Die Konzernwerte, so die Idee der AutoUni-Verantwortlichen, sollten von außen kritisch durchleuchtet werden. Im Diskurs mit Vor- und Querdenkern, die dem Unternehmen ehrlich sagen, was davon zu halten sei. So entstand eine siebenteilige Vortragsreihe mit "unerwarteten Zugängen, irritierenden Erkenntnissen, überraschenden Einsichten und neuen Einblicken in Begrifflichkeiten, die alle zu kennen glauben". Auf Basis dieser Vorträge wurden dann im nächsten Schritt erweiterte Manuskripte für ein Buch angefertigt. Unter der redaktionellen Federführung von changeX-Geschäftsführer Peter Felixberger.
Sieben auf einen Streich.
Der Bremer Gehirnforscher Gerhard
Roth machte den Anfang. Sein Text über Höchstleistung ist ein
Glanzstück. Vor allem die Einsicht, dass Höchstleistung
ausschließlich das Ergebnis von intrinsischer Motivation sei. Wer
hingegen von oben oder außen zur Höchstleistung verdonnert wird,
wird selbige nie zurückgeben. Ebenso unumstößlich ist die
Einsicht, dass Intelligenz und Kreativität angeboren sind. Wer
also glaubt, jeden Mitarbeiter per Weiterbildung und Training zur
Höchstleistung trimmen zu können, irrt ebenso. Roth schreibt:
"Wir verändern uns nur in dem Maße, in dem unser Gehirn bereit
dazu ist. Einer der größten Irrtümer in der Erziehung und der
Personalführung ist es zu glauben, Menschen würden ihr Verhalten
dann ändern, wenn wir ihnen unsere logisch zwingenden Argumente
nur hinreichend deutlich vermittelt haben."
Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hansjörg
Bullinger, macht sich wie kein zweiter Gedanken über
Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Innovationen. In seinem
75-seitigen Essay erläutert er, warum Unternehmen, die den Mut
haben, sich ständig neu zu erfinden, erfolgreicher am Markt
operieren. Immer wieder die Grundlage des Erfolges hinterfragen
ist für Bullinger die Voraussetzung, um morgen überhaupt
überleben zu können. "Gerade in turbulenten Zeiten muss ein
Unternehmer den Akt der schöpferischen Zerstörung meisterhaft
beherrschen." Hinzu kommt, und Bullinger arbeitet das sehr genau
heraus, dass sich auch jeder Einzelne immer wieder neu erfinden
muss.
Der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze beschäftigt sich
mit dem Begriff Kundennähe. Sein Fazit lautet: Wer Kunden nahe
sein will, muss sie zunächst verstehen, und nicht nur versuchen,
sie quantitativ zu erfassen, um sie in ein Mengengerüst zu
bringen, also mit ihnen zu "rechnen". Der Kunde von morgen möchte
vom Konsum nicht immer nur getrieben sein, sondern verstanden
werden. Nur dann wird er kooperieren. Die Steigerungslogik des
Immer-mehr führt hingegen dazu, dass der Kunde am Ende des Tages
unverstanden in der Ecke liegt und sich abwendet.
Ralf Dahrendorf, einer der Meisterdenker der Gegenwart und
Mitglied des britischen Oberhauses, untersucht den Begriff
Verantwortung. Diese ist für ihn immer dann gegeben, wenn sie
langfristig ausgelegt wird. Verantwortung heißt aber auch, dem
anderen Freiraum für eigene Entscheidungen einzuräumen. Und damit
für Mut, Kreativität und Phantasie. "Verantwortung bedeutet, dass
dem Einzelnen ein breiter Spielraum des Ermessens gewährt und
dieser durch Vertrauen, nicht durch ständige Sanktionen
garantiert wird", schreibt Dahrendorf.
Managementautor Reinhard K. Sprenger provoziert mit seinen
Ausführungen über Nachhaltigkeit. Der Begriff sei eine
Junk-Food-Formulierung von Öko-Freaks, emotional geschwollen und
inhaltlich dürftig. Überdies ein Ablenkungsmanöver von den
eigentlichen Aufgaben. Die Rückbesinnung auf das
"Wurzelbewusstsein", auf Unternehmenskultur und Personalarbeit,
auf gute Produkte, Innovationen und verantwortliches Handeln sind
erste Schritte, Nachhaltigkeit neu zu definieren.
Wettbewerbsfähig sein ist nachhaltig. Mit Innovationen statt
Subventionen. "Von denen, die im Schutz leben, ist nichts zu
erwarten", zitiert Sprenger den deutschen Philosophen Martin
Heidegger.
Deutschlands bekanntester Soziologe ist Ulrich Beck. Sein
Beitrag "Kosmopolitisch denken, glokal handeln!" beschäftigt sich
mit dem Thema "Werte schaffen". Die These: In der neuen
Weltgesellschaft werden die Unterschiede lokal immer deutlicher.
"Was die Menschen scheidet - religiöse, kulturelle und politische
Unterschiede -, ist an einem Ort, in einer Stadt, immer öfter
sogar in einer Familie, in einer Biografie präsent." Überall
formatiert sich eine multiple Welten-Gesellschaft. Wie geht die
Wirtschaft damit um? Eben nicht mit der Diktatur der
McDonaldisierung und Vereinheitlichung der Welt, sondern, so
schlägt Beck vor, mit Weltoffenheit und Kosmopolitismus. In einer
grenzenlosen Welt ist die Anerkennung der kulturell Anderen
Voraussetzung jeglicher Kommunikation und Interaktion.
Schließlich der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg. Für
ihn entsteht Respekt vor allem durch die Art, wie wir miteinander
umgehen. Es ist immer das ehrliche Bemühen, den oder das Andere
in seinem eigenen Streben zur Geltung kommen zu lassen. Fragt
sich nur, warum so wenig Respekt herrscht. Zwischen den Kulturen
und zwischen den Menschen. Muschg zitiert den großen Dichter
Robert Walser mit den Worten: "Ich erlaube niemandem, sich so zu
benehmen, als kennte er mich." Daraus leitet Muschg den tiefsten
Grund für zwischenmenschlichen Respekt ab. "Wer den Nächsten als
unbekanntes Wesen behandelt, der lässt ihm zugleich seine
Freiheit und schreibt ihm nicht vor, wozu er sie zu gebrauchen
hat."
Der Präsident der Volkswagen AutoUni, Walther Ch. Zimmerli
zeigt in seinem abschließenden Beitrag, wie globale Unternehmen
in immer komplexeren, unübersichtlicheren Strukturen erfolgreich
handeln. Er plädiert für eine neue, wertorientierte Lernkultur,
die sich an Grundwerten ausrichtet und die Folgen ihres Tuns
beachtet. In diesem Sinne ist es Zimmerli letztlich gelungen, mit
allen anderen Autoren zusammen den Rahmen einer anderen und neuen
Wirtschaftskultur zu skizzieren. Eine, die auf Toleranz und
gegenseitiger Achtung basiert. Der humane Kapitalismus wird in
diesem Buch endlich auch hierzulande auf höchstem intellektuellen
Niveau diskutiert.
Peter Felixberger ist Publizist und Geschäftsführer von changeX.
Walther Ch. Zimmerli / Stefan Wolf (Hg.):
Spurwechsel.
Wirtschaft weiter denken,
Murmann Verlag, Hamburg 2006,
304 Seiten, 25 Euro,
ISBN 3-938017-64-3
www.murmann-verlag.de
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Walther Ch. Zimmerli / Stefan Wolf (Hg.): Spurwechsel. Wirtschaft weiter denken. Murmann Verlag, Hamburg 1900, 304 Seiten, ISBN 3-938017-64-3
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Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.