Modern, wohlkalkuliert und durchgestylt

Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 9 |

Von Winfried Kretschmer

Eat-what-you-kill. Die Anwaltsbranche tickt noch wie zu Zeiten Buddenbrooks. Der einzelne Anwalt akquiriert Mandanten, bearbeitet die Fälle selbst und kassiert das Honorar. Die Sozietät Osborne Clarke setzt dagegen. Ihr Motto lautet: effizientes Wissensmanagement statt Einzelkämpfertum.

Wie wohl eine erklärtermaßen "moderne, zukunftsgerichtete Anwaltssozietät" aussieht, fragen wir uns im Lift nach oben in den zehnten Stock des Bürohauses. Von dem Vorraum zwischen den Fahrstühlen führt eine Glastür direkt in den Empfangsraum. Der erste Eindruck ist orange. Leuchtend orange sind die Schalensessel der Sitzgruppe vor der Fensterfront im linken Teil des Raumes, orange strahlt auch die Wand hinter der geschwungenen Empfangstheke. In großen, silbernen Lettern prangt darauf der Firmenschriftzug, den die Silhouette eines Panthers aus knallig-orangefarbenem Metall zum Firmenlogo ergänzt. Zweiter Eindruck: modern, wohlkalkuliert und durchgestylt. Der dunkelgraue Teppichboden, die moderne Kunst an den Wänden - hier ist alles aufeinander abgestimmt und signalisiert gediegene Modernität. Und die Empfangsdame hinter dem Tresen lächelt freundlich.

Videokonferenz im "Wembley".


Was wollen die Osborne-Anwälte denn nun anders machen? Das fragen wir Stefan Rizor, den Managing Partner des Kölner Büros. Rizor ist hochgewachsen und gertenschlank, dunkelblond und ein wenig blass, wobei man nicht weiß, ob dies von seinem Typ oder von seinem Arbeitspensum herrührt. Kurz vor der Kanzleieröffnung im vergangenen Sommer ist er 40 geworden. Im Schnelldurchgang führt er durch die Besprechungsräume, die allesamt nach englischen Fußballstadien benannt sind - eine kleine Reminiszenz an das britische Mutterland. "Wembley" ist der größte, natürlich. Hier sind die Wände blau, in der Mitte des Raumes ein ovaler Besprechungstisch mit knapp 20 Plätzen, in der Ecke ein Fernsehgerät mit Großbildschirm. "Das ist die Videokonferenzanlage", wehrt Rizor den Gedanken ab, das Gerät stehe für Fußballübertragungen bereit. Nein, per Videokonferenz könne man direkt mit den anderen Büros in Bristol, Frankfurt, London oder im Silicon Valley konferieren. Mandanten könnten so auch Verhandlungen führen, ohne lange Reisen in Kauf nehmen zu müssen. "Die Mobilität und Flexibilität, die der Mandant erwartet, ist nur dadurch zu erreichen, dass wir uns effizient organisieren und modernste Technik einsetzen", sagt Rizor. Handy und Laptop gehören daher zur Grundausstattung der Anwälte. E-Mail und eine moderne Telefonanlage mit Voice-Mail und Rufumleitung sind ebenfalls Standard.

Althergebrachtes auf dem Prüfstand.


Effiziente Organisation qua moderner Technik und eine strikte Kundenorientierung sind zwei Eckpunkte im Osborne-Clarke-Konzept, das Rizor in einem langen Gespräch im "Old Trafford" erläutert. Er spricht schnell und erzählt ausführlich und detailgenau, vermeidet die Zuspitzung und sucht die Argumente abzuwägen, stets darauf bedacht, die Komplexität der Dinge nicht niederzubügeln. Seine Vision? "Dass es gelingen muss, eine zukunftsgerichtete Anwaltssozietät zu begründen, in der es gleichwohl möglich ist, ein menschliches Miteinander zu schaffen", ist sein erster Satz. Ein Satz wie aus der Pistole geschossen. Und es ist kein Wunder, dass er gleich darauf auf die ethische Dimension des Anwaltsberufs zu sprechen kommt. Die Ethik ist der eine Dreh- und Angelpunkt im Denken Rizors, und das heißt für ihn ganz konkret: ein menschlicher Umgang miteinander. Der zweite lässt sich wohl am besten mit Modernität umschreiben, wenn man darunter versteht, auf der Höhe der Zeit zu sein. Die ethische Verpflichtung des Anwaltsberufs bleibe identisch, sagt er, "aber die Herausforderungen durch die sich wandelnden Arbeitswelten ändern sich", konstatiert er. Darauf gelte es, eine zeitgemäße Antwort zu finden. "Wir stellen das Althergebrachte auf den Prüfstand und sind bereit, uns auf Neues einzulassen." Vieles von dem, was Osborne Clarke umzusetzen versucht, ist keineswegs neu oder revolutionär, jedenfalls wenn man die jungen Unternehmen der neuen Wirtschaft zum Maßstab nimmt. Jedoch: Gemessen an einer Branche, in der immer noch der residierende Einzelanwalt die vorherrschende Organisationsform ist, ist es eine kleine Revolution.

Teams statt Einzelkämpfertum.


"Wir stürzen das Bild, das man von einer Anwaltskanzlei hat, doch ziemlich um", sagt Rizor selbstbewusst. Die ist in Deutschland überwiegend noch so organisiert wie zu Buddenbrooks Zeiten: Der einzelne Anwalt akquiriert Mandanten, bearbeitet die Fälle selbst und kassiert das Honorar. Auch große Sozietäten sind nach diesem, wie es unschön genannt wird, "Eat-what-you-kill-Prinzip" organisiert. Klar, dass dies nicht nur eine Spezialisierung blockiert, sondern auch bewirkt, dass die Fälle nicht unbedingt bei dem am besten qualifizierten Anwalt im Hause landen. Kurz: Einzelkämpfertum statt effizientes Wissensmanagement. Bei Osborne Clarke hat man mit diesem auf Personen ausgerichteten Konzept ziemlich radikal gebrochen. "Wir haben fachlich ausgerichtete Teams, die sich nicht gegeneinander abschotten, sondern miteinander vernetzt sind", erläutert Rizor. "Diese sind keine Insellösungen, sondern Kompetenzzentren, die aufeinander angewiesen sind." Fünf solcher Teams gibt es, die jeweils von einem "Head of Department" geleitet werden: Gesellschafts- und Steuerrecht, Technologie Medien Telekommunikation (TMT), Handelsrecht, Immobilienrecht und Arbeitsrecht. Die Teamleiter werden von den Anwälten ihres Fachbereichs gewählt und sind für Organisation, Akquisition und Cash Flow verantwortlich. An den wöchentlichen Teambesprechungen nehmen alle Mitarbeiter des Fachbereichs - die Rechtsanwälte, ihre persönlichen Assistentinnen und die Auszubildenden - teil. Dass die frühere Sekretärin nun als "Persönliche Assistentin", abgekürzt PA, firmiert, ist mehr als sprachliche Maniküre oder Anpassung an das englische [pi:ei]. Wenn Rizor sagt, seine Assistentin reiche dem Anwalt "nicht mehr den Kaffee, sondern die Vollmacht", dann verweist das auf ein verändertes Aufgabenprofil. Die Tippse, die nur Diktate abtippt, ist passé. Gefragt sind "nicht in erster Linie flinke Finger, sondern ein flinker Verstand". Controlling, Lektorieren und Formatieren gehören zu den Aufgaben der Assistentinnen. "Das hebt nicht nur das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter, sondern stärkt auch ihre Autorität und ihren Willen, sich selbst fortzubilden", ist Rizor überzeugt.

Faktor Mensch.


Alles neu? Osborne Clarke wirkt ein wenig so, als hätte ein Reengineerer mit Feuereifer die klassische deutsche Kanzlei von Grund auf neu entworfen: mit flachen Hierarchien, transparenten Strukturen und Prozessen, kundenorientiertem Denken. Der Unterschied ist nur, dass die jungen Anwälte ihr Konzept selbst entwickelt haben. Worin für ihn der entscheidende Unterschied zu anderen Kanzleien liege, fragen wir Rizor irgendwann gegen Ende des heutigen Gesprächs. "Das Wichtigste sind die flachen Hierarchien, die Teamfähigkeit und die ganz andere Rollenverteilung als in einem hierarchisch strukturierten Unternehmen", sagt Rizor, "und das menschliche Miteinander, die Solidarität untereinander." Da ist er wieder, der Faktor Mensch.

In der nächsten Folge geht es darum, wie man für das menschliche Unternehmenskonzept die passenden Menschen findet.
Zur Übersicht aller erschienenen Folgen.

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

www.osborneclarke.de

© changeX [08.04.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

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