Jariva hat sich dabei ganz bewusst für die Gesellschaftsform der Genossenschaft entschieden: "Wir wollten gemeinsam Synergien nutzen. Und der Lebenszweck einer Genossenschaft ist nun mal, ihre Mitglieder wirtschaftlich zu fördern", sagt Vorstand Feige. Genau das ist es auch, was Genossenschaften von anderen Rechtsformen wie zum Beispiel der Aktiengesellschaft unterscheidet: Zwar haben beide Gesellschaftsformen Aufsichtsrat und Vorstand sowie als höchstes Gremium die Generalversammlung, die bei der AG allerdings Hauptversammlung heißt. Und bei beiden Gesellschaftsformen erwirbt man Geschäftsanteile, die bei der AG Aktien heißt. Ende der Gemeinsamkeiten.
Genossenschaften funktionieren anders.
Der essentielle Unterschied
zwischen AG und eG (eingetragene Genossenschaft) besteht darin,
wie der Anteilseigner seinen Einfluss ausüben kann. Bei der AG
ist das Stimmrecht an die Aktie gekoppelt. Den größten Einfluss
hat also, wer die meisten Aktien besitzt. Gut erkennbar ist
dieses Prinzip bei den Hauptversammlungen der großen deutschen
Aktiengesellschaften. Ein Beispiel: 6.000 Kleinaktionäre stimmen
bei einer Beschlussfassung mit nein. Ein Aktionär aus der ersten
Reihe stimmt mit ja. Der Versammlungsleiter verkündet daraufhin,
dass der Beschluss angenommen wurde. Der Herr aus der ersten
Reihe vertritt eine Gesellschaft, die 91 Prozent der Aktien hält.
Genossenschaften funktionieren anders - wie, das ist im
Genossenschaftsgesetz genau festgelegt: Mehrere Menschen
beteiligen sich finanziell an einem Unternehmen; jeder zahlt eine
Einlage, deren Höhe durch die Satzung festgelegt wird. Dafür ist
kein Notar notwendig, nur eine Beitrittserklärung. Die
Geschäftsanteile der Genossenschaften werden nicht gehandelt.
Eine Genossenschaft ist damit so gut wie unverkäuflich. Wer kein
Mitglied mehr sein will, erhält, sofern es keine Verluste gab,
nach einer Austrittserklärung sein Geld wieder. Außerdem gilt der
Grundsatz, dass jedes Mitglied
eine Stimme hat, unabhängig von der Höhe der finanziellen
Beteiligung. Wie keine andere Rechtsform bieten
genossenschaftliche Unternehmen daher die Möglichkeit der
Mitwirkung, Mitgestaltung und Mitverantwortung, sie gehören ihren
Mitgliedern. Darin liegt auch der Grund für das besonders
positive Image, das Genossenschaften genießen. Sie gelten
gemeinhin als solide, seriös und bodenständig. Die Zahlen
untermauern das noch: Die Insolvenzquote liegt bei sensationellen
0,4 Prozent.
Aber Genossenschaften sind kein Geschäftsmodell für
weltfremde Idealisten: Sie sind zwar ähnlich demokratisch
strukturiert wie Vereine, im Gegensatz zu diesen arbeiten sie
aber in der Regel weder gemeinwirtschaftlich, noch sind sie
gemeinnützig tätig. Sie dienen den eigenen wirtschaftlichen
Interessen. Als einzige Unternehmensform hat die Genossenschaft
einen klar umrissenen gesetzlichen Auftrag, nämlich die Förderung
ihrer Mitglieder. Es geht nicht um reine Geldvermehrung und
möglichst hohe Renditen. Vielmehr ist das Ziel, im
Zusammenschluss mit anderen etwas zu bewirken und eine gewisse
Marktmacht aufzubauen. Dank dieser Strukturen könnte die als
altmodisch verschriene eG bald eine Renaissance erleben: Denn
auch wenn sie ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat und viele
zunächst an ihre Großeltern denken, wenn sie Genossenschaft hören
- eigentlich ist die eG die ideale Rechtsform für das
Internetzeitalter.
Masse von Märkten statt Massenmarkt.
Denn heute sind Unternehmen
gezwungen, ihre Geschäftsstrategien zu überdenken: Bislang war
aufgrund des hohen Produktionsaufwandes bei vergleichsweise
geringer Reichweite Massenproduktion gefragt. Demgemäß zielt die
Marketingstrategie vieler Unternehmen vor allem darauf ab,
möglichst viele Menschen anzulocken und die Massen zu
kontrollieren. Dabei sehen sie sich als Nabel der Welt: Zu ihnen
möge der Kunde doch bitte kommen, so er etwas kaufen will.
Ungefähr derart selbstherrlich ist in Deutschland auch die
Rechtsform der GmbH angelegt: Oben der Chef, und alle tun, was er
sagt.
Die neue Wirtschaft funktioniert anders, wie der
amerikanische Medienexperte Jeff Jarvis in seinem aktuellen Buch
am Beispiel von Google, einem der erfolgreichsten Unternehmen
unserer Zeit, deutlich macht. Ein Beispiel, das sich ohne
weiteres auch auf andere Unternehmen übertragen lässt. Jarvis'
These: Das Internet ist kein Massenmarkt, sondern ermöglicht - im
Gegenteil - eine Masse von Märkten, weil es eine preiswerte,
dezentrale Produktion erleichtert und einen zielgerichteten
Vertrieb ermöglicht. Auf diese Weise bietet das Web Raum für die
Anbieter von Nischenprodukten, ganz egal, ob das jetzt seltene
Klaviernoten, Maßkleider für Übergrößen oder spezielle
Kaffeesorten sind. Dennoch erreichen die Hersteller nicht selten
einen Weltmarkt mit Kunden aus allen Kontinenten, ganz einfach,
weil ihnen eine gute Platzierung bei Google oft schon reicht, um
permanent neue Kunden zu gewinnen.
Entscheidend dabei ist allerdings die Vernetzung und
Kommunikation mit aktiven wie auch potenziellen Kunden, aber auch
mit Konkurrenten. Darauf basiert im Wesentlichen die ganze
Werbestrategie: Da die Unternehmen kleine, überschaubare
Zielgruppen haben, können sie diese viel genauer ansprechen - zum
Beispiel über Fachmedien und bei Fachveranstaltungen, aber vor
allem auch im direkten Dialog: Gerade weil der Nischenanbieter
Spezialist auf seinem Gebiet ist, kann er maßgeschneiderte
Leistung in sehr guter Qualität, mit überzeugendem Service und
fachlich hervorragenden Know-how anbieten. Dadurch gewinnt er
schnell das Vertrauen der Kunden in seine Kompetenz - und mehr
noch: Die Kunden helfen dem Unternehmen auch, Produkte und
Service zu optimieren, weil sie auf Fehler aufmerksam machen und
Verbesserungsvorschläge einbringen. Ein System des offenen
Austauschs und gesunden Miteinanders also, von dem alle
profitieren. Übrigens gilt das auch für die so genannten
Konkurrenten: Denn wer sich durch spezialisierte Produkte oder
Dienstleistungen von anderen absetzt, braucht Konkurrenz nicht zu
fürchten, sondern kann mit Mitbewerbern kooperieren, um neue
Kunden zu gewinnen oder gemeinsam zu agieren.
Die Jariva eG ist nur ein Beispiel für ein Unternehmen, das
bereits erfolgreich nach diesen neuen Wirtschaftsmaximen
funktioniert. Und gerade kleine, ambitionierte Unternehmen mit
speziellen Nischenprodukten kommen in letzter Zeit wieder öfter
auf die Rechtsform der eG zurück: "Die meisten unserer
Mitglieds-Genossenschaften sind in den letzten fünf Jahren
gegründet worden", sagt Burchard Bösche vom Vorstand des
Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften e.V.
Da ist etwa die Bremer Energiehaus-Genossenschaft eG, 2006
gegründet, um ihren Mitgliedern preiswert Strom und Gas zu
liefern. In Aalen schlossen sich im gleichen Jahr 162 Cineasten
zusammen, um in einem Programmkino Filme abseits des Mainstreams
zu zeigen - mittlerweile hat die Programmkino Aalen eG über 520
Mitglieder. Und die Missing Link Versandbuchhandlung eG ist eine
Importbuchhandlung, die sich auf das Besorgen englischsprachiger
Titel spezialisiert hat. Die Liste ließe sich beliebig
fortsetzen: In Deutschland gibt es rund 7.000 Genossenschaften
mit rund 20 Millionen Mitgliedern, darunter Namen wie Edeka,
Rewe, Coop, diverse Wohnungsbaugenossenschaften, Volks- und
Raiffeisenbanken sowie die verschiedensten Genossenschaftsarten
im Dienstleistungsbereich.
Kapital kommt von den Mitgliedern.
Trotz dieser idealen
Voraussetzungen kann man von einem Genossenschaftsboom in
Deutschland kaum sprechen. Schuld daran trägt auch die
Bürokratie. Schon die Gründung einer eG ist mit erheblichem
Aufwand verbunden, der den Gründungsaufwand einer
Kapitalgesellschaft noch übersteigt. Zunächst muss eine
Gründungsprüfung durchlaufen werden, die mehrere Wochen dauert
und mehr als 3.000 Euro kosten kann. Außerdem muss die eG
Mitglied eines genossenschaftlichen Prüfungsverbandes werden, was
in der Regel einen Grundbeitrag von mehreren Hundert Euro pro
Jahr kostet. Danach muss sich die Genossenschaft alle zwei Jahre
einer gesetzlichen Prüfung unterziehen, wofür 4.000 Euro oder
auch mehr anfallen können. Und es geht weiter mit den Pflichten:
Die Genossenschaft muss sich als Formkaufmann, ganz egal wie groß
sie ist, in das Handelsregister eintragen lassen. Das ist mit
weiteren Kosten verbunden: Die eG muss Mitglied der Industrie-
und Handelskammer werden und Körperschaftssteuer zahlen. Außerdem
ist sie zur Bilanzierung verpflichtet. Dafür wiederum benötigen
die Genossenschafter Buchhaltungskenntnisse, die in kleinen
Unternehmen oft nicht vorhanden sind. Also muss man auch einen
Steuerberater beauftragen, der weitere Kosten verursacht. Dieser
erhebliche Aufwand macht die Genossenschaft in Deutschland gerade
für kleine Unternehmen, die ja eigentlich von der Rechtsform
besonders profitieren sollten, unrentabel.
Das hat auch noch einen anderen Grund: Zwar ist die
Genossenschaft - gerade in der momentanen Finanzkrise - auch
deshalb attraktiv, weil bei fehlender Finanzierung durch die
Banken die Einlagen der Mitglieder, also die Geschäftsanteile und
das eventuell erhobene Eintrittsgeld, eine gute Alternative
darstellen, das Kapital für das Unternehmen bereitzustellen. Doch
entsprechend gering ist dieses Kapital, wenn die Genossenschaft
nur wenige Mitglieder hat. Wächst die Genossenschaft aber, indem
immer mehr Mitglieder hinzu kommen, wächst auch der
organisatorische Aufwand. Sprich, die Handlungsfähigkeit der eG
steht und fällt mit dem Engagement ihrer Mitglieder, das häufig
auch ehrenamtlich erbracht wird.
Potenzial ungenutzt.
Nicht zuletzt lässt auch die
staatliche Förderung dieser eigentlich sehr zukunftsfähigen
Rechtsform hierzulande zu wünschen übrig: Denn Fördermittel
werden in der Regel vergeben, um Unternehmer zu unterstützen,
also Menschen, die persönlich ein Unternehmen leiten. Das können
Einzelunternehmer sein, persönlich haftende Gesellschafter von
Personengesellschaften oder Geschäftsführer einer GmbH. Für
Genossenschaften ist diese Förderung in der Regel uninteressant,
da die Vorstandsmitglieder ja gar nicht selbst mit erheblichem
Kapital an der Finanzierung des Unternehmens beteiligt sind. Eine
spezielle Förderung für Menschen, die sich mit gemeinsamen
wirtschaftlichen Interessen zusammenschließen, gibt es hingegen
nicht. Die Folge: Das enorme Potential, das in der
Genossenschaftsidee liegt, bleibt ungenutzt.
In anderen Ländern gibt es im direkten Vergleich erhebliche
Unterschiede: In Italien beispielsweise, wo Genossenschaften
traditionell stark vertreten sind, existieren mehr als 70.000
Genossenschaften. Jährlich werden dort über 2.000 neue
Genossenschaften gegründet - Tendenz steigend. Und selbst in der
kleinen Schweiz gibt es seit fünfzig Jahren quasi konstant rund
13.000 Genossenschaften. Dass die Situation hier so viel besser
ist, liegt daran, dass man im Ausland den zukunftsweisenden Wert
dieser Rechtsform längst erkannt hat. In Italien beispielsweise
können Genossenschaften günstige Kredite von ihren Mitgliedern
aufnehmen und ihre Gewinne steuerfrei in die Rücklagen
einstellen. Daher verfügen die italienischen Genossenschaften
über ein weitaus höheres Kapital als ihre Genossen in
Deutschland. Auch in Spanien und Portugal existieren solche
Steuererleichterungen. In der Schweiz und vielen anderen Ländern
müssen kleine Genossenschaften keine oder nur geringe
Prüfungskosten bezahlen. Und in Schweden gibt es 25 öffentlich
finanzierte Gründungsagenturen für neue Genossenschaften.
Das zeigt, dass das Genossenschaftsrecht in Deutschland
dringend vereinfacht werden muss, damit diese Rechtsform gerade
auch für kleine Unternehmen wieder attraktiv wird und diese sich
damit den wirtschaftlichen Veränderungen anpassen können. Erste
Bestrebungen dazu gibt es bereits, wie Burchard Bösche erklärt:
"Wir setzen uns als Zentralverband der deutschen
Konsumgenossenschaften derzeit verstärkt dafür ein, das
umständliche Prüfungsverfahren gerade für kleinere
Genossenschaften erheblich zu vereinfachen."
Simone Janson ist Fachautorin für
Berufs- und Bildungsthemen und ehemalige Redakteurin zweier
Zeitschriften der Bundesagentur für Arbeit. Sie hat mehrere Bücher
bei Verlagen wie Eichborn und Redline Wirtschaft veröffentlicht,
schreibt als Journalistin unter anderem für stern.de und Financial
Times Deutschland und bloggt unter www.berufebilder.de Survival-Tipps und Hintergründiges zur Arbeitswelt. Sie schreibt
als freie Autorin für changeX.
Mit einer Illustration von Limo Lechner.
Quellen:
Burchard Bösche: "Warum brauchen wir eine 'Kleine
Genossenschaft'"?, in:
WIS direkt. Analysen und Konzepte zur Wirtschafts- und
Sozialpolitik, herausgegeben von der Friedrich Ebert Stiftung
Bonn, Dezember 2007 (online unter:
http://library.fes.de/pdf-files/wiso/05026.pdf)
Jeff Jarvis:
Was würde Google tun? Wie man von den Erfolgsstrategien des
Internet-Giganten profitiert, Heyne Verlag München.
Website des Zentralverbandes deutscher
Konsumgenossenschaften mit zahlreichen Informationen und
Positionspapieren:
http://www.zdk-hamburg.de/
Website der Jariva eG mit zahlreichen Informationen zum
Aufbau von Genossenschaften:
http://www.jariva.de/
© changeX [14.05.2009] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 14.05.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Ausgewählte Beiträge zum Thema
Was würde Google tun? Das neue Buch von Jeff Jarvis. zur Rezension
Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion - das neue Buch von Holm Friebe und Thomas Ramge. zur Rezension
In Erwerbsnischen im Internet wächst eine andere Arbeitskultur - eine Reportage von Gundula Englisch. Folge 6 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt. zum Essay
Wikinomics. Revolution im Netz - das neue Buch von Don Tapscott und Anthony D. Williams. zur Rezension
Im neuen Web gilt nur ein Prinzip: mitmachen - ein Gespräch mit Don Tapscott über die wunderbare Welt der Wikinomics. zum Interview
The Long Tail. Der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft - das neue Buch von Chris Anderson. zur Rezension
Autorin
Simone JansonSimone Janson ist Fachautorin für Berufs- und Bildungsthemen und schreibt als freie Autorin für changeX.
weitere Artikel der Autorin
Spinnen für den Erfolg - wie man eine gute Geschäftsidee findet. Ein Essay von Simone Janson zum Essay
Spinnen für den Erfolg - wie man eine gute Geschäftsidee findet. Der Essay von Simone Janson als Audio zum Audioessay
Spinnen für den Erfolg - wie man eine gute Geschäftsidee findet. Ein Essay von Simone Janson (Folge 2) zum Essay