Hobby: Jura
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 24 |
Jan Pohles Programm für das vergangene Wochenende: ein Aufsatz für eine juristische Fachzeitschrift. Für uns eine Gelegenheit nachzufragen: Wie steht's denn mit der Work Life Balance? Aber wir fragen nicht nur Jan Pohle, sondern auch seine Frau Astrid.
Jan Pohle ist einer jener Menschen,
die schon rein physisch Aktivität ausstrahlen. Er ist stets
präsent, mischt sich ein, hat immer eine ironische oder
provozierende Bemerkung parat. Fast wirkt er ein wenig gehetzt,
wenn er zwischen zwei E-Mails und einem Telefonat noch eine Frage
seiner Assistentin beantwortet. "Etwas hektisch heute", sagt er
fast entschuldigend, lehnt sich zurück und atmet tief durch. "Was
sich seit Anfang des Jahres hier getan hat, hat locker drei Leute
unter Dampf gehalten", berichtet der 36-jährige Anwalt. Mit
"hier" meint er das Team TMT - Technologie, Medien,
Telekommunikation -, der Bereich, auf dem europaweit die
Kernkompetenz der Kanzlei liegt. In Deutschland ist dieser Sektor
noch im Aufbau, hier liegen Chancen und Potentiale, die man
nutzen will - auch und gerade, weil der IT- und TK-Sektor zur
Zeit nicht so stark wächst. Aber jede Krise birgt auch Chancen.
Zum Beispiel die, den zunehmend kostenbewussten Unternehmen
flexible und damit attraktive Honorarmodelle anzubieten und so
neue Mandanten zu gewinnen.
Mehrere große Projekte mit umfangreichen Vertragswerken
laufen im TMT-Bereich derzeit parallel, dazu noch die laufende
Betreuung gewachsener Mandatsbeziehungen, nicht zu vergessen die
Akquisition neuer Kunden. "Und dann noch die Work Life Balance",
stöhnt Jan Pohle und verdreht dazu die Augen. Das ist pure
Ironie, denn "die hat in den letzten Monaten etwas gelitten",
gesteht der Anwalt offen ein. Er ist der Typ Mensch, der in
seiner Arbeit aufgeht und der nicht glücklich ist, wenn es nichts
gibt, was er anpacken kann. Und so hat er, obwohl es im Büro mehr
als genug zu tun gibt, gerade zugesagt, einen Aufsatz für eine
Fachzeitschrift zu schreiben. Wenn die Redaktion ihm das
anbietet, weil sie seinen Newsletter zum Internet-Haftungsrecht
so gut findet (siehe Folge 23), kann man ja nicht nein sagen.
Selbst wenn das Wochenendarbeit bedeutet. Wie am vergangenen
Wochenende.
Hobby: Jura.
"Jura ist halt sein Hobby", sagt Astrid Pohle, die Ehefrau von Jan Pohle und Mutter ihrer nun drei Monate alten Tochter Zoë. Seine Arbeit sei eben absolut wichtig für ihn. Das gilt für sie gleichermaßen. Astrid Pohle ist 37 Jahre alt und hat selbst Karriere gemacht. Bei zwei großen Industrieunternehmen hat sie im Personalbereich gearbeitet und war dann eineinhalb Jahre lang in einem Internet-Start-up verantwortlich für das Personalwesen. Bis zu ihrem Mutterschaftsurlaub. Bis dahin haben Pohles das geführt, was man gemeinhin eine "moderne Beziehung" nennt: beide Partner berufstätig, keine feste Arbeitsteilung nach dem etablierten Rollenmodell. Wäsche, Einkauf - zuständig ist, wer Zeit hat. Ein Zehn-Stunden-Tag war auch für Astrid Pohle eher die Regel, aber wenn sie heimkam, war ihr Mann meist noch nicht da. Ihr Feierabend verschob sich meist auf den späteren Abend. Wenn ihr Mann zu einer Einladung nachkam oder am Wochenende für zwei Stunden ins Büro verschwand - kein Problem. Nur wenn im Urlaub das Handy klingelte, war für Astrid Pohle Schluss mit der Toleranz: "Das nervt einfach."
Mit Spaß ranklotzen.
Mit der Teamstruktur in der neuen
Kanzlei sei das aber eindeutig besser geworden. Die Einstellung:
"Bevor ich lange suche, rufe ich den Pohle im Urlaub an", gebe es
nicht mehr. Angerufen werde nur in wichtigen Fällen, "und dann
ist es auch O. K.", sagt die junge Frau, die das Arbeitsumfeld
ihres Ehemannes mit fachlich-kritischem Blick analysiert. Indes:
Mit einer Work Life Balance sei es in der Tat noch nicht weit
her. "Die Balance besteht im Augenblick darin, dass es ein gutes
Gefühl ist, dieses Unternehmen gemeinsam aufzubauen", glaubt sie.
"Das hat jetzt Priorität und da wird einfach rangeklotzt." Im
Vergleich zu früher herrsche in der Kanzlei jedoch eine andere
Atmosphäre, denn nun "sind alle Unternehmer und jeder ist
mitverantwortlich, dass der Laden läuft". Die Work Life Balance
sei etwas für spätere Tage, wenn das Unternehmen gefestigt ist.
Was nicht heißt, dass Spaß und Freude an der Arbeit auf
fernere Zeiten vertagt würden. Im Gegenteil. Arbeit und Spaß
gehören für Astrid Pohle zusammen, und sie sieht es als Aufgabe
des Unternehmens, es zu ermöglichen, dass sie zusammenkommen.
"Von der Unternehmensleitung verlangt das Vertrauen und eine
gewisse Großzügigkeit", glaubt sie. Bei dem Industrieunternehmen,
bei dem sie zwei Jahre gearbeitet hat, war das nicht der Fall,
"dort wurde nur gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet". Fachlich
interessant zwar, aber "vom Zwischenmenschlichen her eher eine
grenzwertige Erfahrung". Ganz anders dagegen in dem Start-up, in
das sie nach dem Mutterschaftsurlaub wieder zurück will. Arbeit
gab es genug, "aber wir haben auch viel Spaß gehabt", erinnert
sie sich. "Für mich ist Spaß wirklich wichtig." Im Büro von
Osborne Clarke sei das ähnlich wie in dem Start-up: Auch dort
werde die andere Einstellung zur Arbeit umgesetzt, der
menschliche Umgang miteinander gelebt. "Ich habe das Gefühl, dass
die Stimmung gut ist und dass viel Spaß dabei ist", sagt
sie.
Härtetest Zoë.
Gleichwohl steht das Modell eines Lebens neben dem Job in der Familie Pohle ein Härtetest bevor. Und der heißt Zoë. Seit der Geburt ihrer Tochter hat sich das Leben für Jan und Astrid Pohle verändert. Sie ist nun Dreiviertel-Hausfrau und -Mutter, und von ihm verlangt das verbleibende Viertel eine andere Einstellung zur Arbeit. Öfter von zu Hause aus arbeiten, lautet seine Lösung. Technisch ist das kein Problem. Jeder Anwalt hat ohnehin ein Notebook, und die E-Mails lassen sich auch von zu Hause aus abrufen. Die ersten Erfahrungen sind positiv. Jan Pohle will die ungewohnte Ruhe zur Bearbeitung längerer Schriftsätze nutzen, seine Frau ist zufrieden, wenn er - wenngleich am Notebook - zu Hause ist. Denn "im Prinzip ist er ja da".
Bild oben: "Jura ist halt sein Hobby", sagt Astrid Pohle, die Ehefrau von Jan Pohle und Mutter ihrer nun drei Monate alten Tochter Zoë.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Die nächste Folge erscheint kommenden Montag.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.