Mythos Sommerloch
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 27 |
Das Sommerloch. Fast alle sind in Urlaub, einige wenige halten die Stellung im Büro, retten sich mit Ventilatoren und Eistee über die Runden. Ein Klischee. Die einstigen Gerichtsferien sind längst abgeschafft. Und für die juristischen Dienstleister in der international tätigen Kanzlei Osborne Clarke gibt es keine sommerliche Ruhepause.
Von Sommer kann kaum eine Rede sein. Schon wieder ziehen graue Wolken heran. Auch das Sommerloch ist nur noch ein verblasster Mythos. Seit die SPD ihren Wahlkampf-Truck umfragebedingt zwei Wochen früher als geplant in den Endspurt geschickt hat und der Kandidat seine Rastlosigkeit demonstriert, kann auch in der politischen Arena von Urlaubssaison keine Rede mehr sein. In den Unternehmen hingegen klagen die Mitarbeiter über urlaubsbedingte Mehrarbeit bei sinkender Arbeitsmotivation. Das ist bei Osborne Clarke nicht anders. Dennoch: Wir fragen die Mitarbeiter bei Osborne Clarke: "Wie geht's denn so im Sommerloch?" Wer so fragt, darf sich über launige Antworten nicht wundern.
Loch in der Personaldecke.
"Ein Loch besteht aufgrund der
diversen Urlaubsabwesenheiten allenfalls in der Personaldecke",
erwidert Gerd Hoor sarkastisch. "Ich kenne kein Sommerloch, mein
Chef auch nicht und meine Kolleginnen schon gar nicht", pflichtet
Marion Willems ihm augenzwinkernd bei. Über Mangel an Arbeit kann
die Assistentin, die zugleich für die Software-Schulung in der
Kanzlei zuständig ist, zur Zeit nicht klagen. Es gibt etliche
Neuzugänge, die eingearbeitet werden wollen, hinzu kommt die
Urlaubsvertretung für verreiste Kolleginnen. Einziger Lichtblick:
"Die Sprudelversorgung klappt wunderbar." Die Getränke sind für
die Mitarbeiter von Osborne Clarke kostenfrei.
Ihren Kolleginnen ergeht es nicht anders. "Ich lege eine
Akte nach der anderen an, weiß nicht, welches Band ich zuerst
schreiben soll und welches Telefonat mir mal wieder durch die
Lappen gegangen ist, weil ich auf zwei Leitungen gleichzeitig
telefoniere, während mir schon wieder jemand auf die Inbox
gesprochen hat", stöhnt Bettina Schiffer, deren Chef Uwe
Brossette wegen der Neustrukturierung des Automarktes nicht
gerade wenig zu tun hat. Die Gruppenfreistellungsverordnung ist
der Dauerbrenner in der Autobranche. Nach wie vor ist die
Aufregung groß. Und entsprechend der Beratungsbedarf. Dabei war
die Juristerei noch vor kurzem eine der letzten Branchen mit
einer exklusiven Ferienregelung, die, wie die Ferien überhaupt,
auf die Antike zurückgeht.
Kein Streit während der Weinlese.
Erfunden wurden die Ferien
bekanntlich schon in der Antike. Im Römischen Reich gab es eine
Vielzahl von Ferientagen, an denen die Freien ihre politischen
Aktivitäten und Rechtsgeschäfte sein ließen und die Sklaven die
Freistellung von der Arbeit genossen. "Feriae" gab es im antiken
Rom nicht nur zu Kaisers Geburtstag und anderen öffentlichen und
staatlichen Anlässen, sondern auch in der heißen Periode des
Sommers, wenn sich die reichen Familien auf das Land zurückzogen,
sowie in der Erntezeit. Weil sich gerade die römischen
Justizbeamten für die Zeit der Weinlese gern eine Auszeit nahmen,
soll Mark Aurel kurzerhand entschieden haben, während der Zeit
der Traubenlese juristischen Streit auf Eis zu legen - das war
die Geburtsstunde der Gerichtsferien. Die überdauerten den
Untergang des Römischen Reiches und hatten Bestand bis in unsere
Zeit.
So galt bis vor wenigen Jahren auch in Deutschland die
Regelung, dass zwischen dem 15. Juli und 15. September die sonst
üblichen Fristen in Zivilsachen außer Kraft gesetzt waren. Die
Gerichte behandelten nur Eil- und Strafsachen, und selbst die
konnten zur "Feriensache" erklärt - sprich: auf die Zeit danach
vertagt - werden. Erst im Herbst 1996 verabschiedete der
Bundestag das Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien, das am
Jahresbeginn 1997 in Kraft trat. Seither ist Schluss mit dem
Sommerloch in der Juristerei, die Zunft fügt sich ein in die
rastlose 24/7-Mentalität einer modernen Dienstleistungsbranche.
In einer Gesellschaft, in der nicht mehr große Kollektive den
Takt angeben und normierte Lebensentwürfe einer wachsenden
Vielfalt Platz machen, verlieren starre Regelungen wie
Gerichtsferien ihren Sinn. Schließlich ist immer irgendwer in den
Ferien.
Und in einer hoch getakteten Ökonomie sucht immer irgendwer
Rat. Das ist nicht unbedingt eine Folge der Internationalisierung
der Wirtschaftsbeziehungen. "Auch die Mandanten, die nicht
international tätig sind, haben zu jeder Jahreszeit
Beratungsbedarf", weiß Antje Kampfenkel, die im Property-Team
arbeitet. Und der steigt mitunter antizyklisch gerade in der
Ferienzeit. So haben es die Anwälte auszubaden, dass andere in
ihren Ferien zur Ruhe kommen, so die Erfahrung von Gerd Hoor:
"Der eine oder andere Mandant findet im Urlaub so recht Zeit zum
Nachdenken, entwickelt umfassende Ideen und greift - kaum zurück
- zum Telefonhörer, um seinen Anwalt zu Rate zu ziehen." Und der
muss seinem Mandanten dann die Urlaubsflausen wieder
ausreden.
Mehr Arbeit für die Daheimgebliebenen.
Das Schreckgespenst aller
Arbeitnehmer in der Ferienzeit heißt Urlaubsvertretung. Das ist
bei Osborne Clarke nicht anders. "Was jene, die in Urlaub sind,
nicht erledigen können, landet auf den Schultern der
Zurückgebliebenen", berichtet Michaela Fischer, die rechte Hand
von Kanzleimanager Stefan Rizor, der seinen Jahresurlaub derzeit
in Kanada verbringt. "Dementsprechend gibt es mehr Arbeit als
sonst - und das verbessert die Stimmung nicht unbedingt." Das mag
Andreas Imping indessen nicht bestätigen. "Eine Lustlosigkeit
kann ich bei Kollegen und Mitarbeitern nicht feststellen." Die
Arbeitsmotivation sei nach wie vor gut, betont er. Vermutlich ist
es jenes subjektive Gefühl sommerlicher Unlust, das die
Daheimgebliebenen befällt, die in der Ferienzeit arbeiten müssen
- und mit ihrem Schicksal hadern, egal, ob die Sonne scheint oder
nicht. Scheint sie, ist es zu warm und der Daheimgebliebene wähnt
sich irgendwie am falschen Ort. Scheint sie nicht, ist die
Stimmung ohnehin im Keller. Und die wechselnden Tiefdruckfronten
geben allenfalls Gelegenheit, sich über Sommerdepression oder
Klimawandel auszutauschen.
Für Michaela Fischer allerdings ist die momentane
Abwesenheit ihres agilen Chefs hingegen eine Auszeit von der
Alltagshektik der restlichen Monate des Jahres. In ihrem Büro ist
es recht ruhig, sagt sie, "endlich ist Zeit, Liegengebliebenes
abzuarbeiten". Ruhe vor dem Sturm. Dann am 15. August tritt Rizor
wieder an. Sehr wahrscheinlich mit umfassenden Ideen.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.