Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage. Doch eine mögliche wirft Klaus Doppler ins Spiel: Die andere Perspektive fehlt. Die Perspektive derjenigen, die geführt werden: der Mitarbeiter. Also dreht Doppler den Spieß um und beschreibt Führung aus der Sicht derer, die mit den Führungskräften klarkommen müssen. Das fällt ihm nicht schwer, schließlich trainiert er seit 30 Jahren Manager und begleitet Veränderungsprozesse in Unternehmen. In Hunderten von Gesprächen und Beobachtungen von Menschen, die führen, und von Menschen, die mit der Führung, der sie ausgesetzt sind, Probleme haben. Diese Erfahrungen sind die Ressource, aus der er schöpft. Daraus destilliert der Psychoanalytiker ein Konstrukt: den typischen Mitarbeiter. Das ist der Kunstgriff, der dieses Buch so besonders macht. "Sich innerlich auf den Stuhl und in die Lage derer zu versetzen, denen die Führungsmaßnahmen gelten. Eine ungewohnte, aber alles entscheidende Perspektive. Die Perspektive des so genannten Mitarbeiters, der seine Erfahrungen mit Führung reflektiert. Der Erkenntnisgewinn, die mögliche Generalisierung folgt sozusagen als volkstümliche Ableitung aus dem Kant'schen Imperativ: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinen anderen zu!"
Mangel an Freundlichkeit, Zuwendung und Vertrauen.
Doppler versetzt sich in die Rolle
eines fiktiven Angestellten, der seinen Vorgesetzten analysiert
und seine Beobachtungen in einem Tagebuch festhält. Innerer
Dialog, April 1988. "Was ich an Ihnen geradezu hasse: Ihre
Ironie, Ihren Zynismus, Ihren Sarkasmus, die ganze Arroganz der
Macht, die sich darin widerspiegelt. Ich fühle mich klein
gemacht, gedemütigt, wie am Nasenring vorgeführt. Meine einzige
Reaktion: ohnmächtige Wut im Bauch. ... Ist Ihnen eigentlich
klar, was Sie damit anrichten? Umgekehrt: Wisst ihr, was ihr in
Wahrheit bewirken könntet, wenn ihr uns mit etwas mehr
Freundlichkeit, Zuwendung und Vertrauen begegnen würdet? Wenn ihr
nicht nur Produktqualität fordern, sondern dazu selbst
Begegnungsqualität bieten würdet?" Klaus Doppler lässt den
fiktiven Mitarbeiter nicht an diesem Punkt stehen. Er schickt ihn
durch fünf Phasen einer Entwicklung, die von der beinah
hasserfüllten Wut auf "die da oben", die vermeintlich an allem
schuld sind, über stückweise Relativierungen und Reflexionen,
Versuchen der Selbsterkundung und zunehmender Verwirrung bis zum
Ausstieg reicht. Die Kritik des Mitarbeiters an dem als unnahbar
empfundenen Chef weicht einer Nachdenklichkeit, die es ihm
erlaubt, ihn realistischer zu sehen.
Letztes Wochenende im April 2006. "Ich fand es früher
erstrebenswert, mich mit dem Unternehmen, in dem ich arbeite und
einen Großteil meines Lebens verbringe, voll zu identifizieren.
Die Verhältnisse haben sich geändert und damit auch meine
Einstellung. Das Unternehmen beschäftigt mich, solange es mich
brauchen kann, und wird sich von mir trennen, wenn es keinen
entsprechenden Nutzen mehr von mir erwartet. Es hat etwas Zeit
gebraucht, mich mit dieser Entwicklung abzufinden."
Innerer Monolog eines fiktiven Angestellten.
Klaus Dopplers Ansatz ist
erfrischend. Ebenso anregend ist der lockere Lesespaziergang
durch den inneren Monolog des Mitarbeiters, auf dem man ihn über
Jahre hinweg begleitet. Am Ende steht "eine Art von
Abgeklärtheit, die auf der Basis zunehmenden Wissens gleichzeitig
zunehmende Verwirrung zulassen kann und trotzdem nicht in
Verzagtheit endet." Dieser Spaziergang bietet eine Fülle
wichtiger und typischer Betrachtungen aus der Praxis im
Doppelspiel Führung - Mitarbeiter. Bewusst hangelt sich Doppler
nicht an einem roten Faden entlang, liefert kein in sich
geschlossenes Buch mit einer klaren Systematik. Schade, denn so
interessant die Impressionen und Reflexionen des Geführten sind,
so sehr sie den Blick für die andere Perspektive schärfen - oder
man sich selbst wiedererkennt -, so sehr verliert sich der Leser
zuweilen in der additiven Vielfalt aneinandergereihter
Situationen. Das ist etwas ermüdend, der Blick fürs Wesentliche
gerät ins Schlingern. Auch scheint das Buch unvermittelt
abzubrechen. Die letzten Aufzeichnungen stammen vom ersten
Wochenende im Juli 2006. Sie enden im Nirgendwo. Ein kleines
subsumierendes Abschlusskapitel hätte der Lektüre gut getan.
Mit dem Tagebuch eines Betroffenen fordert Klaus Doppler
Manager auf, endlich mit ihren Mitarbeitern ehrlich zu
kommunizieren und so Vertrauen herzustellen und sie für eine
Partizipation zu gewinnen. Nur dann, so eine der Kernbotschaften,
gelingt es, gute Mitarbeiter auf Dauer zu halten.
Anja Dilk ist freie Redakteurin bei changeX.
Klaus Doppler:
Incognito.
Führung von unten betrachtet,
Murmann Verlag, Hamburg 2006,
174 Seiten, 19.50 Euro,
ISBN 3-593-37919-8
www.murmann.de
© changeX Partnerforum [10.10.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 10.10.2006. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Murmann Publishers
Weitere Artikel dieses Partners
Worauf es in der Klimakrise ankommt - ein Interview mit Claudia Kemfert zum Interview
Wie Unternehmen mit Komplexität besser zurechtkommen zum Interview
Rock Your Idea - das Ideenbuch von Martin Gaedt zur Rezension
Zum Buch
Klaus Doppler: Incognito. Führung von unten betrachtet. . Murmann Verlag, Hamburg 1900, 174 Seiten, ISBN 3-593-37919-8
Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon
Autorin
Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.