachte sich der
Mieteranwalt und schwieg. Allerdings mit dem faden Nachgeschmack,
dass offenbar nicht jedes Urteil das Ergebnis tiefer gehender
Beschäftigung mit der Materie und gelegentlich wohl auch
Glückssache ist.
Michael Tillmann ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Osborne Clarke, Köln.
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Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.