So spricht ein echter Entrepreneur - ein Unternehmer, der mit Mut, Kreativität und Leidenschaft Neues erschließt und erfolgreich in den Markt einführt. Nachzulesen ist Aeschlimanns Geschichte in einem jüngst erschienenen Buch, das dreizehn Schweizer Unternehmer vorstellt, die in den letzten Jahren zum "Entrepreneur des Jahres" gekürt wurden. Diesen Preis gibt es seit 20 Jahren, nicht nur in der Schweiz, sondern mittlerweile in vierzig Ländern der Welt. Eine internationale Unternehmensberatung hatte den Wettbewerb 1986 ins Leben gerufen, um die Öffentlichkeit auf innovatives Unternehmertum, sprich: Entrepreneurship, aufmerksam zu machen.
Heute gehört der damals noch recht exotische Begriff des Entrepreneurs zum gängigen Vokabular der Wirtschaft und der Wissenschaft. Es gibt bergeweise Literatur von oder für Unternehmensgründer. Es gibt allein in Deutschland mehr als 50 Lehrstühle für Gründungsforschung nebst unzähliger Beratungs- und Förderungsangebote. Und es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die kleinen und mittleren Unternehmen der Entrepreneure maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass die Wirtschaft wächst, der Wohlstand steigt und Arbeitsplätze geschaffen werden.
Keine Kultur der Selbständigkeit.
So weit, so gut. Gäbe es da nicht
eine weitere Neuerscheinung, nämlich den diesjährigen
Länderbericht Deutschland des "Global Entrepreneurship Monitors".
Das internationale Forschungsprojekt vergleicht jährlich mehr als
30 Länder hinsichtlich ihres Klimas für Unternehmertum und
Selbständigkeit. Und das ist hierzulande, so das Ergebnis der
Studie, nicht nur schlechter als in den Vorjahren, sondern auch
schlechter als in den meisten anderen Ländern. Auf den letzten
Rängen liegt Deutschland bei den Gründungschancen, bei der
gesellschaftlichen Wertschätzung von Unternehmertum und bei der
gründungsbezogenen Ausbildung.
In kaum einem anderen Land ist die Angst vor dem
unternehmerischen Scheitern so groß, ist die Selbständigkeit für
Hochschulabgänger so unattraktiv und der Grundtenor in Sachen
Entrepreneurship so pessimistisch wie in Deutschland. Das
vernichtende Fazit der Experten: Obwohl das Land im
internationalen Vergleich über eine sehr gute Förderinfrastruktur
verfügt, geht die Kultur der Selbständigkeit in Deutschland
derzeit gegen Null. Das will so gar nicht passen zu den
"Es-geht-wieder-aufwärts-Parolen", mit denen die Stimmungsmacher
der Nation das Image des Landes polieren und das Konsumklima
aufheitern wollen.
Und doch trifft das Urteil der Entrepreneur-Experten mitten
ins Schwarze, weil sie die Finger in eine Wunde legen, die
hierzulande oft und gerne mit dicken Trostpflastern zugekleistert
wird. Es geht um der Deutschen Hang zur kollektiven
Unselbständigkeit. Und ihrer damit einhergehenden Skepsis
gegenüber freiem Unternehmertum. Diese Grundhaltung ist nicht nur
tief im Bewusstsein der Gesellschaft verankert. Sie wird zudem
noch befeuert von einer Politik, die überreguliert,
überkontrolliert und ihre Bürger seit Jahrzehnten an die Kette
legt - erst fürsorglich, jetzt fordernd.
Und selbst im Wirtschaftsestablishment ist der beliebte Ruf
nach Selbständigkeit eher schnödes Lippenbekenntnis als echte
Leidenschaft. Schließlich läßt sich Macht und Kontrolle an
abhängig Beschäftigten viel besser ausüben als an freien
Entrepreneuren. Die viel beklagte deutsche Angestelltenmentalität
erklärt sich also nicht allein aus der Risikoscheu und der
Bequemlichkeit der Bürger, sondern auch aus einem politischen und
wirtschaftlichen System, dass seine Daseinsberechtigung aus eben
dieser unselbständigen Haltung zieht. Und deshalb selbstredend
kein echtes Interesse an einem Kultur- und Bewusstseinswandel
hat.
Subtile Gehirnwäsche.
Kein Wunder also, wenn hierzulande
die Abrichtung der Bürger zu braven Angestellten bereits in der
Schule beginnt. Da wird weisungsgetreues Abarbeiten von Aufgaben
eher belohnt als Kreativität und Eigeninitiative. Da werden
marktwirtschaftliche Kenntnisse bloß unter ferner liefen
vermittelt und das Thema Unternehmertum und Existenzgründung so
gut wie gar nicht. Wird dann den jungen Menschen im Laufe ihrer
Ausbildung auch noch gebetsmühlenhaft eingebläut, dass es auf dem
Arbeitsmarkt immer enger wird, ist es nicht verwunderlich, wenn
der Nachwuchs, insbesondere der akademische, dankbar in die
erstbeste Festanstellung flüchtet.
Diese Art von subtiler Gehirnwäsche wird noch forciert
durch ein gesellschaftlich fest verankertes und von den Medien
gern perpetuiertes Unternehmerbild, das wenig Vorbildhaftes
bietet. Ein Unternehmer, der erfolgreich ist, gilt in der
Öffentlichkeit schnell als Ausbeuter, Gierhals oder
Emporkömmling. Und einer, der scheitert, als verkrachte Existenz.
Überhaupt wird Erfolg durch persönliche Anstrengung, Kreativität,
Erfindergeist und Risikobereitschaft in Deutschland wenig
honoriert. Der leitende Angestellte oder Beamte im gehobenen
Dienst genießt immer noch eine höhere Wertschätzung, als der
clevere Self-made-man. Und seit die Ich-AG zur staatlich
geförderten Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit geworden ist,
verfestigt sich das urdeutsche Vorurteil, dass vor allem
derjenige selbständig wird, der es sonst zu nichts gebracht
hat.
Zuversicht und Lust auf Bewegung.
Laut offizieller Statistik liegt
die Quote der Selbständigen hierzulande bei knapp elf Prozent.
Eine Minderheit? Ja, aber was für eine: Ohne diese Midi-, Mini-
und Mikrounternehmen wäre das Land nicht überlebensfähig. Denn
sie verkörpern mehr als 99 Prozent aller deutschen Firmen und
beschäftigen mehr als 20 Millionen Menschen - fast 70 Prozent der
Erwerbsbevölkerung. Gerade die kleinsten dieser Unternehmen haben
im vergangenen Jahrzehnt ein Viertel aller neuen Stellen
geschaffen, während die Großkonzerne im gleichen Zeitraum 15
Prozent ihrer Arbeitsplätze abgebaut haben.
Aber die Impulskraft der Entrepreneure beschränkt sich
nicht nur auf den Arbeitsmarkt. Besonders aus den kleinsten und
jüngsten Firmen kommen die spannendsten Innovationen und die
besten Konzepte für Geschäftserfolg: selbstverantwortliche
Mitarbeiter, Leidenschaft für die Sache, größtmögliche Nähe zum
Kunden und Eroberung von Marktnischen. Entrepreneure, so haben
Wissenschaftler festgestellt, sind nicht nur erfolgreicher,
sondern auch zufriedener und sogar gesünder als Angestellte. Die
viel beklagte Selbstausbeutung der Selbständigen scheint wohl in
das Genre jener zahllosen Schauermärchen zu gehören, mit denen
die Hüter des ewig Gestrigen unentwegt die Angst der Bevölkerung
vor dem Wandel schüren. Der Preis für diese
Einschüchterungstaktik ist hoch. Er kostet nicht nur die globale
Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Zuversicht und die Lust
auf Bewegung, ohne die kein Mensch und keine Gesellschaft
entwicklungsfähig ist.
Selbstverständliche Selbständigkeit.
Entrepreneure sind schöpferische
Zerstörer des Status quo. Es sind Menschen, die gewohnte Bahnen
verlassen, sich auf Unsicherheit einlassen und etablierte
Strukturen aufbrechen. Es sind diejenigen, die dort Chancen
sehen, wo andere im Dunklen tappen. Und diejenigen, die wirklich
anfangen, etwas zu verändern, wenn auch oft nur in bescheidenem
Format. Das tut der Arbeitslose, wenn er die noch so riskante
Selbständigkeit der Opferhaltung des Hartz-IV-Empfängers
vorzieht. Das tut der Unternehmer der eigenen Arbeitskraft, der
sich lieber als kleiner Herr denn als großer Knecht verwirklicht.
Und das tut der Visionär, der mit unkonventionellen Ideen neue
Märkte schafft. Sie alle katalysieren jenen Wandel in Wirtschaft
und Gesellschaft, ohne den dieses Land keine Zukunft hat.
Aber Unternehmergeist braucht Stimulation und Ermutigung.
Das fängt in der Familie an und setzt sich fort über Ausbildung,
Freundeskreis, Partner, Vorgesetzte, Politiker, Wirtschaftsführer
und Medien. Es wird höchste Zeit, dass Selbständigkeit auch in
Deutschland als aussichtsreiche, wünschenswerte und
selbstverständliche Jobalternative gesehen wird. Und es wird
Zeit, dass Entrepreneure nicht nur Preise gewinnen, sondern zum
Vorbild für die nächste Generation avancieren. Ohne eine gelebte
Kultur der Selbständigkeit bleibt dieses Land lethargisch und
verdöst. Am Ende werden dann die Gehwege endgültig
hochgeklappt.
Gundula Englisch, Journalistin und Filmemacherin, arbeitet als freie Redakteurin für changeX.
Literatur:
Thierry Volery, Ev Müllner:
Visionäre, die sich durchsetzen.
Orell Füssli Verlag, Zürich, 2006
175 Seiten, 26,50 Euro
ISBN 3-280-05184-3
www.ofv.ch
Rolf Sternberg, Udo Brixy,
Jan-Florian Schlapfner:
Global Entrepreneurship Monitor (GEM), Länderbericht
Deutschland 2005.
Hannover/Nürnberg, März 2006
www.wigeo.uni-hannover.de
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Gundula EnglischGundula Englisch, Journalistin, Autorin und Filmemacherin, arbeitet als freie Autorin und Redakteurin für changeX.
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