Klatschdosen, Klatschlöcher, Plaudertaschen
Ein Buch über das angeblich beliebteste Hobby von Frauen - den Klatsch.
In ihrer phasenweise höchst lustvoll zu lesenden Dissertation erzählt Birgit Althans, wie der Klatsch bei der monotonen Wascharbeit der Frauen entstand, was das Kredit- und Versicherungswesen mit kaffeeklatschenden Männern zu tun hat und wie sehr die Protagonisten der "Humanisierung der Arbeitswelt" von weiblichem Klatsch irritiert wurden.
Klatsch! Ein ausdrucksstarkes Wort. Es entstand in vorindustriellen Zeiten, als die Frauen "schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit wuschen", die Intimsphäre Fremder "durchhechelten, durch die Mangel drehten" und ihnen "am Zeug flickten". Klatsch!, sausten ihre Waschpleuel auf die Bettlaken und Unterhosen, um Schmutz und Lauge herauszupressen. Klatsch!, bekamen alle diejenigen Abwesenden was zu hören, die Blut- und Spermaflecken hinterlassen hatten und damit Anlass zu Spekulationen über unsittlichen Lebenswandel gaben. Klatsch!, schlugen die Waschweiber ihre Röcke hoch und zeigten ihr entblößtes Vorder- oder Hinterteil, wenn ein Mann sich ungefragt dieser exklusiven weiblichen Öffentlichkeit nähern wollte.
Lustvolle Kompensation für monotone Arbeit.
Die jüngst erschienene Dissertation
Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit von
Birgit Althans lädt zu einer ausführlichen Expedition durch die
Geschichte des Klatschens ein, die zugleich auch eine Geschichte
der Arbeit ist. Das Tratschen, so ist dem Buch der Berliner
Erziehungswissenschaftlerin zu entnehmen, entstand als lustvolle
Kompensation für besonders monotone Arbeiten, die vor allem dem
weiblichen Geschlecht zugemutet wurden und werden. Wäschewaschen,
Flachshecheln, Sockenstopfen oder auch ermüdende
Fließbandarbeiten sind leichter zu ertragen, wenn frau nebenher
ordentlich ratschen kann.
Die Entstehung des Klatsches auf
den öffentlichen Waschplätzen machte es indes den Männern leicht,
ihn als spezifisch weibliche Angelegenheit abzutun.
"Klatschdosen", "Klatschlöcher", "Plaudertaschen" - in
abwertender Absicht wurden Frauen dabei mit Löchern und
Behältnissen gleichgesetzt, also mit ihrem Geschlechtsorgan.
Natürlich klatschen auch Männer gern, sie nennen es nur nicht so.
In langen historischen Ausführungen weist die Autorin nach, zu
welchen Tricks die bürgerliche Männerwelt griff, um ihr
miteinander Reden aus dem Verdacht des Klatsches und der
Irrationalität herauszuhalten. Entstand bei den Frauen der
Klatsch "aus der Arbeit", so schafften es die Männer, ihre
Kommunikation "als Arbeit" auszugeben.
Kaffeeklatsch - eine männliche Erfindung.
Ausgerechnet der berühmte
Kaffeeklatsch war ursprünglich eine rein männliche Angelegenheit.
Nachdem ein Kolonialhändler im Jahre 1652 den ersten Kaffee nach
London gebracht hatte, schossen dort zwischen 1670 und 1740 rund
2.000 Kaffeehäuser wie Pilze aus dem Boden - vorzugsweise rund um
die Börse. Am frühen Abend strömten die Briten in die Cafés und
besprachen dort Geschäfte, Politisches und natürlich auch den
neuesten Klatsch und Tratsch. Jeder Beruf und jede Partei hatte
ein eigenes Lieblingscafé: die Händler, die Geistlichen, die
Literaten, die Wissenschaftler, die Whigs und Tories. Im
Kaffeehaus des Walisers Edward Lloyd trafen sich bevorzugt
Seeleute, Reeder und Geschäftsmänner; aus den Neuigkeiten über
Schiffe und Handelsgüter, die dort erzählt wurden, entstand
zuerst die Zeitung "Lloyd News" und später die weltweit agierende
Seeversicherung Lloyds of London. "Der gleichzeitige Ausschluss
von Alkohol und von Frauen garantierte die Konzentration auf das
Wesentliche, auf Sachthemen, und schien von vornherein etwaigen
Überschreitungen einen Riegel vorzuschieben", schreibt Birgit
Althans.
Die Entstehung der bürgerlichen
Öffentlichkeit aus den Kreisen kaffeeklatschender Männer ist
genauso lehrreich wie vergnüglich nachzulesen. Birgit Althans
hebt vor allem darauf ab, welch zentrale Rolle der Begriff des
"Credit" dabei spielte. Das englische Wort ist doppeldeutig, "a
man of credit" ist ein moralisch glaubwürdiger Mann, der nur
aufgrund dieser Eigenschaft Geldkredite erhalten kann. Der
Verlust des "Credit" hatte damals für einen Handelsmann ähnlich
katastrophale gesellschaftliche Folgen wie der Verlust der
Jungfräulichkeit für eine Frau. Der Geschäftsmann Daniel Defoe,
später als Autor von Robinson Crusoe berühmt geworden, erfand
deshalb in seinen ökonomischen Schriften die Figur der
kapriziösen Lady Credit, die sich je nach Stand der Finanzwelt
mal jedem hingibt, mal allen verweigert.
Klatsch ist nicht sinn- und zweckfrei - im Gegenteil.
So weit folgt man der Autorin gerne
und mit Lust. Doch danach versucht sie ihre Ausführungen mit
aller Gewalt in das Korsett der Begrifflichkeiten des
Psychoanalytikers Jacques Lacan zu zwängen. Klatsch, so behauptet
die überzeugte Lacan-Anhängerin mit Verweis auf ihren
Lehrmeister, sei eine Form des "weiblichen Genießens", das im
Gegensatz zum "phallischen Genießen" nicht nach der Reproduktion
von Besitz und Name strebe, sondern sinn- und zweckfrei sei.
Das aber ist falsch. Es ist der zentrale methodische
Fehler der Autorin, dass sie ihre Definition von Klatsch - das
abwertende Reden über intime Angelegenheiten Abwesender - nicht
durchhält, ihn mit beliebigem Geplauder gleichsetzt und von
jeglichen Gesprächsinhalten absieht. Lustvoll zweckfrei ist nicht
der Klatsch, sondern nur das Schwatzen über alle möglichen
Nebenaspekte des Lebens, und genau genommen nicht einmal das,
denn es stärkt Bindungen und Gefühle. Im Klatsch aber werden
Herrschaftsbeziehungen verhandelt - zwischen Mann und Frau,
Machthaber und Untertan. Mit diskreter Indiskretion machen sich
Menschen gegenüber hierarchisch Gleichgestellten wichtig,
schaffen sich Bündnispartner, demontieren ihre Feinde, ihre Vor-
oder Nachgesetzten. Klatsch ist subversiv und systemerhaltend,
ist schmuddelig und moralinsauer, schafft Bindungen und zerstört
sie. Klatsch ist unglaublich vielfältig einsetzbar und deshalb
auch so beliebt.
Hätte Birgit Althans den Klatsch als Herrschaftsgerede
untersucht, um schließlich beim Börsenklatsch anzukommen oder
beim Klatsch als Strategie des Machterhalts eines neuen
Bündnisses von Boulevardpresse, Wirtschaft und Politik, das Buch
wäre ein genialer Wurf geworden. So aber verzettelt sie sich in
geschwätzigen Analysen der Werke von Diderot und Rousseau, Lacan
und Freud, um schließlich den roten Faden zu verlieren.
Einblick in Original-Dokumente der Hawthorne-Experimente.
Schlüssig wird das Buch erst wieder
im letzten Abschnitt, wenn die Autorin in die Arbeitswelt
zurückkehrt und sich der in den zwanziger Jahren entstandenen
Human-Relations-Bewegung widmet. Die Frauenforscherin nahm in den
USA Einblick in die Original-Dokumente der berühmt gewordenen
Hawthorne-Experimente, die der so genannten Humanisierung der
Arbeitswelt vorausgingen, und fand Frappierendes heraus. In
Hawthorne, einer Produktionsstätte für Telefon-Relais der Firma
Western Electric, wurde damals ein spezieller Arbeitsraum
eingerichtet, in dem sechs Arbeiterinnen unter Beobachtung von
zwei männlichen Versuchsbeobachtern Relais montierten. Reden bei
der Arbeit war eigentlich erlaubt, doch das exzessive Schwatzen
vor allem zweier Arbeiterinnen über Filme, Kleider oder
Boyfriends irritierte die Arbeitswissenschaftler offenbar
derartig, dass die beiden schließlich aus dem Testraum
ausgeschlossen wurden. Als eine ähnliche Testreihe mit Männern
gestartet wurde, störte sich interessanterweise keiner der
Wissenschaftler gleichen Geschlechts an dem nicht minder
exzessiven Gequatsche über Baseball, Alkohol oder das Chicagoer
Nachtleben.
Warum aber wird in der Arbeitswelt, zum Teil bis heute,
männliches und weibliches Schwatzen mit zweierlei Maß gemessen?
Liegt es daran, sofern es sich um Klatsch handelt, dass nur der
Frauenklatsch Männer sexuell entblößen kann? Leider kann sich die
Autorin nicht zu einer klaren Antwort entschließen, sondern
verliert sich erneut auf Lacan'schen Irrwegen, um schließlich auf
Seite 448 zur der Schlussfolgerung zu gelangen: "Der Klatsch als
nichtssagendes weibliches Sprechen widerstrebt offenbar jeglicher
Analyse, jedem Begehren zu wissen." Schade, dass ein solch
unfreiwilliges Eingeständnis des eigenen Scheiterns dieses
insgesamt doch so amüsant-lehrreiche Buch beschließen
musste.
Ute Scheub, Journalistin und Buchautorin, lebt und arbeitet in Berlin.
Birgit Althans:
Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit
Campus-Verlag
Frankfurt 2001
475 Seiten, 78 Mark
© changeX [11.05.2001] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Birgit Althans: Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit. Campus-Verlag, Frankfurt am Main / New York 2001, 475 Seiten, ISBN 3-593-36633-9
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Ute Scheubweitere Artikel der Autorin
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