Das waren Zeiten. Lange vorbei, häufig besungen. Homosexualität hatte in der Antike keinen verdorbenen Beigeschmack. Intime Partnerschaften wurden unter Männern wie unter Frauen zelebriert. Sex diente nicht nur der Fortpflanzung und dem Fortbestand der Familie, sondern auch und ausdrücklich der Lust und dem Vergnügen. Er war keineswegs nur auf Ehe und Familie beschränkt. Kein Wunder, dass nackte Körper, männliche zumal, allgegenwärtig waren. Athen war gepflastert mit Statuen, die der Nacktheit huldigten. "Die Liebe eines Mannes zu einem Mädchen oder einer Frau war für die Athener nicht etwas völlig anderes als die Liebe zu einem Jungen oder Mann. Sie waren einfach zwei Formen sexuellen Verlangens, von denen eine für bestimmte Menschen in gewissen Momenten ihres Lebens geeigneter sein konnte. In den Augen der meisten Griechen unterschied sich ein Mann, der einen Knaben liebte, in seinem Wesen nicht von einem heterosexuellen Mann", schreibt Charles Hupperts in seinem Beitrag zur Homosexualität in der Antike. Hupperts' Essay ist Teil einer Sammlung, die der australische Autor Robert Aldrich, Professor für Europäische Geschichte an der Universität Sydney, soeben auf Deutsch veröffentlicht hat: die erste globale Geschichte der gleichgeschlechtlichen Liebe.
"Eine vertraute Angelegenheit."
Ein wohltuender Band. Mit großer
Sorgfalt gehen die Autoren den verschiedenen Formen
gleichgeschlechtlicher Beziehungen in den vergangenen
Jahrhunderten auf den Grund - ob in Europa oder Afrika, Asien,
den USA oder dem Orient. Dabei lassen sie keinen Zweifel daran,
dass es Homosexualität zu allen Zeiten und in allen Kulturen gab
und gibt. Mal unterdrückt, sanktioniert, verfolgt, mal kulturell
überformt, verborgen in eng zugewiesenen Nischen, mal gänzlich
heimlich. Wer sich durch diesen Band schmökert, begegnet einigen
Überraschungen.
Zum Beispiel dem homoerotisch angehauchten
Freundschaftskult unter Männern im sechsten Jahrhundert, Zeit der
austrischen Merowingerkönige, der sich reichlich in flammender
Dichtkunst niederschlug und erst im 13. Jahrhundert von den
Lehren der Scholastiker in die Defensive getrieben wurde. Formen
der Sexualität, die aus der Zweckbestimmtheit der Heilsgeschichte
ausbrachen, hatten nun keinen Platz mehr. Der Kampf gegen die
"naturwidrige Unzucht" ist eröffnet.
Zum Beispiel der Befund neuerer Forschungsarbeiten, der die
lange vertretene Ansicht widerlegt, dass vor 1900 sexuelle
Beziehungen zwischen Frauen kaum vorstellbar gewesen seien. Das
Gegenteil ist richtig. So war es durchaus anerkannt, dass Frauen
sexuelle Befriedigung brauchen, dass "sexuelle Aktivität für ihre
Gesundheit unentbehrlich" sei und "Mangel an Sex zur auszehrenden
Bleichsucht oder Melancholie" führen würde. "In diesem
Zusammenhang ging man ganz selbstverständlich davon aus, dass
Frauen ... sich einander zuwendeten", schreibt die Autorin Laura
Gowing. Sogar die Vermählung zwischen zwei Frauen war in der
frühneuzeitlichen Kultur "eine vertraute Angelegenheit".
Zum Beispiel die vielen Formen gleichgeschlechtlicher
Erfahrungen im 18. und 19. Jahrhundert, in denen Gelegenheitssex
zwischen Männern und Jugendlichen in ganz Europa verbreitet war,
in einer Zeit, in der die meisten Männer ausschließlich mit
anderen Männern arbeiteten und lebten, in der Familienmitglieder,
Arbeitskollegen oder völlig Fremde immer wieder das Bett
miteinander teilten. Nicht zufällig warnte ein englischer
Reisevers von 1770 humorvoll vor den Gefahren, die in einem
Gasthaus lauern: "Beachte diese Regel: Zieh nie die Hose aus, des
gesunden Schlummers versuch dich zu enthalten, sonst wirst du
zehn zu eins in deinem Schlaf gebumst." Auch homosexuelle
Subkulturen gab es zu jener Zeit zuhauf, ob in Rom, St.
Petersburg, Berlin oder Stockholm, "wo verdorbene Männer mit
einer Vorliebe für Analverkehr für wenig Geld Befriedigung finden
können", wie es in einem französischen Pornoroman von 1784 heißt.
Auch wenn gleichzeitig im Europa der frühen Neuzeit das Gesetz
für Sodomie (Homosexualität) die Todesstrafe vorsah, gewöhnlich
durch ein Ende auf dem Scheiterhaufen. So schrieb in dieser Zeit
ein französischer Jurist: "Die Strafe für Sodomie kann gar nicht
hart genug sein, denn es gilt, ein Verbrechen zu sühnen, das die
Natur erröten lässt."
Zum Beispiel die gängigen Formen der Homosexualität unter
Männern im islamischen Kulturkreis, in dem Homosexualität
grundsätzlich streng verboten ist. Dennoch: "Homosexualität
fungiert als Stütze einer von Narzissmus geprägten Männlichkeit.
Der islamische Mann gerät nicht in Konflikt mit seiner Identität,
solange er Sex mit einem Mann, einer Frau oder einem Knaben hat
und dabei die aktive Rolle einnimmt. Penetration ist der
entscheidende Akt, um den sich die arabische Erotik dreht. ...
Darin sieht diese Kultur einen manifesten Ausdruck von
Überlegenheit, die mit den gesellschaftlichen Rollen des
Jugendlichen und des Erwachsenen völlig im Einklang steht."
Passivität dagegen zerstört die Männlichkeit unwiderruflich.
"Alle Ausdrücke für den passiven Mann drücken große Verachtung
aus. Da es keinen Raum für die soziale Identität passiver
Homosexueller gibt, müssen sie ihre Beziehungen ganz im Geheimen
ausleben."
Homosexualität hat immer schon zum Menschen gehört.
Natürlich, dieses Buch erzählt zu Recht viel von Ausgrenzung, Verurteilung, Verfolgung, ob auf dem Scheiterhaufen, im Konzentrationslager oder unter fundamentalistischen Regimen der Gegenwart. Es zeigt, welche Gefahr davon ausgeht, das Modell sexueller Normalität einer x-beliebigen Gruppe auf andersartige Bevölkerungsteile zu übertragen, sei es auf Basis von religiösen Geboten, angeblichen Naturwahrheiten oder falsch verstandener Familienwerte. Das ist richtig und wichtig. Doch am spannendsten ist dieses Buch dort, wo es zeigt, wie sehr Homosexualität, ob bei Männern oder Frauen, schon immer zum Menschen gehört hat.
Robert Aldrich (Hrsg.):
Gleich und anders.
Eine globale Geschichte der Homosexualität,
Murmann Verlag, Hamburg 2007,
384 Seiten, 36 Euro,
ISBN 978-3-938017-81-4
www.murmann-verlag.de
Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.
© changeX Partnerforum [02.02.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.