Der "Giro" und die Work-Life-Balance
Im Zeichen des Panthers: die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke | Folge 15 |
Es gibt ein Leben nach der Arbeit. Freizeit, Freunde, Familie sind wichtig, dürfen nicht unter dem Job leiden. Kurz: Die Work-Life-Balance muss stimmen. Aber wie lässt sich das mit einem hoch getakteten Job in Einklang bringen, in dem alles schnell gehen muss und die Agenda oftmals von unvorhersehbarem Termindruck bestimmt wird?
23 Uhr. Es ist ein
lauer Maiabend, eine der ersten Nächte des Jahres, in denen man
auch spät noch draußen sitzen kann. Oder durch die Straßen
flanieren. Der Kölner Stadtteil Lindenthal ist ein grünes
Wohnviertel mit vielen Gärten, deren üppiges Grün sich wie ein
Dach über die Gehwege wölbt. Ein wenig wie ein Fremdkörper erhebt
sich das erste Bürohochhaus der Kölner City über das Viertel und
den angrenzenden Friedhof Melaten. In der Glasfassade des
zwölfstöckigen Büroriegels spiegelt sich der Nachthimmel. Nur
oben, im elften Stock, ist ein Fenster hell erleuchtet.
Arbeitet da etwa noch jemand? Stefan Rizor, der bei einem
Glas Wein eben noch über Work-Life-Balance gesprochen hatte, will
es wissen. Mit dem Lift in den elften Stock, ein kurzes Anklopfen
an der Glastür. Überrascht blickt Nicolas Gabrysch seinen Chef
an, ein wenig blass im Gesicht, müde nach einem 14-stündigen
Arbeitstag. "Was machst du denn noch hier, willst du nicht nach
Hause gehen?", blafft Rizor - mit einem Quäntchen Ironie in der
Stimme - den jungen Anwalt an. Der Vertrag müsse fertig werden,
rechtfertigt sich der, und morgen sei anderes zu tun. "Gut, wenn
etwas fertig werden muss", lenkt Rizor ein. "Aber mach nicht mehr
zu lange", ermahnt er den jungen Kollegen. Der indes blieb noch
ein wenig. Um 23:37 speicherte er seine Datei ab, am nächsten
Morgen erschien er pünktlich um Neun zur Teambesprechung.
Teamübergreifende Zusammenarbeit.
"Es ging um vier Vertragsentwürfe
über die Zusammenlegung mehrere Autohäuser, die eine Kooperation
eingehen wollen", berichtet Nicolas Gabrysch. Der 30-Jährige ist
seit knapp eineinhalb Jahren Anwalt und arbeitet von der
Kanzleigründung an bei Osborne Clarke im Team Gesellschaftsrecht.
Der Job, den er spätabends erledigt, ist ein Beispiel für die
Zusammenarbeit zwischen den fachbezogenen Teams: Uwe Brossette
ist Spezialist für das Vertriebsrecht im Autohandel. Dort sorgt
bekanntlich die von Wettbewerbskommissar Mario Monti mit der
Änderung der Gruppenfreistellungsverordnung durchgesetzte
Liberalisierung des Autohandels für erheblichen Zündstoff. "Es
geht um eine völlige Neustrukturierung des Autohandels",
erläutert Brossette, "die Vertriebsstrukturen werden sich
dramatisch ändern." Im schlimmsten Fall bleibt die Hälfte der
derzeit 45.000 Händler auf der Strecke. Viele von ihnen passen
sich vorausschauend schon jetzt an die neue Rechtslage an, die im
Herbst in Kraft treten wird. Zum Beispiel durch die Bildung
größerer Einheiten, wie in den von Nicolas Gabrysch vorbereiteten
Verträgen.
Solche Firmenzusammenschlüsse sind das Metier der
Gesellschaftsrechtler. Für den Vertriebsrechtler Brossette wäre
es zeitaufwändig, sich in die Konstruktion der neuen
Unternehmensstruktur einzuarbeiten. Statt dessen gibt er den Fall
einem Anwalt aus dem Team "Corporate". Für den ist das indes
zusätzliche Arbeit, die er mit seinen anderen Aufgaben in
Einklang bringen muss. Termingerecht. "Ob ich das übernehmen
kann, ist meine Entscheidung, die ich vertreten muss", sagt er.
"Wenn das etwas ganz Spannendes ist, nehme ich auch in Kauf, dass
ich mal länger bleibe. Aber ich sage es auch offen, wenn ich zu
viel auf dem Schreibtisch habe." Einen klassischen
Freizeitausgleich für die zusätzlich geleisteten Stunden nimmt er
nicht. "Wir führen keine Kartei, das pendelt sich ein." Wenn
weniger Arbeit ist, geht er mal früher oder gönnt sich eine
längere Mittagspause.
Mehr arbeiten - für die Karriere.
Mehrarbeit ist für ihn auch Zeit,
die man in die eigene Karriere investiert. "Man darf sich nichts
vormachen", betont Gabrysch, "wenn man als Berufsanfänger Erfolge
erzielen will, dann muss man am Anfang eben mehr arbeiten."
Durchschnittsjurist oder erfolgreicher Anwalt - die Entscheidung
hat er für sich getroffen.
Gabrysch scheint seine Work-Life-Balance im Griff zu haben.
Aber Stefan Rizor sieht durchaus die Gefahr, dass übereifrige
Junganwälte sich zu schnell verschleißen. "Es macht sicher auch
mal Sinn, an das Limit zu gehen", sagt er, "aber es darf nicht zu
einem Dauerzustand werden." Teamleiter und Unternehmensführung
müssten darauf achten, dass gerade die jungen Kollegen nicht zu
viel arbeiteten. Kontrolle im positiven Sinn. Und auch eine Frage
der Unternehmenskultur, die einen Ausgleich zwischen Arbeit und
Leben schaffen muss. Wenn sich die Arbeit manchmal in die
Freizeit hineinfrisst, muss manchmal eben auch während der Arbeit
Zeit für anderes bleiben.
Wie zum Beispiel an jenem Montag vor einer Woche, an dem
Nicolas Gabrysch länger arbeitete. Da startete mittags in der
Kölner Innenstadt die zweite Etappe des Giro d'Italia - die
Aachener Straße entlang stadtauswärts, nur 300 Meter von den
Osborne-Clarke-Büros entfernt. "Der Giro" war ein Thema in den
Teambesprechungen am Vormittag, die eigens vorverlegt wurden,
damit die Mitarbeiter dabei sein konnten. Und nicht wenige
standen an der Strecke, als das Fahrerfeld samt imposantem
Begleittross vorbeirollte, zumal mit dem
Team Coast der Rennstall eines Mandanten am Start
war.
Was die Fußball-WM mit der Work-Life-Balance zu tun hat.
Derweil laufen bereits die
Planungen für die Fußball-WM. Im Panther-Club, dem
Gemeinschaftsraum im elften Stock, wird ein Beamer installiert,
eine weiße Wand dient als Projektionsfläche. Da die Spiele nur
tagsüber live zu sehen sind, bleibt den fußballbegeisterten
Osborne-Clarke-Leuten nichts anderes übrig, als kostbare
Arbeitszeit dafür zu opfern und die Zeit später hereinzuarbeiten.
Vermutlich wird an den Spieltagen der deutschen Mannschaft im
zehnten und elften Stock des Nachts nicht nur ein hell
erleuchtetes Fenster zu sehen sein. Außer die deutsche Elf
spielte so schlecht, dass man lieber arbeitet, statt sich das
Trauerspiel anzusehen.
Die nächste Folge erscheint am kommenden Montag.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.