Anpfiff am Arbeitsplatz
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 18 |
In den meisten Firmen herrscht WM-Verbot. Fußballgucken untersagt. Manche Firmen vertreten dagegen eine andere Philosophie. Sie setzen darauf, dass gemeinsames Mitfiebern gut ist für Motivation und Betriebsklima. Zu dieser Minderheit gehört Osborne Clarke.
Es ist Mittwoch, der 5. Juni, sieben Minuten nach Drei. Im Fernsehen läuft das zweite Vorrundenspiel der Deutschen Mannschaft gegen Irland. Es ist die 81. Minute, immer noch steht es 1:0 für das deutsche Nationalteam. Da hält es wohl kaum einen der Anwälte an seinem Platz, vermuten wir. Und starten einige Testanrufe. Michaela Fischer, Personal Assistant von Managing Partner Stefan Rizor ist nicht am Platz, die Mailbox meldet sich. Durchwahl bei ihrem Chef. Fehlanzeige. Andreas Imping? Ebenfalls nicht am Platz. Auch Jan Pohle, Klaus Bast, Burkhard Bruns und Matthias Terlau melden sich nicht. Alle Anrufe landen bei der Zentrale, wo Stepanka Stepanek die Stellung hält. Michaela Fischer, die kurz darauf ans Telefon geht, bestätigt die Vermutung: "Die sitzen zwischen Bergen von Pizza und gucken Fußball."
Fußball bei Pizza und Softdrinks.
"Wir waren bestimmt 25", berichtet
später der Rechtsanwalt und Steuerberater Ralf Schlößer, der auch
dem deutschen Managing Board von OC angehört. "Wir hatten eine
gute Mischung von Sekretärinnen, Anwälten, Referendaren und
Praktikanten. Und gute Stimmung." Mehr als die Hälfte der 44
Mitarbeiter zählenden Belegschaft der Kölner Kanzlei drängte sich
vor der eigens installierten Projektionswand. IT-Mann Rouven van
Dort hat für die notwendige Ausstattung gesorgt: Ein PC mit
TV-Karte, angeschlossen an einen Beamer, der das Spielgeschehen
im Großformat an die gegenüberliegende Wand projizierte.
Ganz ähnlich im Frankfurter Büro. Dort steht ein Fernseher
in der Küche, für die Verpflegung ist immer ein anderer Kollege
zuständig. "Passend zum Spiel gibt es Weißwürste, Brezeln, süßen
Senf sowie Guiness und Kilkenny", informierte Anwalt Peter Bert
in einer vormittäglichen Rundmail seine Kollegen. Er sponserte
beim Spiel Deutschland gegen Irland Speisen und Getränke. Bei der
Begegnung Argentinien gegen England am vergangenen Freitag waren
dann die englischen Mitarbeiter dran.
Bei Abpfiff arbeitslos.
Diese Praxis ist keineswegs
selbstverständlich. Nach einer Umfrage der
Wirtschaftswoche verbieten etwa 80 Prozent der Unternehmen
ihren Mitarbeitern, während der Arbeitszeit WM-Spiele anzusehen.
Die bayerische Arbeitsministerin Christa Stewens (CSU) warnte die
WM-Fans gar: Fußballgucken am Arbeitsplatz sei ein
Kündigungsgrund. "Am Arbeitsplatz muss gearbeitet werden",
bekräftigte Stewens die harte Linie der Mehrzahl der deutschen
Unternehmen. Begriffe wie Arbeitsklima oder Motivation tauchten
in ihrer Argumentation indes nicht auf. Old-Economy-Denken in
Reinkultur.
Arbeitsrechtlich ist die Sache klar, bestätigt Andreas
Imping, der Leiter des Kölner Arbeitsrecht-Teams: "Es besteht
kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Auszeit." Er rät
Arbeitgebern jedoch dazu, fußballinteressierten Mitarbeitern die
Möglichkeit zum Anschauen der Spiele einzuräumen. Dies motiviert
und verhindert, dass die Arbeitnehmer die Spiele heimlich
verfolgen, argumentiert Imping ganz rational - obwohl ihn eine
große Leidenschaft mit dem Fußball verbindet. Zwischen 1987 und
1995 kickte er beim SC Jülich 1910 in der Oberliga und blieb auch
mit seiner Dissertation dem grünen Rasen treu: Sein Thema "Die
arbeitsrechtliche Stellung des Fußballers zwischen Verein und
Verbänden" sorgte für eine Brücke zwischen Passion und
Profession. Der Mittelfeldspieler setzt auf Motivation und
Gemeinschaftserlebnis. "Es gibt wohl kaum eine bessere
Möglichkeit, den Teamspirit auszubauen, als gemeinsam vor der
Großleinwand ein Fußballspiel zu sehen."
Verbindung zwischen Passion und Profession.
In einer Kanzlei, in denen die Besprechungsräume nach englischen Fußballstadien benannt und die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter vom Fußballvirus infiziert sind, wäre auch kaum eine andere Lösung denkbar. Doch auch die Kehrseite ist klar. WM-Gucken sei nicht nur die ideale Chance bei Mitarbeitern positiv aufzufallen, mahnt Kanzleimanager Stefan Rizor in einer Rundmail zum Thema, sondern auch "eine ideale Gelegenheit, gegenüber den Mandanten den Eindruck zu erwecken, wir hätten jedes Interesse an ihnen verloren". Wie auf dem Rasen gibt es im Unternehmen deshalb klare Spielregeln: Zentrale und Team müssen Bescheid wissen, damit die Mitarbeiter auch im Clubraum erreichbar sind. Zu diesem Zweck wurde eine eigene Telefonleitung installiert. Und die zusätzlich zur Mittagspause dort verbrachte Zeit "ist bitte in gewohnter Manier nachzuholen". Kontrolliert wird das indes nicht. "Wir haben das immer so gehalten, dass wir den Mitarbeitern dieses Maß an Vertrauen entgegenbringen", sagt Ralf Schlößer. "Und das funktioniert auch."
Anrufen zwecklos.
Die Notleitung in den Pantherclub zu testen, haben wir uns aus verständlichen Gründen verkniffen. Stefan Rizor indes versichert, dass das System funktioniert. "Kollegen, die ein wichtiges Telefonat erhalten, unterbrechen die Fernsehübertragung", betont er. "Der Mandant hat bei aller Fußballbegeisterung Vorrang." Nur in der 93. Spielminute jedoch hätten die Reaktionen auf das irische Gegentor und den verpassten direkten Einzug ins Achtelfinale vermutlich jedes Klingeln übertönt. Aber zu der Zeit saßen die meisten Mandanten wahrscheinlich selbst vor dem Fernseher.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Das Bild oben zeigt Ralf Schlößer, der dem deutschen Managing Board von Osborne Clarke angehört.
Die nächste Folge erscheint kommenden Montag.
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Jörg Bausch, Arbeitsrechtler bei Osborne Clarke in Frankfurt, war bei Bloomberg TV Studiogast in einer Diskussionsrunde zum Thema Fußball während der Arbeitszeit. Das Video kann hier www.osborneclarke.de heruntergeladen werden.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.