Das Problem ist nur: Viele Deutsche wollen das offenbar gar nicht. Sie tun alles, dass ausländische Arbeitskräfte nach wie vor draußen bleiben, wenn die guten Jobs vergeben werden. Das beste Beispiel ist der öffentliche Dienst. Der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund beträgt hier gerade einmal drei Prozent. Einen Ausländer in einer öffentlichen Verwaltung anzutreffen gleicht fast schon der Suche nach den letzten Berggorillas. Fragt man Bürgermeister und Spitzenbeamte, warum sie interkulturell kompetente, zweisprachige Mitarbeiter nicht einstellen wollen, erntet man fragendes Stirnrunzeln. Die kulturelle Vielfalt in Rathäusern beschränkt sich offenbar auf die Frage, ob man Wessi, Ossi oder Bayer ist. Deutsch bleibt eben Deutsch!
Das fast identische Bild zeigt sich bei der gesamten Erwerbstätigkeit. Die Zahl ausländischer Erwerbstätiger in Deutschland ist zwar seit 1991 um 15 Prozent gestiegen. Das Problem: Man findet sie immer weniger in angestellten Beschäftigungsverhältnissen, sondern immer häufiger in prekären und riskanten Arbeitsplätzen. So beträgt ihr Anteil an den Minijobs mittlerweile 10,5 Prozent, bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sind es hingegen nur noch 6,7 Prozent. Am schlimmsten trifft es die Frauen. Zwei Drittel von ihnen landen in unterbezahlten Jobs. Die Friedrich-Ebert-Stiftung weist darauf hin, dass "Menschen mit Migrationshintergrund wachsende Schwierigkeiten haben, sozial abgesicherte Arbeitsplätze beziehungsweise eine Erwerbstätigkeit mit ausreichendem Einkommensniveau zu erlangen". Hinzu kommt: Immer mehr Menschen mit ausländischem Pass werden arbeitslos. Wenn das kein Skandal ist: "Jede vierte Erwerbsperson mit ausländischem Pass ist in Deutschland offiziell arbeitslos registriert." Das sagen die Autoren einer neuen Diversitätsstudie, die in der Öffentlichkeit bisher ziemlich unbeachtet blieb. Sie haben dafür die Stadt Köln genauer unter die Lupe genommen: Der Anteil von Ausländern an der Gesamtzahl registrierter Arbeitsloser beträgt mittlerweile gut 30 Prozent. Bei den Festanstellungen sind es gerade einmal noch elf Prozent. Tendenz sinkend.
Ausgrenzung und Diskriminierung sind an der Tagesordnung.
Der eigentliche Skandal aber beginnt schon
viel früher - in Kindergärten und Schulen. Migrantenkinder in
Deutschland haben die schlechtesten Bildungschancen aller
wichtigen Industrieländer. Die OECD hat festgestellt, dass fast
50 Prozent der Migrantenkinder der zweiten Generation hierzulande
"so geringe Kenntnisse in Mathematik (vermittelt bekommen) haben,
dass sie auf dem Arbeitsmarkt nicht bestehen können". Und es
kommt noch schlimmer: Unter Schulabbrechern und jungen Leuten
ohne Berufsabschluss sind immer mehr Migranten anzutreffen. Der
so genannte "Ungelernten-Anteil" bei Türken zwischen 25 und 35
Jahren beträgt mittlerweile 57 Prozent. Und in den Berufen mit
Zukunft - zum Beispiel in der IT- und Medienbranche - haben sie
fast überhaupt keinen Zugang mehr.
Das Dilemma müsste eigentlich ein Blinder mit Krückstock
erkennen. Die deutsche Wirtschaft internationalisiert und
globalisiert sich immer mehr. Die dafür notwendigen Arbeitskräfte
rekrutiert sie aber in erster Linie unter den Deutschen, deren
Zahl aber künftig immer mehr abnehmen wird. Die Folge: Ohne die
Integration von Migranten und Ausländern schlittern wir offenen
Auges in ein riesiges Arbeitsmarktproblem. Und in eine
Diskriminierung, die bis hin zur Ausgrenzung und Marginalisierung
ganzer Bevölkerungsgruppen reicht.
Wir sind die Anderen. Die Anderen sind wir!
Das Management von kultureller
Vielfalt ist deshalb eine der großen Herausforderungen in den
nächsten Jahren. Da von politischer Seite mit wenig bis gar
keiner Hilfe zu rechnen ist, bedarf es einer verstärkten
Selbstorganisation in Unternehmen und Organisationen aller Art.
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Stuber fordert "mehr
Maßnahmen, die dazu führen, dass Unterschiedlichkeiten in und von
einer Organisation anerkannt, wertgeschätzt und als positive
Beiträge zum Erfolg genutzt werden". Wie aber gutes Diversity
Management funktioniert, steckt noch in den Kinderschuhen. Zwei
Dinge sind wichtig.
Der erste Schritt ist eine Veränderung unseres
Verständnisses von Diversität. Bisher basiert es auf dem
Grundsatz "Wir und die Anderen", in abgewandelter Form "Wir und
die Türken" oder "Wir und die Tschechen, Rumänen, Ukrainer ...".
In dieser Haltung bleiben die Anderen immer fremd. Mit der
fatalen Folge: Der Fremde bedroht zwangsläufig unsere
Arbeitsplätze. Das Fremde passt nicht in ein gutes, deutsches
Unternehmen.
Was Unsinn ist! Denn kulturelle Vielfalt
beginnt geradezu mit der Anerkennung und Einbeziehung der
"Eigenschaften, Verhaltensweisen und Talente" des Anderen. Wir
alle zusammen sind besser, weil wir mehr Kompetenzen zur Lösung
der Probleme anbieten können. Einzig und allein darum geht es im
Wirtschaftsleben. Auch wenn es die deutschen Dumpfbacken nicht
wahrhaben wollen: Kulturelle Vielfalt ist die wertvollste
Ressource für Unternehmen und Ökonomien in Zeiten der
Globalisierung. Jeder zählt, deshalb lautet das neue
Diversitätsmantra: Wir sind die Anderen. Die Anderen sind wir!
Das Management kultureller Vielfalt hat in Deutschland
jedoch wenig Tradition. Deshalb muss es in den meisten
Unternehmen noch etabliert und vor allem eingeübt werden. Dazu
müsste man überhaupt erst einmal wissen, was unter Cultural
Diversity zu verstehen ist. Es gibt derzeit vier Ansätze, die in
aufsteigender Form zu betrachten sind:
- Zugang für Minderheiten schaffen: Vor allem zu Arbeitsplätzen mittels Quoten- und anderen gesetzlichen Regelungen. In den USA wird dies beispielsweise durch eine Anti-Diskriminierungsgesetzgebung ermöglicht. Das Problem: In diesem Ansatz wird von Ausländern eine Anpassung an die Mehrheitskultur verlangt. Das spezifisch Andere ist wenig bis gar nicht erwünscht.
- Sich an Marktbedingungen anpassen: Ausländer werden eingestellt, um sich in deren Herkunftsgruppen ökonomisch besser zu präsentieren. Das Motto: Türken wissen besser, was Türken kaufen. Das Problem: Ausländer werden als Türöffner für Kundenmärkte funktionalisiert und teilweise missbraucht. Das spezifisch Andere wird einzig dem Geschäftsergebnis untergeordnet.
- Ressourcen nutzen: Im Mittelpunkt stehen die Fähigkeiten und Talente aller Mitarbeiter. Das Unternehmen begreift sich als lernende Organisation, das "weniger Normen und Ideale vorgibt, sondern vielmehr Mitarbeitern Raum schafft, ihre individuelle Persönlichkeit mit ihren sozialen und kulturellen Bezügen in die Organisation einzubringen". Das erfordert Offenheit gegenüber dem Neuen. Das spezifisch Andere ist für komplexe Problemlösungen erwünscht.
- Freiräume erweitern: Das Unternehmen ermutigt alle Mitarbeiter, "nicht nur die Unterschiedlichkeit anderer als Vorteil zu sehen, sondern auch die eigene Individualität zu leben". So nennt es die Deutsche Bank in ihrer Publikation "Global Diversity". Es geht folglich um die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Mitarbeiters und nicht mehr um die Förderung schwacher Mitarbeiter. Das Wohlbefinden des Mitarbeiters steht im Zentrum. Das spezifisch Andere darf dezidiert gelebt werden.
Um zu kapieren, wo man als Unternehmen auf
dieser vierstufigen Diversitätsskala steht, sollte man zunächst
eine Bestandsaufnahme vornehmen. Das geschieht in der Regel durch
Sichtbarmachung der personellen Diversität. Die Kernfragen
lauten: Welche Menschen (und Lebensstile) betreten jeden Tag
unsere Firma? Was wissen wir von ihnen? Sind wir überhaupt daran
interessiert, sie besser kennenzulernen, um im Sinne eines
progressiven Diversity Managements ihre Fähigkeiten und
Problemlösungskompetenzen besser zur Geltung zu bringen? Wollen
wir eine diversitätsorientierte Personalpolitik?
Im zweiten Schritt können dann interkulturelle
Problemfelder kritisch erörtert werden. Im Mittelpunkt steht die
Sichtbarmachung der Kommunikationsprobleme und -störungen, die
dann entstehen, wenn sich niemand um Cultural Diversity kümmert.
Was dabei herauskommen kann, zeigt folgendes Beispiel: Eine
chinesische Mitarbeiterin in einem Hotel, die wegen ihrer
besonderen Freundlichkeit und Mehrsprachigkeit überaus beliebt
war, wurde bei einer anstehenden Beförderung nicht
berücksichtigt. Ihre diesbezüglich großen Hoffnungen wurden also
nicht erfüllt. In der Folge wirkte sie zunehmend unmotiviert und
weniger leistungsbereit. Schließlich zog sie sich zurück, sprach
nicht mehr mit Kollegen und wirkte völlig in sich gekehrt.
Was tun? Im deutschen Normalfall würde man sie
wahrscheinlich entlassen. Wer weiß schon, dass Anerkennung durch
Vorgesetzte in China einen hohen Stellenwert im Berufsleben
genießt. Im vorliegenden Fall gelang es jedoch einem kundigen
Personalchef, die Enttäuschung der Mitarbeiterin zu verstehen und
sie konstruktiv aufzulösen. Er erweiterte einfach ihre
Zuständigkeit um eine bestimmte Aufgabe an der Hotelrezeption.
Mit mehr Verantwortung im Gepäck fand die chinesische
Mitarbeiterin schon bald wieder zu alter Stärke zurück.
Diversity Management ist stark im Kommen.
Wir müssen langsam begreifen, dass
in Zeiten der Globalisierung kulturelle Vielfalt der Schlüssel zu
mehr Wohlstand ist. Die Frage nach deutsch, weniger deutsch oder
überhaupt nicht deutsch ist für die Zukunft in Wirtschaft und
Gesellschaft unerheblich. In der höchsten Stufe von kultureller
Vielfalt geht es darum, Selbstentfaltung und Selbstbestimmung
jedes Einzelnen zu ermöglichen. Egal, woher sie kommen und gehen.
Die Moderation in diesen Möglichkeitsräumen nennt man Cultural
Diversity Management. Moderne Unternehmen haben damit längst
begonnen. Ihre Personalentwicklung hat sich darauf eingestellt.
Eine Befragung von 200 Unternehmen in vier EU-Ländern brachte
eindeutige Ergebnisse: Durch Diversity Management konnte das
Image des Unternehmens verbessert werden - sagen 69 Prozent.
Durch Diversity Management konnte hoch qualifiziertes Personal
gewonnen und an das Unternehmen gebunden werden - sagen 62
Prozent. Durch Diversity Management konnte die Motivation und
Leistungsfähigkeit der Beschäftigten gesteigert werden - sagen 60
Prozent.
Auch an Universitäten herrscht Aufbruchstimmung.
Witten/Herdecke bildet seit kurzem zum Master of Arts in
Diversity Management aus. Und Gertraude Krell, die als
Professorin an der FU Berlin lehrt und die wichtigste deutsche
Wissenschaftlerin zum Thema ist, sagt: "Kompetenz im Umgang mit
einer vielfältigen Belegschaft wird im Zuge des demografischen
Wandels und der Globalisierung zunehmend wichtiger. Hinter
Diversity Management steckt nicht nur der Versuch, ein besseres
Arbeitsklima zu schaffen, sondern auch und vor allem, den
ökonomischen Erfolg zu steigern."
Wie gesagt: Solange Politik und Verwaltung im Herzen
ausländerfeindlich sind, müssen fortschrittliche Unternehmen und
Organisationen beginnen, multikulturelles Wissen zu fordern und
zu fördern. Alle Akteure brauchen Zugang und Integration, damit
sie auch morgen noch im globalisierten Wohlstandsspiel mithalten
können.
Peter Felixberger ist Geschäftsführer von changeX.
Mit Fotografien von Lena Felixberger.
Literaturtipps:
Diversität nutzen,
Waxmann Verlag, Münster 2006,
178 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-8309-1726-0
www.waxmann.com
Michael Stuber / Stephan Achenbach / Almut Kirschbaum:
Diversity,
Luchterhand Verlag, Köln 2004,
272 Seiten, 39 Euro,
ISBN 3-472-05396-8
www.luchterhand-fachverlag.de
Béatrice Hecht-El Minshawi / Jürgen Engel:
Leben in kultureller Vielfalt. Managing Cultural Diversity,
Kellner Verlag, Bremen/Boston 2006,
110 Seiten, 14.90 Euro,
ISBN 3-927155-51-9
www.kellner-verlag.de
© changeX [08.02.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 08.02.2007. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Ausgewählte Beiträge zum Thema
Unternehmen entdecken ihre Mitarbeiter und damit sich selbst - ein Essay von Peter Felixberger. zum Essay
Wir und die Anderen - das neue Buch von Elisabeth Beck-Gernsheim. zur Rezension
Ein Gespräch mit Prof. Meinhard Miegel über die demographische Zukunft Deutschlands. zum Interview
Ein Buch über die Lebensumstände ausländischer Mitbürger. zur Rezension
Deutschland steht vor der Wahl: Länger arbeiten oder die Tore zum Ausland öffnen. zum Interview
Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.
weitere Artikel des Autors
System Error – Ulrich Thielemanns Kritik der freien Marktwirtschaft. zur Rezension
Uwe Jean Heusers Ratschläge: Was aus Deutschland werden soll. zur Rezension
Horst W. Opaschowskis Plädoyer für einen erweiterten Wohlstandsbegriff: Wohlstand neu denken! zur Rezension