Unruhe im Markt
Eine Fortsetzungsreportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 3 |
Die Gründung der Sozietät Osborne Clarke fällt in eine turbulente Zeit der Fusionen, Abspaltungen, Neuformierungen unter den großen Wirtschaftskanzleien. Nach langem Dornröschenschlaf bekommen die deutschen Anwälte nun den Wettbewerb in aller Härte zu spüren. Zwei Jahre reichten, um den Markt vollkommen umzukrempeln.
Ein Tag im Februar 1998. Bei Georg F.
Thoma im deutschen Büro der Wallstreet-Kanzlei Shearman &
Sterling in Düsseldorf klingelt das Telefon. Thoma ist einer der
Fusionsspezialisten der Branche. Nach der deutschen
Wiedervereinigung hat er einige größere Sanierungsprojekte über die
Bühne gebracht, Bitterfeld, Leuna, Buna, die Laubag, beinahe den
gesamten Bergbau- und Energiesektor der ehemaligen DDR. Aber der
"Deal", der Thoma an jenem Februartag angetragen wurde, sprengte
alle Dimensionen: Im Auftrag von Daimler-Boss Jürgen Schrempp
sollte der Wirtschaftsanwalt den Zusammenschluss des deutschen
Autogiganten mit dem US-Konzern Chrysler managen, die größte Fusion
der Industriegeschichte. Daimler plus Chrysler - das ergab einen
Konzern mit (nach damaligem Wert) 220 Milliarden Mark Umsatz, 145
Milliarden Mark Börsenkapitalisierung und 421.000 Beschäftigten,
"die erste Welt AG", wie die
Süddeutsche Zeitung schwärmte.
Als Thoma das juristisch höchst reizvolle Mandat offeriert
wurde, waren gerade eine Handvoll Leute in der Stuttgarter
Konzernzentrale in den Deal eingeweiht, kurz zuvor erst hatte
Schrempp in den USA Chrysler-Chef Bob Eaton für den Plan gewonnen.
Schon wenige Tage später traf der Anwalt in New York ein und begann
mit der Arbeit. Zusammen mit einem Dutzend Anwälten, Beratern und
Investmentbankern feilte er an der Konstruktion des neuen
Weltkonzerns. An der Ausformulierung des Vertragswerks waren später
dann fünf Anwaltsfabriken beteiligt. Mehr als 30 Juristen saßen bei
den Beratungen mit am Tisch - mehr Leute als in den beiden
Konzernzentralen von dem Plan wussten. Die Wirtschaftsanwälte waren
die unbestrittenen Stars dieser Geheimoperation, die wegen ihrer
perfekten Vorbereitung zum Vorbild für spätere Elefantenhochzeiten
wurde.
Schock für die Anwaltsbranche.
Der Zusammenschluss der beiden Autogiganten war ein Vorgang, "der in der Industriegeschichte seinesgleichen sucht", schrieb das Handelsblatt. Nicht nur in der Industrie wirkte die Fusion wie ein Paukenschlag, geschockt war auch die deutsche Anwaltsbranche. Besonders geschockt war die Mannheimer Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz, die als "Hauskanzlei" bislang die Rechtsgeschäfte des Stuttgarter Konzerns besorgt hatte, bei dem Mega-Deal aber schlicht übergangen worden war. Schon in den 1920er Jahren hatte die Sozietät die Fusion von Daimler und Benz betreut und galt seither als so etwas wie die ausgelagerte Rechtsabteilung des deutschen Vorzeigekonzerns. Doch nun hatte Schrempp kurzerhand eine andere Kanzlei verpflichtet - und zudem die deutsche Niederlassung einer amerikanischen Law Firm. Deren "Deal-Kompetenz" in der Abwicklung komplizierter Fusionsvorhaben und ihre internationale Ausrichtung zählten mehr als langjährige Bindung. Der Schock saß tief in der Branche. Und er traf sie ziemlich unvorbereitet.
Das Ende des Dornröschenschlafes.
Auf einem weitgehend abgeschotteten
Heimatmarkt konnten die teutonischen Advokaten in relativer Ruhe
ihrem Gewerbe nachgehen. Als niedergelassene Anwälte residierten
sie hinter schweren Eichenholztischen und legitimierten ihr Tun
gern mit einem öffentlichen Interesse: "Organ der Rechtspflege"
seien sie, kein schnöder Wirtschaftsbetrieb. Ein restriktives
Standesrecht schützte den Markt: Die Eröffnung ausländischer
Niederlassungen war ebenso verboten wie die Werbung für die
Kanzlei, Erfolgshonorare und Erfolgswerbung sind es noch. "Die
deutschen Kanzleien verfügten über keine Managementstrukturen in
ihrer Kanzleiorganisation. Hier waren die Engländer um Jahre
voraus", berichtet Tobias Freudenberg, stellvertretender
Chefredakteur des Fachblattes
Anwaltsreport und selbst Rechtsanwalt. In Großbritannien
und in den USA geben hingegen die großen "Law Firms" den Ton an:
schlagkräftige und bestens organisierte Großkanzleien mit nicht
selten mehreren hundert Anwälten, die wie Unternehmen geführt
werden und mit ihren Filialen in zahlreichen Ländern vertreten
sind.
Als Anfang der Neunzigerjahre amerikanische Großkanzleien
ihre Fühler nach Deutschland ausstreckten, maß die Branche dem
nicht allzu viel Bedeutung bei. So sorgte es für keine besondere
Aufregung, als Georg F. Thoma im Jahr 1991 mit sechs Anwälten aus
seiner früheren Kanzlei den deutschen Ableger der amerikanischen
Wallstreet-Kanzlei Shearman & Sterling aufbaute. Erst als
Thoma die Daimler-Chrysler-Fusion managte, wendete sich das
Blatt.
DaimlerChrysler als Globalisierungsfanal.
DaimlerChrysler, das war eine Art
Globalisierungsfanal. Schlagartig machte die Fusion deutlich,
dass rein national ausgerichtete Wirtschaftskanzleien im
Globalisierungspoker schlechte Karten hatten.
"Wirtschaftsrechtskanzleien müssen mit der Mandantschaft den Weg
in die Globalisierung gehen", fasste der Branchenführer Kanzleien
in Deutschland die Lehre aus dem Ereignis zusammen. Erste
internationale Bande hatten die Großen der Branche bereits zuvor
geknüpft, meist in Form lockerer "Alliances", in denen sich die
"Best Friends" dies- und jenseits des Kanals zusammenfanden. Nach
dem Jahr 1998 steigerte sich das Bemühen um Internationalisierung
zu einem wahren Fusionsfieber, das im Sommer 2000 seinen
Höhepunkt erreichte.
Der Fusionsreigen begann mit einem Donnerschlag: Im
September 1999 gab das renommierte deutsche Anwaltsbüro Pünder
Volhard Weber & Axster bekannt, dass sie mit einer englischen
und einer amerikanischen Sozietät zu einem transatlantischen
Großkanzlei mit beinahe 3.000 Juristen zusammenschließen werde.
Aus der Fusion mit Roger & Wells (USA) mit 550 und Clifford
Chance (GB) mit 2.100 Anwälten sollte die, wie es hieß, "größte
wirklich global zusammengeschlossene Kanzlei der Welt"
entstehen.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Mit einer Illustration von Limo Lechner.
© changeX [25.02.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.